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Buchbesprechung: Mordnacht in Stammheim - noch einmal überdacht!

Es gibt schon sehr vieles zu Stammheim und den dortigen Praktiken. Nun ist eine neue Untersuchung herausgekommen - von Helge Lehmann. Aufgezogen als Indizienprozess gegen die offizielle Darstellung des Todes von Baader, Ensslin und Raspe und des versuchten Totschlags an Möller.

Der Autor hat kein Selbstexperiment gescheut, um nachzuweisen, dass die Pistolen unter keinen Umständen unter den Umständen und mit den Methoden in die Zellen geschmuggelt werden konnten, wie die öffentlich beaufsichtigte Meinung unter Beihilfe vor allem von Aust es gern sehen würde.

Demnach steht fest:
1. Auch in einer approbierten Demokratie ist die Schar der Insassen des Landes wesentlich dazu bestimmt, sich anlügen zu lassen, und zwar in möglichster Koordination von oben nach unten, vom Bundeskanzler bis zum Zellenwärter

2. Wenn - wie der Autor nachweist-, ziemlich Zeit zur Verfügung stand, um das entführte Flugzeug nach Mogadishu zu bugsieren, dann gab es auch genug Zeit, die auf die Stürmung des Flugzeugs folgende "Selbstmordnacht" zu planen und zu inszenieren. Der Zeitpunkt konnte präzis gesetzt werden, um den gemeinsamen Tod der RAF-Maßgeblichen als Zusammenbruch verstehen zu lassen, als Ergebnis von Reue und Niederlage vor der Staatsgewalt.

3. Fast alle vorhergehenden Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass der Transport von Revolvern in Aktenbehältern auf die staatsweise imaginierte Weise einfach nicht funktioniert.
3a. Um etwas Unmögliches aktenkundig zu machen, musste der neuerfundene Kronzeuge herhalten. Er hieß Speitel und lebt seither gesetzlich geschützt im Ausland und Untergrund.

3a1. Ist erst einmal mit Hilfe des Kronzeugen ein Urteil erstellt, gelten die darin behaupteten Tatsachen als gerichtskundig - und können weiteren Verfahren zugrunde gelegt werden. Ohne aussichtsreiche Anfechtungsmöglichkeiten.

4. Zu den Chancen der Möglichkeit einer kollektiven Mordtat von außen folgt - soweit ich sehe, der Autor weitgehend den Überlegungen von Weidenhammer. Wichtiger Hinweis: das Bild des Gangs mit den Zellen in Stammheim musste nicht ausgeschaltet werden. Die Überwachungskameras waren von sich aus so vernachlässigt oder so manipuliert, dass sie keineswegs alle Fremdschritte registrierten. Damit hätten also Eindringlinge ihre Taten ungesehen begehen und wieder verschwinden können.

Sonst habe ich nicht viel gefunden, was die bisherigen Ergebnisse der Kritiken der offiziellen Weißwaschung wesentlich bereichert hätte.

Und damit kommen wir noch einmal zum Hauptproblem. Nach der Mordnacht selbst waren bis ins liberale Bürgertum hinein viele erschrocken - und nur wenige glaubten den obrigkeitlichen Beteuerungen.
Schon ein Jahr später - war es nicht Peter Schneider mit seinem Kursbuchartikel - "Sand an Baders Schuhen" - wurde Beruhigung gepredigt. Wie es auch gewesen sein mag, wir sind ja alle gegen Gewalt - und RAF bedeutete Gewalt. Also fragen wir nicht lange. Hauptsache, sie sind weg.

Als Weidenhammers Buch beim Malik-Verlag 1988 erschien, in welchem dieser in einer real-phantasy sich den Tatverlauf in Stammheim vorstellte, kam als eine der wenigen überhaupt abgefassten Kritiken schlagend zurück: Aha, ausgerechnet die Mossad soll beim Abschluss-Killen geholfen haben? - Antisemitischer Schmierfink.

Obwohl Mossad nur als Beispiel eingesetzt war - man hätte geradesogut CIA oder gleich BND nennen können, war damit die kurz erwachte Neugier wieder zwangserledigt.

Und so breitete sich - unterstützt von Aust und den psychologisierenden Erklärungen vor allem auch von Koenen die breitenwirksame Vorstellung aus: Gott sei dank, dass wir die los sind. Waren doch alles Spinner.

Damit starb auch die Empfindlichkeit ab gegen die offensichtlichsten Verstöße gegen alle rechtsstaatlichen Hemmungen. Wer kann sich heute noch erregen wegen der Liquidierung von drei Designierten, wenn wir ungerührt zuschauen, wie der Präsident der USA gezielte Morde durch Vernichtungsraketen offen als Erfolge feiert.

Im Augenblick wäre keine Empörung hinzubekommen, und hätte ein gedungener Exekutor von damals auf dem Totenbett bekannt, was er trieb und was er dafür bekommen hatte. Es gäbe einen STERN-Artikel mehr. Nichts weiter.

Solange die Herren dieser Welt sich als Abschusskönige feiern lassen gegen Rechtlose, die nach Gebühr abgeknallt werden, hat jede Enthüllung ihre Sprengkraft verloren.

Wichtiger wäre wohl, die Grundintention der RAF noch einmal nachzulesen - mit ihren Abweichungen, ihren Verirrungen, aber auch ihren unabweisbaren Zielen. Nur in dem Vierkilo-Doppelwerk Kraushaars gegen die RAF habe ich - gegen den Willen des Herausgebers - lange Texte aus der Verteidigungsrede der Angeklagten in Stammheim gefunden. Schwer einzuordnen. Offenbar ist der zugehörige Gesamttext mir auf Deutsch entgangen. So etwas sollte man mal analysieren, um dem Kern der Sache der gerechten und bewaffneten Empörung nahezukommen.

Benutzte Literatur:
"Die Todesnacht in Stammheim. Eine Untersuchung: Indizienprozess gegen die staatsoffizielle Darstellung und das Todesermittlungsverfahren"
Helge Lehmann. 2011. Unter Mitarbeit von Holger Zander.
Mit einer Dokumenten-CD.

Weiterhin:
Karl-Heinz Weidenhammer: "Selbstmord oder Mord? Das Todesermittlungsverfahren: Baader, Ensslin, Raspe"
Neuer Malik-Verlag 1988
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