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Umberto Eco: Zettelkasten als Schießanlage - zur Buchmesse

Lauter Vermutungen, keine Besprechung

Es scheint ja Mode zu werden, dass die Autoren etwas ganz anderes im Sinn haben, als sie dem Schein nach vorführen. So soll es La Roche um die Schilderung eines verhängnisvollen Autounfalls gegangen sein - und die Geißelung der medialen Behandlung danach. Darübergeraspelt dann  als Trüffelspur die erwartete Ration Sex, damit das Buch ins Schema passt.

So ähnlich scheint es auch Umberto Eco zu halten. Dem öffentlichen Vorgeben nach soll es noch einmal gehen um die Entstehung der "Protokolle der Weisen von Zion". Nur hat Eco darüber in einem langen Essay vor Jahren schon viel übersichtlicher geschrieben.  Der Kern der Sache kommt zwar auch wieder im Roman zum Vorschein: dass einer, der etwas Antisemitisches schreibt, noch lange kein Antisemit der Herzensneigung nach sein muss. Sondern vor allem Opportunist. Mitstinker unter den Röchelhyänen seiner Zeit. Was könnte am ehesten passieren und passen? Nur - warum noch einmal 550 Seiten ausgeben, um das zu wiederholen?

Auch Ecos eigene Erfindung im vorliegenden Werklein - die Spaltung des Hauptfälschers in zwei Personen, die vergessen haben, was sie schon anstellten und wen sie auf dem Gewissen haben, reißt nicht vom Hocker. Man kapiert allzuschnell, dass die beiden eins sind. Zur Erklärung dieses Umstands wird in den ersten Kapiteln ein gewisser Doktor Fröid eingeführt, der Winke zum sogenannten Verdrängen ausgibt.

Warum der Umweg über das verschollene Protokoll der "Juden von Prag"? Verdacht: Es ging dem gelehrten Autor gar nicht um diesen Plot. Auch nicht um die Serien von Speisen, die zwischendurch immer gereicht werden - oder die Titel höllischer Exzellenzen, von denen bei einer Anrufung keiner vergessen werden darf. Über drei Kindle-Seiten lang. Vermutung: Es ging hauptsächlich darum, in historischer Verkleidung die gegenwärtigen Läufe und Irrläufe der Politik nachzuzeichnen. In Italien und ganz Europa.

So gewinnt die Handlung zum ersten Mal halbwegs Spannung, als der Geheimdienst des Rumpfstaates Italien-Piemont bei der Hauptfigur Simonini immer neue Verbrechen bestellt. Kaum meldet sich diese - angeblich ein Hauptmann - lobesbereit, wird sie fertiggemacht. Nicht etwa, weil am Service etwas fehlte - die Toten bleiben tot, und nichts weist auf die Dienste hin - sondern weil der Geheimdienst seine eigenen Pläne nicht auseinanderhalten kann. Immer haben sich die Umstände geändert. (Vergl S.167 ff) So sollen die Abrechnungen des einzigen ehrlichen Mitglieds in der Garibaldi-Verwaltung verschwinden - sie verstießen zu auffällig gegen die abgelieferten anderen. Dazu wird bedenkenlos ein ganzes Schiff versenkt. Kein Lob  für den Untergangs-Ingenieur. Schließlich könnte man im Nachfragen nach dem untergegangenen Schiff auf den letzten Aufenthalt des mitersoffenen Nievo kommen, darüber auf die Freundschaft mit unserem Hauptmann Simonini - und darüber auf Verbindungen mit der königlichen Regierung. Normalerweise wurden damals wie heute so unbequeme Zeugen einfach liquidiert. Da aber der Roman weitergehen muss, wird Simonini nach Paris versetzt. Und fälscht dort gewissenhaft Angefordertes. Das sagt wohl weniger über die Intrigen des neunzehnten Jahrhunderts als viel mehr über die bedenkenvolle Bedenkenlosigkeit des Systems Berlusconi. Verbrechen? Jederzeit - und gern! Ziele beibehalten - oh je! Entdeckt werden? Auf alle Fälle Spuren verwischen!

Bekanntlich gehört Eco in seinem Vaterlande selbst zu denen, die sich der Versuchung nie entzogen, auf dem Regierungs-Chef herumzuhacken. Wird es zu langweilig, offenliegende Wunden mit hundert anderen noch einmal aufzupicken - versteck Deine Attacke in etwas, das man wohlwollend auch Roman nennen kann. Und Du hast Deine Sonderstellung gerettet.

Der Angriff auf die Gegenwart - nicht des Zaren, aber die des noch oben befindlichen Universal-Betrügers - wird vor allem in der Zitatenfolge der Schlussempfehlung der "Protokolle" an den russischen Ankäufer spürbar. Da heißt es etwa:

"als angebliches Zitat aus den "Protokollen": Um die Massen daran zu hindern, sich eine eigene politische Meinung zu bilden, werden wir sie mit Vergnügungen, Spielen, Leidenschaften und Volkshäusern  ablenken und zu Wettbewerben in Kunst und Sport aller Art einladen... Wir werden den Wunsch nach ungebremstem Luxus anstacheln,und wir werden die Löhne erhöhen,was aber den Arbeitern keinen Vorteil bringen wird,da wir zur gleichen Zeit die Preise der notwendigsten Lebensmittel erhöhen werden unter dem Vorwand schlechter Ernten... Wir werden versuchen, die öffentliche Meinung zu allen Arten phantastischer Theorien hinzulenken, die irgendwie fortschrittlich oder liberal erscheinen könnten" (S.488ff)

Wozu passt das eher? Zu einem Russland, in dem wenig Arbeiter lesen konnten - oder zum Zustand Italiens mit drei Privatfernsehen in Berlusconis Hand und einem öffentlichen unter der selben Verfügungsgewalt?

Der Antisemitismus wird dem Ankäufer für den Zaren als Zugabe geliefert, steht aber keineswegs im Zentrum dessen, was der Generalfälscher einem jeden System anpreist, welches mit vollem Recht seinen Untergang voraussieht und unter allen Umständen aufschieben will.

Oder: "Was die Zeitungen angeht, so sieht der jüdische Plan eine scheinbare Pressefreiheit vor, die zur besseren Kontrolle der Meinungen dient. So sagen unsere Rabbiner, dass es darum gehen wird, möglichst viele Periodica zu erwerben, oder selbst zu gründen, die verschiedene Meinungen ausdrücken, so dass die Leser denen vertrauen, die scheinbar ihrenMeinungen nahestehen, ohne zu bemerken, dass in Wirklichkeit alle die Meinung der jüdischen Herrschenden wiedergeben...". (S.489 ff) Hier bleibt die Satire etwas zurück hinter den gegenwärtigen Zuständen. Auf jeden Fall funktioniert das Vorgehen auch ganz ohne Juden und Rabbiner vorzüglich - Nicht nur in Italien

Warum nur das umständliche Versteckspiel? Steht es in unserer Zeit schon wieder so, dass die niederschmetterndsten Kopfnüsse für jede Staatsgewalt nur in Velours verpackt abgeliefert werden dürfen?

Roman, 528 Seiten

"Der Friedhof in Prag: Roman" (Kindle Edition) EUR 19,99

"Der Friedhof in Prag: Roman" (Gebundene Ausgabe) EUR 26,00

Prozessbericht vom zweiten Verhandlungstag im Prozess gegen den Stuttgarter Antifaschisten Chris am 16.09.11

Das Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit rief zur Beobachtung des Prozesses gegen einen Stuttgarter Antifaschisten auf. Die Verhandlung fand am 16.09.2011 vor dem Stuttgarter Amtgericht statt. Wir dokumentieren den Bericht der Prozessbeobachergruppe des Bündnisses:

Solidaritätskundgebung am 2. Prozesstag
Foto: Denzinger / Foto: Denzinger / www.die-beobachter.info
Zweiter Verhandlungstag im Prozess gegen den Stuttgarter Antifaschisten Chris am 16.09.11

Am 16.09.11 war vor dem Stuttgarter Amtsgericht der zweite Verhandlungstag des Prozesses gegen den Antifaschisten Chris statt. Die Fortsetzung des Prozesses war durch Beweisanträge der Verteidigung nötig geworden, und weil am ersten Verhandlungstag ein Zeuge der Anklage nicht erschienen war. Zur Erinnerung: Chris war von der Anklage vorgeworfen worden, bei einer Besetzung des Podiums während einer Kundgebung der rassistischen Vereinigung "Pax Europa" während eines "antiislamischen Kongresses" in Stuttgart Körperverletzung, Sachbeschädigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte begangen zu haben. Bei einem Protest gegen den Gründungsparteitag der offen rassistischen Partei "Die Freiheit" am 5.6.10 soll er sich der gemeinschaftlichen Körperverletzung schuldig gemacht haben.

Nachdem sich bereits am ersten Verhandlungstag die Zeugen der Anklage in Widersprüche verwickelten, konnte der neue Zeuge der Anklage, ein Beamter des Erkennungsdienst, auch keine stichhaltige Aussagen liefern. Es blieb darüber hinaus die Frage im Raum, ob die Verwertung der Lichtbilder vom 5.6.10, auf denen Chris nach Auffassung des Gerichts angeblich bei frischer Tat zu erkennen sei, rechtswidrig ist.

Oberstaatsanwalt Häußler plädierte nach Abschluss der Zeugenvernehmung wegen der durch nichts nachzuweisenden Straftaten vom 2.6.10 auf 6 Monate, für die angeblichen Straftaten vom 5.6.10 für ein Jahr Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Indem er auf das Vorstrafenregister des Angeklagten verwies, das vor allem angebliche Verstöße gegen das geltende Versammlungsrecht enthält, sagte er, die vermeintlichen Straftaten vom 2.6. und 5.6.10 seien dem Beschuldigten nicht "wesensfremd".

Der Verteidiger verwies in seinem Schlussplädoyer noch einmal auf die Haltlosigkeit der gesamten Anklage und plädierte auf Freispruch. Obwohl Richterin Burkardt die Aussagen der Belastungszeugen als "Wahrnehmungsüberlagerungen" in tumultartigen Szenen bewertete und damit letztlich die Auffassung der Verteidigung bestätigte, dass die Zeugen nicht die Wahrheit gesagt haben, verurteilte sie Chris zu einer Freiheitsstrafe von 11 Monaten ohne Bewährung und Bezahlung der Gerichtskosten.

In seinem Schlusswort wies Chris darauf hin, dass der Prozess gegen ihn ein politischer Prozess sei, mit dem die Absicht verfolgt wird, den antifaschistischen Widerstand zu kriminalisieren. Darüber hinaus griff er Oberstaatsanwalt Häußler an, der Veröffentlichungen mit durchgestrichenen Hakenkreuzen als Straftat verfolgt, während er die faschistischen Massenmörder beim Massaker vom italienischen Dorf St. Anna während des II. Weltkriegs straffrei lässt. - Die Verteidigung wird gegen dieses Urteil Rechtsmittel einlegen.

Als es bei der Urteilsverkündung unter den 65 Prozessteilnehmern zu erheblicher Unruhe kam, ließ die Richterin den Saal räumen. Weitere 35 Besucher standen auf dem Gerichtsgang, da der Saal nicht für alle Zuschauer ausreichend war. Die Justizbeamten nahmen dann laute Rufe wie "Freiheit für alle politische Gefangenen!" vor dem Saal zum Anlass, den Gang rabiat zu räumen. Auch vor dem Gerichtsgebäude kam es noch zu Gerangel zwischen Polizei und Prozessbesuchern.

Vor der Verhandlung fand vor dem Gerichtsgebäude wie am ersten Verhandlungstag eine Solidaritätskundgebung mit rund hundert Teilnehmern statt. Dabei wurden Solidaritätserklärungen der ver.di-Jugend, des Kreisvorstands der "Linken" und der MLPD verlesen.

Stuttgart, 11.10.2011

Download des Berichtes (PDF Dokument)

Revolution an der Tanzbar: NINA SIMONE - Revolution (1969)

"An artist's duty, as far as I'm concerned, is to reflect the times...How can you be an artist and not reflect the times?"

Nina Simone war eine US-amerikanische Jazz- und Bluessängerin, Pianistin und Songschreiberin. Dabei vermied sie den Ausdruck Jazz, sie selber nannte ihre Musik Black Classical Music. Sie nannte sich mit Nachnamen Simone, da sie ein Fan von Simone Signoret war. (WikiPedia)

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