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Deutschland, Dein "Verfassungsschutz"...

In einem Wohnwagen in Stregda bei Eisenach endete das Leben von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Seit dem Fund ihrer Leichen am 4. November kommen täglich neue Details aus der Mordkarriere der beiden Männer mit offenbar faschistischem Hintergrund an das Tageslicht. Wie war es möglich, dass sie - und ihre mutmaßlichen Helfer - unerkannt über dreizehn Jahre behördlich unbehelligt rauben und morden konnten?

"Eine rassistische Mordserie und eine erschossene Polizistin gehen offenbar auf das Konto von Neonazis. Der Fall wirft brisante Fragen auf: Was wusste der Verfassungsschutz?", so der "Freitag". Die Frage ist durchaus berechtigt, denn bekanntlich stellen die Dienste nicht wenige in den Reihen der reaktionären und faschistischen Kräfte in der BRD:

„Wenn ich alle meine verdeckten Ermittler aus den NPD-Gremien abziehen würde, dann würde die NPD in sich zusammenfallen“, so der damalige baden-württembergischen Innenminister Rech (CDU) auf einer Veranstaltung in Gechingen. Mit dieser Aussage räumte er am 5. März 2009 im "Scharzwälder Boten" ein, dass die NPD im Lande durch den „Verfassungsschutz“ künstlich am Leben gehalten wird.

Nun, nach den Enthüllungen über die offenbar rassistische Mordserie an mehreren Kleingewerbetreibenden und dem Mord an einer Heilbronner Polizeibeamtin zeigen sich ausgerechnet die Verfassungsschützer "überrascht" über die Vorgänge, obwohl schon seit 2011 darüber gemunkelt wurde, dass der Verfassungsschutz selber in die Mordserie verstrickt sein könnte: 

"... Schließlich hatte der Kopf des militanten "Thüringer Heimatschutzes", zu dem die drei gehörten, als V-Mann für den Verfassungsschutz des Landes Thüringen gespitzelt, wie im Jahr 2001 bekannt wurde ..." (taz)

Natürlich wurde sogleich zurückgerudert, und mittlerweile "(...) verlautbarte der Thüringer Verfassungsschutz, keine der drei Personen habe zu seinen V-Leuten gehört. Allerdings hatte er dies schon bei Timo B. beteuert, dem ehemaligen Kopf der rechtsextremen Gruppe Thüringer Heimatschutz, der das Trio angehörte und die 1998 im Fokus der damaligen Sprengstoffermittlungen stand. (...)" (Peter Mühlbauer bei telepolis).

Auch Anders Behring Breivik hat seine politisch motivierten Morde wohl jahrelang und systematisch unter den Augen der Behörden vorbereitet. Wie glaubwürdig ist also die Sorge, die der Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Hans-Werner Wargel der "tagesschau" zum Ausdruck bringt? "Wenn sich der Verdacht bestätigt, haben wir es mit dem schlimmsten Fall rechtsextremistischer Gewalt in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten zu tun". Vom Dilletantismus bei den Ermittlungen - man bedenke nur die mehr als peinliche "Panne" bei den Wattestäbchen für die DNA Analyse im Fall der ermordeten Polizeibeamtin bis hin zur schon beinahe penetranten Weigerung, die Zahl der Opfer faschistischer Gewalt anzuerkennen:

Der Fall wirft mehr Fragen auf, als bislang in den Kommentarspalten aufgeworfen werden. Der bisherige Umgang mit dem Fall gibt Anlass zur Befürchtung, dass einmal mehr das Lied von der "Einzeltäterthese" gespielt werden soll.

Das hat Tradition in diesem Land. Zumindest hinsichtlich "rechter" Gewalt.

Einzeltäterthese 2.0?
In diesem Jahr jährte sich das Oktoberfestattentat zum 31. Mal. Am 26.09.1980 explodierte eine Bombe am Haupteingang des Oktoberfests und riss 13 Menschen in den Tod. 211 Menschen wurden verletzt, zum Teil sehr schwer. Es war der schlimmste Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Dennoch gibt es noch immer kein öffentliches Bewusstsein für die Hintergründe, kaum jemand kennt die Verbindungen des Attentäters zur rechten Szene. Auch dort führte die blutige Spur zu Neonazis. Doch die Ermittler haben diese Spur zu den Akten gelegt und stattdessen die Theorie vom "Einzeltäter" in die Welt gesetzt und festgeschrieben. So ist der größte Terroranschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte bis heute nicht aufgeklärt, die Akten des Wies‘n-Attentats sind seit 1982 geschlossen, neue Erkenntnisse und offene Fragen sind offensichtlich unerwünscht. Der erneute Antrag auf Wiederaufnahme der Ermittlungen im Jahr 2009 brachte ans Tageslicht, dass sämtliche Beweisstücke, die sogenanten Asservate bereits 1997 vernichtet worden sind.

Sollte nicht ein wenig mehr kritischer Umgang mit rechten Ideologien an den Tag gelegt werden? Diese Hoffnung - zumindest, sofern sie an staatliche Stellen gerichtet ist - erscheint jedoch reichlich hoffnungslos. Vor allem angesichts dessen, dass heute erneut Feindbilder konstruiert werden, Hass auf Muslime, auf MigrantInnen geschürt, Hartz IV Empfänger, Arme und Kranke stigmatisiert und zu inneren Feinden hochstilisiert werden, um von den Ursachen der kapitalistischen Krise, Kriegen und sozialem Kahlschlag abzulenken.

Diese Diskussion wäre so nicht denkbar ohne diejenigen, die dafür die ideologische Munition liefern. Und diejenigen, die diese in sich aufsaugen und unwidersprochen lassen. Der zu zweifelhaftem Ruhm gekommene Bestseller "Deutschland schafft sich ab" wurde innerhalb zweier Monate nach Erscheinen das meistverkaufte Politiksachbuch des Jahrezehntes eines deutschen Autors. In diesem Fakt kommt eine breite gesellschaftliche Verschiebung nach rechts, die Enttabuisierung rassistischen Denkens und die Verbindung von Rassismus mit Elite- und Nützlichkeitsdenken zum Ausdruck, die so nicht mehr nur sogenannten "Extremisten" zugeordnet werden kann, sondern breit in allen gesellschaftlichen Schichten hoffähig ist.

Was wäre hier los?
"Eingedenk der Tatsache, dass ein paar brennende Bonzenautos in der Öffentlichkeit bereits hysterisch als neue R.A.F. gehandelt werden, stelle man sich vor, in den letzten 11 Jahren seien 10 Unternehmer und zwei Polizisten erschossen und mehrere Banken ausgeraubt worden, man fände zwei aus dem linken Spektrum stammende Aktivisten tot in einem Wohnwagen, deren Wohnung würde ohne Rücksicht auf andere Bewohner des Hauses in einem Feuer vernichtet und eine zugehörige Frau, ebenfalls aus dem linken Umfeld, würde verhaftet werden und zu allen Vorfällen schweigen. Man fände dann im Schutt dieser abgebrannten Wohnung Waffen, die die Aktivisten mit all den vorgenannten Verbrechen eindeutig in Verbindung bringen. Was wäre hier los?" (pantoffelpunk, via woschod.de)
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