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Querfunk-Interview mit Sebastian Friedrich zur “Sarrazindebatte”

„Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“, so titelte die BILD-Zeitung zur sogenannten Sarrazindebatte. Nach der Veröffentlichung des Buches „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin im letzten Herbst waren Schlagwörter wie HartzIV-Empfänger_innen, Integration, Islam oder Fachkräftemangel häufig in den Medien zu lesen. Inzwischen ist die Berichterstattung der Medien wieder abgeflaut. Welche Auswirkungen die Debatte hatte und warum ein solches Buch überhaupt so große Aufmerksamkeit erreichen konnte, darüber sprach Querfunk mit Sebastian Friedrich. Er ist Herausgeber und Mitautor des Buches „Rassismus in der Leistungsgesellschaft -“ Analysen und kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen der Sarrazindebatte“. Vergangene Woche hielt er dazu einen Vortrag in Karlsruhe.

Querfunk-Interview mit dem Herausgeber und Mitautor Sebastian Friedrich vom 19.10.2011 -“ Anhören: hier.

Sebastian Friedrich (Hg.)
Rassismus in der Leistungsgesellschaft
Analysen und kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen der „Sarrazindebatte“
farb. Broschur, 264 Seiten, 19.80 EUR [D]
ISBN 978-3-942885-01-0

Blogkino: Finally got the News (1970)

Heute in unserer Reihe Blogkino: "Finaly Got the News" über die League of Revolutionary Black Workers. Der Film beginnt mit einer beeindruckenden Montage zur Geschichte der Sklaverei, der Herausbildung der Arbeiterklasse und der zentralen  Bedeutung von schwarzen Arbeiterinnen in der wirtschaftlichen Entwicklung in den USA, ganz besonders in der Detroiter Automobilindustrie der 1960er Jahre. Über die Darstellung der rassistischen Arbeitsverhältnisse und der Fabrikkämpfe dagegen werden die Notwendigkeit der Errichtung und die lehrreichen Methoden einer unabhängigen schwarzen Arbeiterorganisation sichtbar. Hier der Film in der Fassung ohne Untertitel:

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Konservative in linkem Gewand. Wie das bürgerliche Feuilleton um Deutungshoheit kämpft

Angesichts derartiger Bilder aus London fragten sich Konservative in den Feuilletons, wie der Kapitalismus vor sich selber gerettet werden kann.

Foto: hughepaul
Lizenz: Creative Commons Attribution 2.0
Im Sommer 2011 fragen sich konservative Intellektuelle aus Deutschland und Großbritannien offen, ob die Linke angesichts der Krise und deren Folgen letztlich recht hat. Diese angeblichen Linkswendungen sind allerdings nicht zwingend Ausdruck einer Krise des Konservativismus - sie machen jedoch in jedem Fall die gegenwärtig schwache Position linker Gesellschaftskritik deutlich.

Im deutschen Feuilleton gibt sich die bürgerliche Elite seit 1945 große Mühe, mittels einer scheinbar tiefgründigen Suche nach Erkenntnis ihre gesellschaftliche Position zu legitimieren und zu stärken. Im Vergleich zu den jeweiligen Politik- und Wirtschaftsressorts zeichnen sich die Feuilleton- bzw. Kulturteile der Zeitungen durch ein breiteres Feld des Sagbaren aus. So treten in Form von gesellschaftspolitischen Debatten selbst in konservativen Blättern auch vermeintlich linke Positionen auf. Doch was sich Mitte August auf den bürgerlichen Feuilleton-Seiten abspielte, überraschte dann dennoch. Konservative Intellektuelle grübeln, ob die Linke mit ihren Analysen nicht doch recht hat. Es scheint Einschneidendes zu geschehen - jedoch nur auf den ersten Blick.

Geläuterte Konservative oder Offensivstrategie?

Den Anfang machte der konservative Publizist und offizielle Biograf von Margaret Thatcher, Charles Moore, in der konservativen Tageszeitung Daily Telegraph. (22.7.11) Er schrieb zwei Kolumnen, die erste mit dem merkwürdigen Titel "Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat". Aufhänger für die vermeintliche Reflexion waren Enthüllungen zu den Abhörmethoden der Zeitung News of the World. (ak 563) Moore kritisierte nicht nur Teile der Presse um den Medienmogul Rupert Murdoch scharf, sondern äußerte zudem Kritik am Bankenwesen und den verantwortlichen PolitikerInnen. In seinem Beitrag wartete er mit links-konnotierten Diskursfragmenten auf, wenn er etwa konstatierte, die ArbeiterInnen verlören ihre Jobs, damit die BankerInnen in Frankfurt und die BürokratInnen in Brüssel beruhigter schlafen können.

Mit den Riots in England schwappte die Diskussion mit dreiwöchiger Verspätung nach Deutschland über. Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der FAZ, bekannte sich am 14.8.11 in der Sonntagsausgabe der Zeitung auf ähnliche Weise. Er zitiert Moore mit Sätzen wie "Globalisierung ... sollte ursprünglich nichts anderes bedeuten als weltweiter freier Handel. Jetzt heißt es, dass Banken die Gewinne internationalen Erfolgs an sich reißen und die Verluste auf jeden Steuerzahler in jeder Nation verteilen." Schirrmacher stimmt Moore zu und fragt sich, ob er angesichts dieser Entwicklungen als Konservativer richtig gelegen habe, "ein ganzes Leben lang".

Charles Moore in England oder Frank Schirrmacher in Deutschland - wenden sich rechte Intellektuelle vom Konservativismus und Kapitalismus ab? Werden sie gar Linke? Gewiss nicht. Es steht keine Kulturrevolution bevor. Auf den zweiten Blick geht es beiden um die Restauration des Konservativismus. Moore macht am Schluss seines ersten Beitrags deutlich, dass er keinesfalls geläutert ist, vielmehr ist sein Artikel als Selbstkritik und Warnung für die Konservativen zu lesen: "Man muss immer beten, dass Konservativismus durch die Dummheit der Linken gerettet wird, wie es so oft in der Vergangenheit der Fall war." In dem nicht so häufig zitierten zweiten Beitrag wird er eine Woche später noch deutlicher. Seine Kritik richtet sich nicht an die kapitalistische Idee, sondern im Gegenteil an die gegenwärtigen PolitikerInnen, die sich in das Gewinnen und Verlieren des freien Marktes einmischen. Moore stellt dem jetzigen System keinesfalls ein linkes entgegen, sondern einen marktfundamentalistischen Neoliberalismus im Sinne von Margaret Thatcher und Ronald Reagan.

Auch Schirrmacher findet den Dreh zur Linie der FAZ und appelliert letztlich für das Wiederfinden "bürgerlicher Gesellschaftskritik". Dass diese "bürgerliche Gesellschaftskritik" auch eine erzkapitalistische und sein Beitrag nicht als Abbruch der Zusammenarbeit zwischen Konservativismus und Kapital zu deuten ist, lässt sich anhand Schirrmachers Huldigung von Ludwig Erhard deutlich machen, quasi dem "Erfinder" der Sozialen Marktwirtschaft. Das Credo lautet nämlich: Zurück zur guten, alten Sozialen Marktwirtschaft. So sei etwa das Schweigen Merkels um die Moral in Folge der Krise unter Ludwig Erhard undenkbar gewesen. Sprachlos macht Schirrmacher überdies der "endgültige Abschied von Ludwig Erhards aufstiegswilligen Mehrheiten". Hinter dieser Sprachlosigkeit kommt das konservative Klassendenken zum Ausdruck. Zwar wünscht sich Schirrmacher die Chance des sozialen Aufstiegs und kritisiert somit implizit den klassischen Konservativismus, bei dem alles so bleiben sollte, wie es ist: Der Sohn des Bauers bleibt Bauer, der Sohn des Arztes bleibt Arzt. Jedoch hält er an der Klassengesellschaft fest, in der es neben den aufsteigenden Gewinnern auch Verlierer geben muss.

Die Linkswendungen von Schirrmacher und Moore verschwinden schnell bei näherer Betrachtung. Die Kapitalismuskritik ist nicht mehr als eine kurze "Entladung" in Form eines Blitzes. Eine der Funktionen des bürgerlichen Feuilletons scheint mal wieder erfüllt: Aufkommende Energie blitzschnell entladen, damit nichts bleibt als ein kurz verstörender Donner.

Noch vor hundert Jahren existierte das Feuilleton nicht als selbstständige Rubrik in den Zeitungen. Die Beiträge, meist Buch- und Theaterkritiken, erschienen unter einem Strich im unteren Drittel meist auf der ersten Seite. Mittlerweile ist das Feuilleton das Verständigungsmedium des Bürgertums. Insbesondere das Feuilleton der FAZ ist der Ort, von dem die grundsätzlichen Diskussionen ausgehen. Die hin und wieder geäußerte Gesellschaftskritik versickert entweder oder wird kanalisiert, indem etwa kapitalismuskritische Positionen eingebunden werden. Aufgabe linker Kritik sollte es sein, diese Debatten gegen den Strich zu lesen. Anstatt sich heimlich oder offen über die angeblichen mooreschen oder schirrmacherschen Linksdrehungen zu freuen, sollte sie zum Beispiel gefragt werden, warum zu diesem Zeitpunkt Derartiges geäußert wird.

Kapitalismus durch Kritik an Auswüchsen schützen


Es ist auffällig, dass die Debatte in Deutschland erst mit den Riots in England aufkam. Vorher fand sich kaum ein Wort über die durch Moore angestoßene, sich in England vollziehende Diskussion. Zwei Tage vor Schirrmachers Beitrag tauchte in der FAZ (12.8.11) nur ein Verweis auf. Die Feuilletonkorrespondentin Gina Thomas schrieb über die "Randalierer und ihre Vorbilder" und führte mit Hilfe von Moores Kolumne Werteverfall als Grund für Riots aufs Deutungsfeld. Mit sozialer Ungleichheit hätten die Riots nichts zu tun, sondern sie zeugten vom "Verlust der moralischen Orientierung". Die "Unterschicht" hätte sich an der "Habgier der Boni-Banker und spesenritterlichen Abgeordneten" ein Vorbild genommen. Statt Armut gehe es um allgemeinen "Materialismus". Thomas koppelte die Proteste in England von Fragen der sozialen Ungleichheit ab, um sie zu entpolitisieren.

Diese Delegitimationsstrategie ist in der Sorge um die Sicherung der eigenen gesellschaftlichen Stellung begründet. So erscheint ein Satz als Klagelied auf die gute alte Zeit: "Anders als früher, als ein quasi erbliches Establishment die Zügel in der Hand hatte, gibt heute nicht die Herkunft den Ausschlag, sondern das Geld." Zwar spielen die Riots bei Schirrmacher keine Rolle, in den Zu- und Widersprüchen nach Schirrmachers Beitrag wird hingegen die These von der Krise des Konservativen immer wieder in Zusammenhang mit den sozialen Protesten in England gesetzt. Vermutlich lief dem Großteil des Bürgertums ein Schauer über den Rücken, als die Bilder aus London, Birmingham und Manchester zu sehen waren, wo Menschen Fernsehgeräte und teure Schuhe aus den Kaufhausketten entwendeten. Positiv betrachtet sorgt sich das konservative Establishment in den Redaktionen in erster Linie um ihre Werte, ihre Position und nicht zuletzt um ihren Besitz.

Bürstet man die "Schirrmacher-Debatte" weiter gegen den Strich, erscheint das Gerede um Werte und die Banker-Kritik nicht allein als bloßer Abwehrkampf. Auffällig häufig melden sich derzeit Konservative zu Wort, um Partei für das Soziale zu ergreifen. Anfang August forderte etwa der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel eine Besinnung der CDU auf evangelische Sozialethik und katholische Soziallehre, da die Wirtschaft für die Menschen da sei und kein Selbstzweck. In den USA drängt einer der reichsten Männer der Welt, Warren Buffet, auf erhebliche Steuererhöhungen für Reiche - und der Verfassungs- und Steuerrechtler Paul Kirchhoff bezeichnet in der FAS (21.8.11) das hiesige System als "Feudalismus", da das momentane Steuerrecht zu einer Umverteilung von Arm zu Reich führe.

In den Feuilletons sorgt sich das Bürgertum um Werte, beklagt fehlende soziale Ausgewogenheit. Doch die postulierte Werte- und Daseinskrise des Konservativismus als moralischer Bodyguard des Kapitalismus sollte kein Grund zu Freude sein. Ob gewollt oder nicht: Eine solche Debatte könnte eine für die Linke fatale diskursive Wirkung entfalten.

Karl Kraus merkte einmal an: "Das Geheimnis des Agitators ist, sich so dumm zu machen, wie seine Zuhörer sind, damit sie glauben, sie seien so gescheit wie er." Übertragen auf die Debatte um Schirrmacher und Moore bedeutet das, dass die Blitze in den bürgerlichen Feuilletons an ungeschützter Stelle einschlagen könnten. Die Interventionen bürgerlicher Schreiberlinge zielen darauf ab, die kulturelle Hegemonie über Gesellschaftskritik weiter zu festigen. Ein Feld, auf dem lange Zeit die Linke die Deutungshoheit hatte, aber diese schon vor Jahren verlor.

Würde eine ernsthafte Gefahr für das Bestehende von links ausgehen, wären reihenweise Linksbekenntnisse von Konservativen nur denkbar als Strategie, die linken Positionen in einen gesamtgesellschaftlichen Konsens einzubinden - sie im Sinne des kapitalistischen Projekts zu normalisieren. Doch von einer starken Stellung linker Ideen kann momentan keine Rede sein. Selten wurden antikapitalistische Thesen so sehr bestätigt wie in der billionenschweren Rettung von Banken. Die Linke vermochte es jedoch bisher nicht, aus einer der schwerwiegendsten Legitimationskrisen des Kapitalismus zu "profitieren". Es fehlt der Linken - genauer gesagt, der radikalen Linken - momentan an neuen Analysen und vor allem an der offensiven Vermittlung der vorhandenen.

Bürgertum will Hegemonie über Gesellschaftskritik


Das Betören und Streicheln linker Überzeugungen durch das konservative Feuilleton raschelte vielmehr deshalb so laut im Blätterwald, weil die Linke als Gegner um Deutungen nicht mehr ernst genommen wird. Beides zusammengedacht, einerseits die schwache Position linker Ideen in den Deutungskämpfen und andererseits soziale Proteste wie in England, aber auch in vielen anderen Ländern, ergibt folgende Situation: Die Verhältnisse spitzen sich zwar zu, gleichzeitig sind linke Alternativen im Mainstream unsichtbar. Genau diesen Zustand versucht die "bürgerliche Gesellschaftskritik" für sich zu nutzen.

Negativ betrachtet schicken sich also gerade die Moores und Schirrmachers an, linke Gesellschaftskritik endgültig überflüssig zu machen und an deren Stelle konservative und erzkapitalistische Deutungen zu setzen. Linker Antikapitalismus wird ersetzt durch (sozial-)marktwirtschaftliche "Kapitalismuskritik", die sich nicht gegen die Logik der Wirtschaftsordnung richtet, sondern gegen einzelne "Auswüchse". Das Feld des Sagbaren könnte schon bald so sehr beschnitten sein, dass der Linken hören und sehen vergeht.

Ob nun negativ oder positiv betrachtet: Sich über die vermeintlichen RenegatInnen zu freuen oder blauäugig zu fordern, sie sollten ihrer Worte Taten folgen lassen, führt in eine Sackgasse. Das von Schirrmacher und Moore gemeinsam servierte Zuckerbrot sollte offensiv abgewehrt werden, man könnte dran ersticken - und zum Schluss auch noch sprachlos werden.

Erstveröffentlichung in ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 564 / 16.9.2011

Umberto Eco: Zettelkasten als Schießanlage - zur Buchmesse

Lauter Vermutungen, keine Besprechung

Es scheint ja Mode zu werden, dass die Autoren etwas ganz anderes im Sinn haben, als sie dem Schein nach vorführen. So soll es La Roche um die Schilderung eines verhängnisvollen Autounfalls gegangen sein - und die Geißelung der medialen Behandlung danach. Darübergeraspelt dann  als Trüffelspur die erwartete Ration Sex, damit das Buch ins Schema passt.

So ähnlich scheint es auch Umberto Eco zu halten. Dem öffentlichen Vorgeben nach soll es noch einmal gehen um die Entstehung der "Protokolle der Weisen von Zion". Nur hat Eco darüber in einem langen Essay vor Jahren schon viel übersichtlicher geschrieben.  Der Kern der Sache kommt zwar auch wieder im Roman zum Vorschein: dass einer, der etwas Antisemitisches schreibt, noch lange kein Antisemit der Herzensneigung nach sein muss. Sondern vor allem Opportunist. Mitstinker unter den Röchelhyänen seiner Zeit. Was könnte am ehesten passieren und passen? Nur - warum noch einmal 550 Seiten ausgeben, um das zu wiederholen?

Auch Ecos eigene Erfindung im vorliegenden Werklein - die Spaltung des Hauptfälschers in zwei Personen, die vergessen haben, was sie schon anstellten und wen sie auf dem Gewissen haben, reißt nicht vom Hocker. Man kapiert allzuschnell, dass die beiden eins sind. Zur Erklärung dieses Umstands wird in den ersten Kapiteln ein gewisser Doktor Fröid eingeführt, der Winke zum sogenannten Verdrängen ausgibt.

Warum der Umweg über das verschollene Protokoll der "Juden von Prag"? Verdacht: Es ging dem gelehrten Autor gar nicht um diesen Plot. Auch nicht um die Serien von Speisen, die zwischendurch immer gereicht werden - oder die Titel höllischer Exzellenzen, von denen bei einer Anrufung keiner vergessen werden darf. Über drei Kindle-Seiten lang. Vermutung: Es ging hauptsächlich darum, in historischer Verkleidung die gegenwärtigen Läufe und Irrläufe der Politik nachzuzeichnen. In Italien und ganz Europa.

So gewinnt die Handlung zum ersten Mal halbwegs Spannung, als der Geheimdienst des Rumpfstaates Italien-Piemont bei der Hauptfigur Simonini immer neue Verbrechen bestellt. Kaum meldet sich diese - angeblich ein Hauptmann - lobesbereit, wird sie fertiggemacht. Nicht etwa, weil am Service etwas fehlte - die Toten bleiben tot, und nichts weist auf die Dienste hin - sondern weil der Geheimdienst seine eigenen Pläne nicht auseinanderhalten kann. Immer haben sich die Umstände geändert. (Vergl S.167 ff) So sollen die Abrechnungen des einzigen ehrlichen Mitglieds in der Garibaldi-Verwaltung verschwinden - sie verstießen zu auffällig gegen die abgelieferten anderen. Dazu wird bedenkenlos ein ganzes Schiff versenkt. Kein Lob  für den Untergangs-Ingenieur. Schließlich könnte man im Nachfragen nach dem untergegangenen Schiff auf den letzten Aufenthalt des mitersoffenen Nievo kommen, darüber auf die Freundschaft mit unserem Hauptmann Simonini - und darüber auf Verbindungen mit der königlichen Regierung. Normalerweise wurden damals wie heute so unbequeme Zeugen einfach liquidiert. Da aber der Roman weitergehen muss, wird Simonini nach Paris versetzt. Und fälscht dort gewissenhaft Angefordertes. Das sagt wohl weniger über die Intrigen des neunzehnten Jahrhunderts als viel mehr über die bedenkenvolle Bedenkenlosigkeit des Systems Berlusconi. Verbrechen? Jederzeit - und gern! Ziele beibehalten - oh je! Entdeckt werden? Auf alle Fälle Spuren verwischen!

Bekanntlich gehört Eco in seinem Vaterlande selbst zu denen, die sich der Versuchung nie entzogen, auf dem Regierungs-Chef herumzuhacken. Wird es zu langweilig, offenliegende Wunden mit hundert anderen noch einmal aufzupicken - versteck Deine Attacke in etwas, das man wohlwollend auch Roman nennen kann. Und Du hast Deine Sonderstellung gerettet.

Der Angriff auf die Gegenwart - nicht des Zaren, aber die des noch oben befindlichen Universal-Betrügers - wird vor allem in der Zitatenfolge der Schlussempfehlung der "Protokolle" an den russischen Ankäufer spürbar. Da heißt es etwa:

"als angebliches Zitat aus den "Protokollen": Um die Massen daran zu hindern, sich eine eigene politische Meinung zu bilden, werden wir sie mit Vergnügungen, Spielen, Leidenschaften und Volkshäusern  ablenken und zu Wettbewerben in Kunst und Sport aller Art einladen... Wir werden den Wunsch nach ungebremstem Luxus anstacheln,und wir werden die Löhne erhöhen,was aber den Arbeitern keinen Vorteil bringen wird,da wir zur gleichen Zeit die Preise der notwendigsten Lebensmittel erhöhen werden unter dem Vorwand schlechter Ernten... Wir werden versuchen, die öffentliche Meinung zu allen Arten phantastischer Theorien hinzulenken, die irgendwie fortschrittlich oder liberal erscheinen könnten" (S.488ff)

Wozu passt das eher? Zu einem Russland, in dem wenig Arbeiter lesen konnten - oder zum Zustand Italiens mit drei Privatfernsehen in Berlusconis Hand und einem öffentlichen unter der selben Verfügungsgewalt?

Der Antisemitismus wird dem Ankäufer für den Zaren als Zugabe geliefert, steht aber keineswegs im Zentrum dessen, was der Generalfälscher einem jeden System anpreist, welches mit vollem Recht seinen Untergang voraussieht und unter allen Umständen aufschieben will.

Oder: "Was die Zeitungen angeht, so sieht der jüdische Plan eine scheinbare Pressefreiheit vor, die zur besseren Kontrolle der Meinungen dient. So sagen unsere Rabbiner, dass es darum gehen wird, möglichst viele Periodica zu erwerben, oder selbst zu gründen, die verschiedene Meinungen ausdrücken, so dass die Leser denen vertrauen, die scheinbar ihrenMeinungen nahestehen, ohne zu bemerken, dass in Wirklichkeit alle die Meinung der jüdischen Herrschenden wiedergeben...". (S.489 ff) Hier bleibt die Satire etwas zurück hinter den gegenwärtigen Zuständen. Auf jeden Fall funktioniert das Vorgehen auch ganz ohne Juden und Rabbiner vorzüglich - Nicht nur in Italien

Warum nur das umständliche Versteckspiel? Steht es in unserer Zeit schon wieder so, dass die niederschmetterndsten Kopfnüsse für jede Staatsgewalt nur in Velours verpackt abgeliefert werden dürfen?

Roman, 528 Seiten

"Der Friedhof in Prag: Roman" (Kindle Edition) EUR 19,99

"Der Friedhof in Prag: Roman" (Gebundene Ausgabe) EUR 26,00

Troy Davis presente!

Am frühen Morgen des 22. Septembers wurde Troy Davis von der US-Amerikanischen Justiz ermordet. Ihm wurde vorgeworfen 1991 einen Polizisten getötet zu haben. Beweise dafür gab es keine, bis auf die Aussage eines anderen Polizisten der selbst unter Tatverdacht stand. Sieben von neun Zeugen gaben zu von der Polizei zu ihren damaligen Aussagen beeinflusst worden zu sein und wiederriefen sie im Nachhinein.

Der Fall von Troy ist vergleichbar mit dem Fall von Mumia Abu Jamal, der seit nunmehr beinahe 30 Jahren ebenfalls wegen der angeblichen Tötung eines Polizisten hingerichtet werden soll.

Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Fällen, in denen AktivistInnen des schwarzen Widerstandes von der rassistischen Justiz der USA betroffen sind.

Unter ihnen vor allem AktivistInnen der Black Panther Party (for Self-Defense). Diese entstand 1966 vorrangig aus der Notwendigkeit sich in den eigenen Vierteln einen bewaffneten Selbstschutz vor Polizeiübergriffen aufzubauen. Darüber hinaus hatten sie gelernt dass sie sich in der Durchsetzung ihrer Rechte und Interessen nur auf sich selbst verlassen können, machten z.B. Essens- und Bildungsprogramme für Ihre Leute in den Vierteln.

Die Regierung der USA reagierten mit der Ermordung und Inhaftierung zahlreicher AktivistInnen sowie sie heute nicht davor zurückschrecken diese wie im Falle von Troy Davis hinzurichten.

Am Donnerstag, den 06. Oktober 2011, zeigen wir den Film „All Power to the People -“ Die schwarzen Panther“ über die Geschichte des schwarzen Widerstandes in den USA und ihrer Hintergründe.

TROY DAVIS PRESENTE!

Was: Film "All Power to the people - Die schwarzen Panther"
Wann: Donnerstag, 06.Oktober 2011, 19 Uhr
Wo: Falkenbüro Suttgart, Wagenburgstr. 77, Stuttgart Ost

Zusammen Kämpfen [Stuttgart] -“ zk-stuttgart@riseup.net
Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen [Stuttgart] -“ stuttgart@political-prisoners.net

www.political-prisoners.net / www.gefangenen.info
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