Noch einmal Habermas: Der schöne Schein und die böse Welt
Der Philosoph äußert sich ähnlich. Und recht haben beide, wenn sie daran erinnern, dass wir nach dem Krieg aufgewachsen sind im beruhigenden Gefühl, die Zeiten der Diktatur seien vorbei. Wir hätten auf jeden Fall, was auch passieren mag, Demokratie an unserer Seite. Demokratie - verstanden als eine Sammelvorstellung, bei der Schutz der eigenen Rechte irgendwie zusammenginge mit Willensäußerungen aller. Also Rechtsstaat mit Regierungskontrolle, was nicht das gleiche ist. Wirksame Willensäußerungen geäußert nach verbindlichen Vorschriften.
Wie ist uns das abhanden gekommen? Ab wann haben wir das bittere Brot der Erkenntnis gänzlich eingespeichelt und heruntergeschluckt, dass - angeblich - gute Absichten oft zusammengehen mit brutaler Entmächtigung anderer. Allerspätestens nach dem Jugoslawienkrieg, als gerade die anerkanntesten Tugendbolde einen Angriffskrieg billigten. Und war es damals nicht auch Habermas, der - gewunden - das Unternehmen guthieß?
Kurz gesagt: seit der Zeit können wir nicht mehr unbefangen die Taten des mürben Sünders Papandreou preisen, der am Ende seiner Tage durchaus machtpolitische Ziele verfolgt. Und dabei anerkannte Ideale aufruft - etwa 35 Stunden lang. Wenn ich recht gerechnet habe.
Was folgt daraus? Der Schrei nach Demokratie kann nicht einfach verstummen- zugunsten der Anerkennung der Diktate einer Merkel und eines Sarkozy. Es reicht dann aber auch nicht aus, der Entschwundenen nachzuweinen und das Taschentuch hinter ihr her zu wringen.
Gefordert wäre: Erkenntnis der brutalen Zwänge, die im Namen von Demokratie beliebigen Menschengruppen auferlegt werden. Und Härte: Härte, zu erkennen, welches noch viel größere Elend ertragen werden muss, welche Gefahren riskiert, um den Aufstand zu wagen gegen die unterdrückerische Nicht-Demokratie. Wie sie in Griechenland und bei uns seit Jahren herrscht - mit und ohne Volksabstimmung.
Habermas müsste auf seine alten Tage die Kraft aufbringen, die wir uns selbst nicht mehr zutrauen. Auffordern zu einer Subsistenzwirtschaft in Griechenland ohne große äußere Zuschüsse. Zu selbsterprobten und kämpferischen Zusammenschlüssen gegen die eigene Obrigkeit. Zu Steuerverweigerung und offener Sabotage gegen die Machenschaften der Zerstörer von Demokratie, wie sie sich heute überall als die Rechtmäßigen aufspielen.
Hat ein Habermas die Kraft heute noch dazu aufzurufen? Habe ich die Kraft? Habe ich auch nur das Recht dazu, da ich doch außerhalb stehe.Ohne Handlungsnotwendigkeit, ohne unmittelbares Gefordertsein durch die Situation. Unterm Schutzdächlein des scheelen Beobachters.
Ich habe sie nicht. Und so bleibt - meiner Meinung nach - nur das betretene Beiseitestehen. Der gelähmte Blick des ewigen Zuschauers. Das Ersticken des aufsteigenden Wutschreis in der eigenen Kehle.
Das beschämte Schweigen. Und ein Habermas kann auch nicht mehr, als an die Schande zu erinnern. Ohne sie von uns wegnehmen zu können.