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Revolutionäre 1. Mai-Demonstration in Stuttgart

Bereits das zweite Mal konnte ich in Stuttgart an der Demonstration „Heraus zum Revolutionären 1. Mai“ teilnehmen. Zwar wird den Schwaben gerne eine beschauliche Ruhe unterstellt, ich bin jedoch jedes Mal wieder überrascht und erfreut wie viele aktive, linke Jugendliche es hier gibt. So stand auch die Demo 2011 am 30. April unter dem Motto: „Wir werden deutlich machen, wofür der 1. Mai steht: Für internationale Solidarität und eine Perspektive jenseits des Kapitalismus!“ Zu diesem Anlass wurde eine gemeinsame 1. Mai Zeitung von der Marxistischen Aktion Tübingen, der Revolutionären Aktion Stuttgart, der Revolutionären Linken Heilbronn und AktivistInnen aus mehreren Städten herausgegeben. Sie behandelte insbesondere das Thema „Alles Extremismus?“.

Bereits im Vorfeld der Demo gab es in Stuttgart die üblichen schikanösen Vorkontrollen der Polizei. Dabei wurden jungen Menschen rote Fahnen abgenommen, mit der Begründung, die Stiele wären zu dick. Besenstiele! Außerdem sollten sie sich abfotografieren lassen, ansonsten wurde mit Platzverweis gedroht. Desweiteren wurde von der Polizei angedroht, wer heute verhaftet wird, kommt nicht vor morgen frei, um eine Fahrt nach Heilbronn zu verhindern. Die Fahnen werden auch nicht eher wieder rausgerückt, da sie ja in Heilbronn genutzt werden könnten, Nazis zu schlagen... Es handelte sich dabei natürlich um reine Schikanen und Einschüchterungsversuche, ist diese Demonstration der Staatsmacht doch ein großer Dorn im Auge!

Um 15.30 Uhr startete die Demonstration nach eine Auftaktkundgebung im Zentrum Stuttgarts. Die Route führte mit mehreren hundert Teilnehmern unter vielen roten Fahnen und mit sehr guten Transparenten durch die Stadt. Dabei blieben leider auch die jährlich wiederkehrenden Provokationen von der Polizei nicht aus. Eine Demonstration, die sich in einen Wanderkessel verwandelt, da darf man schon fragen, wo ist sie denn, die demokratische Meinungs- und Demonstrationsfreiheit, die in diesem Staat so hochgelobt wird, wenn gleichzeitig versucht wird diese Meinungsäußerung so niedrig wie möglich zu halten? Es wurden lautstark viele Parolen gegen Kapitalismus, die Bundeswehr und für eine gerechtere Gesellschaft skandiert. Am Rand wurden Flugblätter an Passanten verteilt, “Leid-tragende waren die Autofahrer, die oft warten mussten. Das störte aber in der Demonstration niemanden.

Während der Demonstration gab es mehrere Zwischenkundgebungen mit Redebeiträgen, die sich einmal um eine deutliche Kritik am kapitalistischen System drehten, anderseits auch die rassistischen Angriffe gegen Migranten, zuletzt im nahen Winterbach, und den geplanten Naziaufmarsch am 1. Mai in Heilbronn thematisierten.

Zeitgleich fand in Stuttgart eine kurdische Demonstration zum 1. Mai statt, in der unter Anderem die Freiheit für Abdullah Öcalan gefordert wurde. Leider war eine Vereinigung der beiden Demonstrationen nicht möglich, nachdem dies von der Polizei verhindert wurde.

Abends gab es ein Politik- und Kulturfest im alternativen linken Jugendzentrum Lilo Herrmann in Stuttgart. Liselotte Herrmann, eine antifaschistische Widerstandskämpferin aus Stuttgart, wurde am 20. Juni 1938 in Berlin-Plötzensee von den deutschen Faschisten hingerichtet. Das Jugendzentrum entstand 2010 und trägt seit dem ihren Namen. Das sagt sicher viel über das sehr gute Verständnis der Menschen aus, die dieses Zentrum betreiben. Bei dem Fest gab es in der Volksküche leckere veganes Essen, ein Quiz mit teilweise sehr schwierigen Fragen zur Politik und mehrere Musikakts.


Zuerst erschienen beim "Roten Blog"

SPD: Noch dümmer werden? Geht das?

Tom Strohschneider stellt seinen Artikel zum Verbleib der Made Sarrazin im weichen Fleisch der SPD unter den Titel: "Dümmer werden". Soll das Frage sein oder Befehl? Am ehesten wohl: Vorgangsbeschreibung. Denn der Prozess der Selbsteinschränkung und der freiwilligen Verblödung fing früh an in dieser Partei.

Die Kommentare zum Artikel erinnerten daran, wie leicht seinerzeit Linken wie Einsele und Abendroth gezeigt wurde, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat. Um so peinlicher jetzt die Anhänglichkeit an einen Blutegel, der sich nicht abzupfen lassen will.

Zur Erinnerung: Ein eklatantes Beispiel für das Anpasserverhalten der SPD die Rauswürfe Abendroths, Einseles und anderer.

"Frau Dr. Helga Einsele. Sie haben dem Frankfurter Parteivorstand mitgeteilt, dass Sie entgegen der Forderung des Bundesvorstandes, nicht bereit sind, aus der Förderergesellschaft des SDS (des Sozialistischen deutschen Studentenverbandes) auszutreten. Mit dieser Entscheidung verlieren Sie Ihre Mitgliedschaft in der SPD Ihr Parteibuch ist Eigentum der Partei und ist bis zum Freitag in der Frankfurter Parteizentrale abzugeben. Willi Wiedemann,
Parteisekretär."
Diesen Brief erhielt Helga Einsele im Herbst 1962, gemeinsam mit Wolfgang Abendroth, Helmut Gollwitzer, Ossip Flechtheim, Fritz Lamm, Walter Fabian, Heinz Brakemeier und vielen anderen Persönlichkeiten der demokratischen Linken der Bundesrepublik (West), die in der SPD nach 1945 eine politische Heimat und einen Ansatzpunkt für sozialistische Politik
gesucht hatten. Ausdrücklich hinzugefügt: Ein Einspruch gegen den Beschluss sei nicht möglich. Vergl. dazu die Schneckensprache einer Nahles.

Damit begann ein weiterer Schritt der SPD zu ihrer heutigen Funktion als Aufrechterhalterin der gesetzlichen Ordnung an sich. Im Herbst wird sie genau so die Volksabstimmungsregeln des Landtags verteidigen. Sie wäre ja schon an sich irgendwie etwa dagegen- aber DIE EHRFURCHT VOR DEM GESETZ !!!

Die Unfähigkeit, einen bekennenden Feind ihrer verbliebenen noch propagierten Grundsätze zu entfernen, stellt nur den gerade offen liegenden Teil ihrer Schlagseite dar. Diese besteht darin, einfach jede einmal getroffene gesetzliche Entscheidung, von wem auch immer, für einen Ewigkeitswert zu halten und seine Anerkennung eisern durchzusetzen. Das gilt vor allem für sämtliche Regulierungen in der EU seit spätestens 1989.

Die SPD ist nicht geneigt, die EU als das Zwangsinstrument zu erkennen und zu bekämpfen, das sie ist. Der jetzt herrschenden EU und ihrer Gesamtbürokratie fehlt nicht nur formal jede Selbstbindung an den Willen der zwangszusammengeschlossenen Gemeinschaften. Sie kämpft bloß noch für den Erhalt eines Machtkerns, der über die Randstaaten terroristische Gewalt in Gesetzesform ausübt.

Keineswegs liegt es nur an der Anfälligkeit der Bewohner Finnlands, Frankreichs, Ungarns usw, dass dort Rechtsparteien breiten Zulauf erhalten. Es liegt vor allem auch an der Selbstentgrätung der jeweils dominierenden SPD-artigen Parteien, die sich suggerieren lassen und selbst weiter suggerieren, für Europa sein müsse heißen: den europäischen Zwangsapparat durch dick und dünn zu verteidigen.

Ein wirklich gemeinsames Europa aber könnte nur von unten her errichtet werden. Nur von daher gedacht. Es müsste nämlich von den Arbeiterorganisationen ausgehen. Solchen Gewerkschaften, die die Sommers und entsprechende Haupthaarbesetzer von sich abgeschüttelt hätten und wirklich dafür kämpfen wollten, dass Arbeitereinheit im ganzen Bereich herrscht und bestimmt.

Es gab bis jetzt noch keinen einzigen solidarischen Schritt auch nur in Süddeutschland, um sich etwa einem französischen Eisenbahnerstreik anzuschließen. Für gemeinsame Ziele. Und weder von der linksrheinischen noch von der rechtsrheinischen SP und ihren seelenverwandten Pendants war dazu ein Wort zu hören.

So lange das in ganz Europa so bleibt, muss die SPD wirklich keine Sarrazins rauswerfen. Wieviele sie da auch am Kragen packen würde, die eigentlichen Selbstzerstörer säßen immer noch in ihr: im blinden Willen zum Selbsterhalt. Zur Macht. Diese SPD wird unweigerlich zum Wurmfortsatz verkümmern.

Die Handlungsanweisung für alle Linken, in und außerhalb der Partei DIE LINKE liegt damit klar auf dem Tisch. Es müssten vor allem Verknüpfungen zu gemeinsamem Vorgehen in und außerhalb der deutschen Grenzen gefunden werden, um internationalistisch einzugreifen. Eingreifen zu lernen. Von da aus müssten Signale gesetzt werden für eine andere Europa-Politik von unten. Aus den Bewegungen heraus. Nur so wird die pervertierte EG-Feindschaft der Rechten in Frankreich und Finnland sich zurückschlagen lassen.

kritisch-lesen.de Nr. 2 - "140 Jahre Paris Commune"

Cover Ausgabe 2
Foto: © Jörg Möller
Heute erschien die zweite Ausgabe der Online-Rezensionspublikation kritisch-lesen.de. Schwerpunkt diesmal: Bewegung damals und heute zum 140 Geburts-/Todestag der Pariser Commune.

Das Bild zeigt den Ausschnitt eines Graffito in Paris heute. Diese Ausgabe soll 140 Jahre zurück reichen und die Geschehnisse um die Pariser Commune nachzeichnen. Zum Hintergrund: Nach der Niederlage Napoleons III und seiner Gefangennahme 1870 folgten zwei Oppositionsgruppierungen, die die Regierung Frankreichs in die Hände nehmen wollten. Zunächst die bürgerlich-republikanische Gruppe unter Adolphe Thiers, dann aber -“ zur allgemeinen Überraschung -“ erstmals unter proletarischer Führung, zumindest mit dem Anspruch, dem Proletariat zum Sieg zu verhelfen. Die Welt erlebte den tiefen Riss zwischen zwei Ideen von “Republik-: der Vorfriedens der Vorfrieden von Versailles, der die Diktatur der Bourgeoisie aufrechterhalten wollte gegen die Kämpfer_innen der Commune. Wer dabei gewann und wer verlor, ist inzwischen bekannt. In dieser Ausgabe soll es darum gehen, solche Revolutionär_innen sprechen zu lassen und mit diesen Erfahrungen der Geschichte einen Blick zu wagen in die Gegenwart und Zukunft revolutionären Widerstands.

Den Anfang machen Sebastian Friedrich und Andrea Strübe mit der Rezension zu der Geschichte und dem aktuellen Stand der autonomen Bewegung im deutschsprachigen Raum. Anhand des Bandes Perspektiven autonomer Politik wird die Vielfältigkeit, das Einnehmen verschiedener Perspektiven dieser Bewegung als Stärke hervorgehoben. Anschließend erinnert Fritz Güde in drei Rezensionen an Zeitzeug_innen jener Epoche und Ereignisse: Das Leben der Dichterin Louise Michel wird anhand ihrer Memoiren in ihrer aufbegehrenden und unbeugsamen Haltung gegen Herrschaft -“ auch in der Commune nachgezeichnet. Die Rolle des Malers Gustave Courbet, der umstrittenermaßen dem Realismus zugerechnet wird, und seine politische Motivation werden, auch in Bezug zu den Ereignissen, untersucht. Und schließlich die Memoiren eines Revolutionärs, kein direktes Zeugnis jener Tage in Paris, sondern des Fürsten Kropotkin im zaristischen Russland. Dabei geht es dem Rezensenten weniger um dessen theoretische Auseinandersetzungen, als um dessen Lebensbeispiel als Kämpfer der Revolution.

In der Rezension zu Bertolt Brecht vom Karlsruher Professor Jan Knopf zeichnet Fritz Güde dessen merkwürdigen Versuch nach, die Commune aus dem kollektiven Gedächtnis zu löschen, zumindest in der Art, dass er sie in der Neuauflage seines Buches zu Brecht plötzlich verschwinden lässt. In zwei weiteren Rezensionen fragt zum einen Dirk Brauner, warum es zum Empören den Appell Empört euch! braucht, findet jedoch die Rhetorik des sich in aller Munde befindenden Pamphlets nicht genug. Adi Quarti schildert in der Besprechung zu Identität von Jean-Luc Nancy, wie dieser die französische Debatte um Identität auseinandernimmt.

In dem Archiv-Beitrag zu Wir sind überall betont Adi Quarti den guten Über- und Einblick, den das Buch in die internationale globalisierungskritische Bewegung gibt. Gerald Whittle schließlich widmet sich dem Werk FAU: Die ersten 30 Jahre.

Der Ausgabe liegt eine Zeittafel bei, auf der die historischen Ereignisse vor 140 Jahren skizziert werden.

Abschließend sei noch auf unseren Newsletter hingewiesen. Wer immer rechtzeitig über die neuesten Ausgaben per Mail informiert werden will, sollte sich unbedingt mit Email-Adresse bei unserem Newsletter anmelden.

Viel Spaß beim (kritischen) Lesen!

BESPRECHUNGEN ZUM SCHWERPUNKT

Bewegte Blicke
ak wantok (Hg.): Perspektiven autonomer Politik


Im Sammelband wird umfassend und abwechslungsreich der Ist-Stand der autonomen Bewegung im deutschsprachigen Raum nachgezeichnet.
Von Sebastian Friedrich und Andrea Strübe | 28. April 2011

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Das „Flintenweib“ als Rächerin allen ungelebten Lebens
Louise Michel. Memoiren. Übersetzt von Claude Acinde


Louise Michel, nach ihrem Auftreten an den Barrikaden der Commune vom Bürgertum als pétroleuse verabscheut, vom Proletariat zur roten Jungfrau geheiligt, entzog sich bei Abfassung ihrer Memoiren beiden Festlegungen, um sich als Vertreterin des Lebensrechts alles Geschaffenen neu darzustellen und zu erfinden.
Von Fritz Güde | 28. April 2011

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Realismus - Ausweitung des Blickfelds
Georges Riat: Katalog: Gustave Courbet. Übersetzt von Caroline Eydam


Das Reale, welches Gustave Courbet aus dem Dunkel der Nichtbeachtung hervorzieht, entzieht sich jeder vorwegnehmenden Beurteilung - und allen Herrschaftsrücksichten.
Von Fritz Güde | 28. April 2011

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Memoiren eines Revolutionärs
Peter A. Kropotkin: Memoiren eines Revolutionärs. Band I und Band II


Die Erinnerungen Kropotkins sind zu weitreichend, um sie an dieser Stellenachzuerzählen - Anlass zur Würdigung bieten sie allemal.
Von Fritz Güde | 28. April 2011

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Brechts unterschlagene Commune

Bertolt Brecht: Leben Werk Wirkung (Suhrkamp BasisBiographien)

In der früheren DDR wurde die Commune von 1871 oft gerühmt, selten als Vorbild studiert. Konkrete Erinnerung störte. Was aber brachte Professor Knopf dazu, im freien Westen die Existenz der Commune von Brecht völlig zu verschweigen?
Von Fritz Güde | 28. April 2011

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WEITERE AKTUELLE BESPRECHUNGEN


Kritik der nationalen Identität
Jean-Luc Nancy. Identität: Fragmente, Freimütigkeiten

Jean-Luc Nancy untersucht die philosophische Tragweite der französischen Debatte um „nationale Identität“.
Von Adi Quarti | 28. April 2011

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Leider nur ein Hauch
Stéphane Hessel: Empört Euch!


Das Pamphlet "Indignez-vous!" (Empört euch!) sorgt derzeit für einige Aufregung, was verwundert, weil nichts Aufregendes geschrieben steht.
Von Dirk Brauner | 28. April 2011

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REZENSIONEN AUS DEM ARCHIV

Wir sind überall
Notes From Nowhere (Hg.): Wir sind überall: weltweit. unwiderstehlich. antikapitalistisch


Der globalisierungskritische Reader "Wir sind überall" stellt eine umfangreiche und ausführliche Einführung in dieses komplexe Thema dar.
Von Adi Quarti | 1. April 2007

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FAU: Die ersten 30 Jahre
Roman Danyluk/ Helge Döhring (Hg.): FAU: Die ersten 30 Jahre


Der Band beleuchtet die Geschichte der mittlerweile seit 30 Jahren bestehenden anarcho-syndikalistischen Freien ArbeiterInnen Union (FAU).
Von Gerald Whittle | 1. Dezember 2008

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Stuttgart: Heraus zum Revolutionären 1. Mai 2011!

Wir dokumentieren den Stuttgarter Bündnisaufruf für einen revolutionären 1. Mai 2011:
Heraus zum Revolutionären 1. Mai 2011!

Der Erste Mai ist seit vielen Jahrzehnten der internationale Kampftag an dem Arbeiterinnen und Arbeiter, Studierende, Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Erwerbslose gemeinsam auf die Straße gehen. Weltweit demonstrieren an diesem Tag Millionen von Menschen und fordern ein besseres Leben und ein Ende des kapitalistischen Systems.

Gemeinsam gegen die Angriffe des Kapitals!
Für die große und größer werdende Mehrheit der Weltbevölkerung sind die Auswirkungen des Kapitalismus Hunger, Krieg, Krankheit, Armut, Überlebenskampf. Auch in der BRD schreiten die Angriffe des Kapitals auf die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen voran. Nur ein Beispiel aus der Automobil- und Zuliefererindustrie in der Region Stuttgart: Nachdem monatelang von Krise und damit verbundenen Entlassungen, Kurzarbeit, Sach- und Sparzwängen die Rede war, soll es nun plötzlich wieder einen „Aufschwung“ geben. Tausende von ArbeiterInnen, die zuvor entlassen wurden, werden nun über Zeitarbeitsfirmen wieder eingestellt, in äußerst prekären Arbeitsverhältnissen. Sie beziehen einen weit geringeren Lohn als zuvor, haben quasi keinen Kündigungsschutz und für betriebliche Auseinandersetzungen um Lohn, Arbeitszeiten oder auch um politische Fragen, beispielswiese in Form von gewerkschaftlichen Protestaktionen und Streiks, sind sie mit bedeutend weniger Rechten ausgestattet, als die übrig gebliebene Stammbelegschaft. Obendrein wird die Leiharbeit, die übrigens nicht erst von der schwarz-gelben Regierung eingeführt wurde, sondern bereits unter dem Rot-Grünen Kanzler Schröder, als ständiges Druckmittel gegen die Stammbelegschaft eingesetzt. Frei nach dem Motto: wenn ihr euch nicht so verhaltet wie es uns passt, findet auch ihr euch bald in prekären Arbeitsverhältnissen wieder.
In Ansätzen erheben sich Proteste gegen diese Zustände, die Aktionen müssen jedoch um ein Vielfaches verstärkt und vorangetrieben werden.

Schluss mit der staatlichen Repression!
Egal ob gewerkschaftliche Protestaktionen und Streiks, Demonstrationen und Blockaden gegen das Milliarden-Projekt Stuttgart 21, antifaschistische Aktionen, Aktivitäten gegen Krieg und Militarisierung oder andere widerständige und linke Mobilisierungen: viele Menschen die sich an diesen Aktivitäten beteiligen sehen sich schon bald mit der staatlichen Repression konfrontiert. Ordnungsämter versuchen mit Auflagen die Protestaktionen bereits im Vorfeld zu beeinträchtigen. Die Polizei geht mit Pferden, Hunden, Pfefferspray, Schlagstöcken und Wasserwerfern gegen Demonstrationen vor. Hausdurchsuchungen, Untersuchungshaft und Gerichtsverfahren gegen Aktivistinnen sind bereits Alltag. Geheimdienste und die Polizei setzen Verdeckte Ermittler ein, um die Strukturen Linker AktivistInnen auszuspähen. Doch all Dies wird uns nicht entmutigen. Dass die Staatsgewalt mit mehr oder weniger offener Härte zuschlägt, zeigt, dass wir einen wunden Punkt getroffen haben. Auch auf unserer diesjährigen Mai-Demo werden wir uns keinen Falls von einem Bullenaufgebot einschüchtern lassen!

Gegen imperialistische Kriege und Aufrüstung!
Doch nicht nur die Innere Aufrüstung und Aggression in Form von Polizei und Geheimdiensten steht derzeit hoch im Kurs. Die BRD rüstet auch militärisch weiter auf (so wurde beispielsweise von Regierungskoalition und Sozialdemokraten der Etat zum Kauf neuer Militärtransportflugzeuge um 2,5 Milliarden Euro aufgestockt) und beteiligt sich nach wie vor an Kriegen und Militäreinsätzen, z.B. in Afghanistan und vor den Küsten Somalias. Erst vor wenigen Monaten wurde das Bundeswehrmandat für den Kriegseinsatz in Afghanistan gegen die Proteste aus der Bevölkerung verlängert. Dabei wird inzwischen auch mehr oder weniger offen gesagt, wobei es darum geht: weder um Demokratie, noch um Frauenrechte, sondern darum, dem deutschen Kapital neue Absatzmärkte zu schaffen und die Zugangswege zu strategisch wichtigen Rohstoffvorkommen unter die eigene Kontrolle zu bringen. Ein weiteres Ziel solcher militärischen Interventionen ist es stets, den politischen Kräften zur Macht zu verhelfen, die zur Kooperation bereit sind und auf Kosten der Bevölkerung die Interessen des Kapitals der westlichen Staaten zu bedienen. Es handelt sich weder bei dem Kampfeinsatz in Afghanistan noch bei den Luftschlägen gegen Libyen um sogenannte „humanitäre Interventionen“, sondern um imperialistische Interessensicherung.
Neben den deutschen Kriegseinsätzen sind Waffenexporte und sonstige Unterstützungen für reaktionäre Regimes und Machthaber, zur weltweiten Wahrung der Kapitalinteressen an der Tagesordnung. Deutsche Regierungen waren immer vorne mit dabei, wenn es darum ging, die Despoten der Nordafrikanischen Staaten zu hofieren. Das deutsche Kapital machte dort schließlich gute Geschäfte.
Welches Fleckchen Erde auch als nächstes die Begierde der imperialistischen Staaten weckt und darauf hin mit einem Militärschlag zu rechnen hat: wir werden den Widerstand gegen Krieg und Aufrüstung weiterführen und entwickeln. Feuer und Flamme für Nato und Bundeswehr!

Solidarität mit den weltweiten Kämpfen um Befreiung!
Dass die Menschen in Tunesien und Ägypten ihre alten Herrscher in die Wüste gejagt haben begrüßen wir. Es gilt dort und weltweit, die Gewerkschaftsbewegung, linke und revolutionäre Gruppen und Parteien, soziale Initiativen und WiderstandskämpferInnen zu unterstützen. Ganz besonders am 1. Mai solidarisieren wir uns mit den Unterdrückten und Ausgebeuteten, sowie mit den fortschrittlichen und kämpferischen Kräften auf allen Erdteilen. Auch hier in Europa zeigen beispielsweise die Streikenden in Griechenland, Italien und Frankreich, dass es eine Perspektive jenseits kapitalistischer Sach- und Sparzwänge gibt. Erste zaghafte Versuche, eine breite Streikfront aufzubauen gibt es auch in Portugal. Dies sind nur wenige Beispiele, aus denen wir lernen können, wie wir im Sinne der internationalen Solidarität unsere Kämpfe entfalten und vorantreiben können.

Faschisten bekämpfen -“ zusammen -“ auf allen Ebenen -“ mit allen Mitteln!
Dem Gedanken der Internationalen Solidarität und dem Kampf nach gesellschaftlicher Umwälzung und Befreiung entgegen stehen die Rechten und Faschisten. Egal ob in Form der NPD, in Form von sogenannten „Freien Kameradschaften“ oder einzelner Hetzer wie Sarrazin -“ wo sie auftreten und durch ihre menschenverachtende Propaganda vermeintlich einfache Lösungen für gesellschaftliche Probleme anbieten, werden auch wir sein um dies zu unterbinden. Wir werden es daher nicht zulassen, dass die Faschisten erneut versuchen, den 1. Mai für ihre menschenverachtende Hetze zu missbrauchen. Es gilt, den Naziaufmarsch am 1. Mai in Heilbronn, auf den süddeutschlandweit mobilisiert wird, zu verhindern. Am Ersten Mai kämpfen wir für eine solidarische und selbstbestimmte Gesellschaft jenseits von rassistischem und nationalistischem Stumpfsinn.

Am Vorabend, Samstag, den 30. April, wird es in Stuttgart eine kraftvolle revolutionäre Demo geben. Hier werden wir wie seit 2004 in jedem Jahr mit mehreren hundert Menschen gemeinsam für eine Perspektive jenseits des Kapitalismus auf die Straße gehen.

Im Anschluss an die Demonstration findet ein großes Polit- und Kulturfest im und um das linke Zentrum Lilo Herrmann statt. Es wird dort Infotische, Stellwände und Auftritte u.a. vom Freien Chor und dem Polit-HipHoper Crument geben.

Demonstration:
Samstag, 30. April um 15 Uhr Stuttgart

Internationales Polit- und Kulturfest:
Samstag, 30. April ab 18 Uhr im Linken Zentrum Lilo Herrmann, Böblinger Str. 105, Stuttgart-Heslach

Aktivitäten zum 1. Mai und gegen den Naziaufmarsch:
Sonntag, 01. Mai ab 10 Uhr in Heilbronn



Blockadeaufruf für Heilbronn: www.heilbronn-stellt-sich-quer.tk

Webseite der Gruppen der Initiative für einen Revolutionären 1. Mai in Stuttgart: www.erstermai-stuttgart.tk

Aufruf der Gruppen des Antifaschistischen und Antimilitaristischen Aktionsbündnisses zum 1. Mai: www.3a.blogsport.de / www.revomai.de als PDF: Aufruf des 3A-Bündnisses




SPD: Sarrazin umarmt und abgeknutscht! Warum so gemein gegen Präsident Ali von Tunesien?

Zu Ostern quoll es allen so warm ums Herz. Vor allem denen in der SPD, die trotz Jugendweihe doch um die Zeit herum immer auch Erstkommunikanten geworden waren.

Was war damals das Wichtigste? Seinen Feinden verzeihen. Wie auch wir die Gnadenhand eines Tages auf dem kahlen Schädel spüren wollen.

Und bei Licht betrachtet: Nicht nur, dass mehr als eine Million Käuferinnen und Käufer Sarrazins Buch immerhin mal gekauft haben. Und fürs Lesen die Jahre nach der Pensionierung vorgesehen. Vor allem aber. Sarrazin hat es recht gemeint. Das war bei uns daheim immer das wichtigste. Er hat doch bloß beim Integrieren helfen wollen.

Wer so etwas aufrichtig will, der darf nicht ausgeschlossen in der Kälte verharren.Er gehört an Vater Steinmeiers Arm und an Mutter Nahles Brust. Ostergnade überall!

Nur eins verstehe ich nicht: warum dann die "sozialistische Internationale" unter entsprechendem Vorsitz immer noch so gemein zu Präsident Ali von Tunesien ist. Hat der es weniger gut gemeint mit Europa als Sarrazin in Deutschland? Hat er nicht - genau wie Sarrazin - alles getan, um Europa von unerwünschten Heidenkindern fern zu halten. Die man schließlich nachträglich erst mühsam integrieren müsste. Auch er hat es gut gemeint. Und - ehrlich gesagt - dass er unerwünschte Mitglieder des islamischen Glaubens gezwiebelt hat, wo er nur konnte: Wer will ihm das verdenken? Und Personen, die immer noch ein wenig zu sehr an Marxens Mantel hängen, hat er auch nicht viel schärfer bekämpft als unsere SPD. Aktion draußen bleiben, man erinnert sich.

Also: Nächstenliebe nicht an Europas Grenzen versiegen lassen. Präsident Ali - komm wieder zu uns! Und allen Menschenkindern, die weiterhin an den Osterhasen glauben, ein allerstärkstes Wohlgefallen. Mit Händchenhalten um den Eiertisch.

kritisch-lesen.de Nr. 1 - "Antimuslimischer Rassismus"

Bild: Jörg Möller
Das Bild zeigt die Khadija-Moschee in Berlin-Heinersdorf während der Bauphase. Laut der Berliner Opferberatungsstelle ReachOut wurden während der Grundsteinlegung am 2.1.2007 drei Teilnehmer_innen von Anhängern der Interessensgemeinschaft Pankow-Heinersdorfer Bürger (IPAHB) bedrängt und geschlagen. Dies ist nur ein Beispiel, wie sich antimuslimischer Rassismus ausdrücken kann. Weniger um den Ausdruck, sondern mehr um die Inhalte dieser Form des Rassismus wird es schwerpunktmäßig in dieser Ausgabe gehen. 

Zu Beginn wollen wir mit der Broschüre von ReachOut den Fokus auf Möglichkeiten der Interventionen richten. Laut der Rezensentin Regina Wamper sei in Rassistische Verhältnisse Rassismuskritik „deutlich, offensiv und klug“ zu finden. Solche Kritik ist dringend nötig, ruft man sich in Erinnerung, wie ein Sozialdemokrat und Bundesbanker letztes Jahr mit der Verkündung von Deutschlands Abschaffung erfolgreich einen „Bauchladen der Ausgrenzungsdiskurse“ feilbot, den Sebastian Friedrich und Hannah Schultes in ihrer Rezension näher analysieren. FAZ-Feuilletonchef Patrick Bahners hingegen zog sich mit seiner Kritik an der „Islamkritik“ in Die Panikmacher den Zorn des eigenen konservativen Lagers zu, was Thomas Wagner in seiner Besprechung als Ausdruck der Gespaltenheit des Bürgertums interpretiert. Auf die Existenz eines Feindbild Moslem machte Kay Sokolowsky bereits 2009 aufmerksam und wird von Rezensent Sebastian Friedrich für diesen Verdienst, gute Recherche und Lesbarkeit gelobt. Einblick in die wissenschaftliche Diskussionen über das Thema antimuslimischer Rassismus bieten die Rezensionen von Michael Lausberg und Hannah Schultes zu den Sammelbänden Islamophobie in Österreich und Islamfeindlichkeit -“ Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen. Als zweifelhafte Abgrenzung betrachtet Sebastian Friedrich in seiner Analyse von Udo Ulfkottes Vorsicht Bürgerkrieg die Unterscheidung zwischen Rechtspopulismus und Rechts“extrem“ismus. Auch die Vorschläge bezüglich Datenschutz und Bildungspolitik in Kirsten Heisigs Bestseller Das Ende der Geduld sind nach Meinung von Fritz Güde sehr kritikwürdig.

In den anderen beiden Besprechungen geht es um Widerstände. Thomas Trüten empfiehlt den neu aufgelegten Roman Die Monkey Wrench Gang als „lesenswerte und inspirierende Anleitung dafür, wie man im wahrsten Sinne des Wortes Sand ins Getriebe streuen kann“. Eine andere Form des Widerstands -“ wenn auch zu ganz anderen Bedingungen -“ wird in Jeder stirbt für sich allein von Hans Fallada dargestellt. Dieses ebenfalls neu aufgelegte Werk aus dem Jahr 1947 wird momentan in den bürgerlichen Feuilletons begeistert gefeiert. Fritz Güde findet es „als Lebenszeugnis unvergesslich“, auch wenn es politisch zu kritisieren ist.

Abschließend sei noch nochmals auf unseren Newsletter hingewiesen. Wer immer rechtzeitig über die neuesten Ausgaben per Mail informiert werden will, sollte sich unbedingt mit Email-Adresse bei unserem Newsletter anmelden.

BESPRECHUNGEN ZUM SCHWERPUNKT

Kritische Reflexionen
ReachOut (Hg.): Rassistische Verhältnisse. Ausblicke - Tendenzen - Positionen


Fast pünktlich zum zehnjährigen Jubiläum veröffentlichte "ReachOut -“ Opferberatung und Bildung gegen Rechtsextremismus, Rassismus und
Antisemitismus" eine abwechslungsreiche und überaus lesenswerte Broschüre.

Von Regina Wamper | 14. April 2011


Bauchladen der Ausgrenzungsdiskurse
Thilo Sarrazin: Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel
setzen


Viel (zu viel) wurde über das Scheißbuch eines vermeintlichen Tabubrechers gesagt und geschrieben -“ wir wagen trotzdem mit ein bisschen Abstand
nochmal einen Blick.

Von Sebastian Friedrich und Hannah Schultes | 14. April 2011

Gespaltenes Bürgertum
Patrick Bahners: Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift


FAZ-Redakteur Patrick Bahners entlarvt die neokonservative Islamkritik als Panikmache und wird dafür im eigenen Lager heftig attackiert.
Von Thomas Wagner | 14. April 2011

Die Ausbreitung und Verfestigung des Feindbildes Islam in Österreich
John Bunzl / Farid Hafez (Hg.): Islamophobie in Österreich


Eine interdisziplinär orientierte Studie zeigt in erschreckender Weise die verschiedenen Facetten eines hauptsächlich negativ konstruierten
Islambildes in der Alpenrepublik.
Von Michael Lausberg | 14. April 2011

Kritik der „Islamkritik“
Thorsten Gerald Schneiders (Hg.): Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen


Wer sich in der gegenwärtigen Islamdebatte nicht integriert fühlt, dem_der zeigt der Sammelband „Islamfeindlichkeit“, dass er_sie damit nicht alleine ist. 30 Wissenschaftler_innen legen darin Grundlegendes zum Thema antimuslimischer Rassismus dar.
Von Hannah Schultes | 14. April 2011


Plädoyer für Überwachung
Kirsten Heisig: Das Ende der Geduld. Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter


Kirsten Heisig wandelt zwar im Denkgefolge Sarrazins, macht allerdings keinerlei Aussagen zu Muslimen /an sich/. Dafür plädiert sie für ein
umfassendes Überwachungssystem in "gefährdeten Bezirken" nach dem Vorbild der USA.
Von Fritz Güde | 14. April 2011

WEITERE AKTUELLE BESPRECHUNGEN

Öfter mal stilllegen
Edward Abbey: Die Monkey Wrench Gang


Der Roman liefert auf unterhaltsame Weise Inspirationen, wie man im wahrsten Sinne des Wortes Sand ins Getriebe streuen kann.
Von Thomas Trueten | 14. April 2011


Drittes Reich: Nur Land der entfesselten Unterwelt?
Hans Fallada. Jeder stirbt für sich allein


Fallada entwirft in seinem letzten Roman das Bild eines einsamen und folgenlosen Widerstandes, wie er ihn selbst gern ausgeübt hätte. Zu diesem Zweck verbirgt er sich selbst das Gesamtbild faschistischer Herrschaft.
Von Fritz Güde | 14. April 2011


REZENSIONEN AUS DEM ARCHIV


Feindbildhauer
Kay Sokolowsky: Feindbild Moselm

Kay Sokolowskys Buch über neuesten deutschen Rassismus.
Von Sebastian Friedrich | 1. Januar 2010<


Zweifelhafte Abgrenzung
Udo Ulfkotte: Vorsicht Bürgerkrieg. Was lange gärt wird endlich Wut


Udo Ulfkotte unterstreicht in seinem neuen Buch seine Ambitionen, Rechtspopulismus in Deutschland zu verankern. Die Abgrenzungen zum
Rechts"extrem"ismus sind dabei nichts weiter als Phrasen.
Von Sebastian Friedrich | 1. September 2009

DIE NÄCHSTE AUSGABE ERSCHEINT AM 28.04.

Rechte Kleptomanie?

In diesem Sammelband finden sich neben profunden Analysen zu den vermeintlichen Übernahmeversuchen von Inhalten, Ausdrucksformen und Strategien seitens der extremen Rechten sehr ergiebige Ansätze für offensive linke Politik.
Die Übernahme von vermeintlich linken Themen, Codes und Strategien durch extreme Rechte ist kein neues Phänomen, dennoch scheint die Problematik in letzter Zeit innerhalb der Linken nicht nur durch sogenannte Autonome Nationalisten an Bedeutung gewonnen zu haben. Eine der umfassendsten und tiefgreifendsten Publikationen der letzten Jahre zu diesem Thema ist der im Herbst 2010 beim Unrast Verlag erschienene Sammelband Rechte Diskurspiraterien. Es handelt sich um den Reader eines im November 2009 stattgefundenen Colloquiums des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS). Doch nicht nur die Aktualisierung der dort gehaltenen Referate und die Ergänzung durch weitere Beiträge machen den Sammelband zu mehr als einer schlichten Tagungsdokumentation. Im Zentrum stehen Adaptionen, Umdeutungen und Deutungskämpfe von rechts. Dort werden Symbole linker Bewegungen genutzt und mit eigenen Aussagen verknüpft. Diese Operationen finden laut den Herausgeber_innen Regina Wamper, Helmut Kellershohn und Martin Dietzsch insbesondere auf drei Ebenen statt: Auf der inhaltlichen geht es um Deutungskämpfe in Themenfeldern, die traditionell links besetzt sind, auf der kulturell-ästhetischen um die Adaptionen von Codes und Symbolen und drittens um die Übernahme strategischer Optionen. Dieses weite Feld wird im Sammelband in 15 Beiträgen umfang- und kenntnisreich behandelt.

Kontext

Zunächst wird eine aktuell-politische Kontextualisierung vorgenommen. Neben der Strategiediskussion innerhalb der „faschistischen Weltanschauungspartei“ NPD (S. 39), bei dem der Kampf um die Parteispitze Anfang 2009 laut Martin Dietzsch vor allem eine Auseinandersetzung um taktische Optionen war, geht Helmut Kellershohn auf das Netzwerk des Jungkonservatismus im Umfeld der extrem rechten Wochenzeitung Junge Freiheit (JF) und dem Institut für Staatspolitik (IfS) ein. Hier zeigen sich ebenso unterschiedliche Positionen: Während das IfS-Umfeld auf den Aufbau einer Gegenelite setzt, ist die JF an dem Aufbau einer rechten Sammlungsbewegung interessiert. Sowohl bei NPD als auch JF und IfS sind die Differenzen im Wesentlichen strategischer Natur. Die gemeinsame ideologische Klammer ist der völkische Nationalismus. Christina Kaindl untersucht desweiteren die Zustimmung von extrem rechten Positionen und Parteien im Lichte von Krisenzeiten. Ihr Befund: Die extreme Rechte konnte aus der Krise keinen Profit schlagen, was daran liegt, dass die Lücke der Repräsentation für herrschende Parteien geschlossen wurde. Die Bevölkerung misstraue zwar den Banken mehr, baue aber zugleich mehrheitlich auf die Regierung. Eine mögliche Stärkung der Rechten stehe auch im Zusammenhang mit der Arbeit der politischen Linken. Diese müsse sich bemühen, „Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung jenseits der autoritären und nationalen Momente des Fordismus in einem neuen Projekt globaler Solidarität aufzuheben.“ (S. 52)

Mit den historischen Vorbildern befassen sich die folgenden drei Beiträge. Sabine Kebir zeigt die Kontinuität des Gramscismus von rechts am Beispiel von Napoleon III., Mussolini und Goebbels auf. Sie appelliert, für die Linke nützliche Begriffe, die von rechts vereinnahmt und übernommen wurden, nicht einfach aufzugeben, denn der „Kampf um Hegemonie ist auch Kampf um Begriffe“ (S. 76). Volker Weiss zeigt in seinem Beitrag, wie der Sozialismusbegriff nach dem Ersten Weltkrieg von Moeller van den Bruck und Spengler adaptiert wurde. „Sie okkupierten Begriffe des Gegners und brachten sie, versehen mit einer wesentlich anderen Bedeutung, wieder in den politischen Diskurs ein.“ (S. 95) Anhand der französischen Nouvelle Droite zeigt Volkmar Woelk, dass „verstärkt auf die nationalbolschewistischen Ideen aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts zurückgegriffen wird“ (S. 113). In Deutschland würden sich extreme Rechte jedoch eher in der Tradition der NSDAP verorten, eine ideologische Trendwende hin zu nationalrevolutionären Ideen sei momentan auch aufgrund einer dünnen intellektuellen Personaldecke nicht zu erwarten.

Deutungen, Symbole und Aktionsformen

Rechte Interventionen in Gegendiskurse werden anhand dreier exemplarischer Themenfelder dargestellt. Renate Bitzan analysiert „nationalen Feminismus“ und wie von einer Minderheit innerhalb der extremen Rechten das Feindbild Feminismus aufgegeben und völkisch umgedeutet wird. Sie schlägt vor, den Feminismus-Begriff allgemein auf Herrschaftskritik zu beziehen, da sich somit Anschlussfähigkeit nach rechts minimieren ließe. Richard Gebhardt grenzt völkischen von linkem Antikapitalismus ab. Während letzterer idealtypisch eine „gebrauchswert- und bedürfnisorientierte Produktionsweise“ unter „universeller gesellschaftlicher Kontrolle“ fordere (S. 146), formulierten extreme Rechte einen anderen Antikapitalismus, den Gebhardt in acht Schlussfolgerungen zu fassen versucht -“ und zur Diskussion stellt. Auch in Sachen „Friedenspolitik“ versucht die extreme Rechte linke Themenfelder zu besetzen. „Frieden“ werde laut Fabian Virchow völkisch-nationalistisch, anti-amerikanisch und antisemitisch gefasst. Es werde auf die nationalen Interessen, Großraum- und Reichsideen und Militarisierung der Gesellschaft abgezielt. Die Wirkmächtigkeit rechter „Friedens“-Diskurse ließe sich zum einen durch ihre Dekonstruktion und durch „eine kritische Prüfung und Präzisierung manch linker Beiträge“ beschränken (S. 163). Die drei Beiträge zeigen, dass bei den Adaptionen vor allem Begrifflichkeiten entwendet werden, die Inhalte sich aber aus den vorhanden Traditionen und Wissensvorräten der extremen Rechten speisen.

Ähnlich verhält es sich auf der ästhetischen Seite, wobei hier erschwerend hinzu kommt, dass Zeichen mehr noch als Begriffe ver- und entwendungsfähig sind. Das lässt sich unter anderem am Phänomen der Autonomen Nationalisten (AN) festmachen, mit denen sich Lenard Suermann in seinem Beitrag befasst. Die Suche nach zeitgemäßen Ausdrucksformen der NS-Bewegung begann nicht erst mit den AN. „Vielmehr scheint die Fähigkeit, sich den Umständen gemäß anzupassen, seit dem Entstehen der NS-Bewegung ein -šMotor-˜ gewesen zu sein.“ (S. 189) Christoph Schulze und Regina Wamper zeigen am Beispiel der Hardcore- und Straight Edge-Bewegung, dass es sich häufig nicht um schlichte Vereinnahmungen seitens der extremen Rechten handelt. Vielmehr sei Hardcore nie eine genuin linke Kultur gewesen, auch wenn sich etwa Konzertgäste mehrheitlich politisch links verorten. Dennoch sei der sich isoliert entwickelte „Nazi-Hardcore völlig separiert von der Hardcore-Szene, Misch-Szenen sind nicht existent“ (S. 222). Anhand der marginalen „Konservativ-subversiven Aktion“ um Götz Kubitschek stellt Helmut Kellershohn exemplarisch dar, wie versucht wird, linke Protestformen anzuwenden. Hier wird nicht nur durch direkte Bezüge die Überschneidung von faschistischen und konservativ-revolutionären Begründungszusammenhängen im Sinne Marinettis, Benns, Jüngers und Co. deutlich.

Gegenstrategien

Ein besonderer Vorzug des Sammelbands liegt darin, dass nicht auf der Ebene von Analyse und Kritik verharrt wird, sondern im besten Sinne kritischer Wissenschaft dem Aktivismus Handwerkszeug angeboten wird. Regina Wamper und Siegfried Jäger schlagen als wissenschaftliches Projekt ein Forschungsprogramm zur Untersuchung von Völkischem Nationalismus (VN) in Mainstream-Diskursen vor. Ihre ausführliche Skizze habe eine Untersuchung zum Ziel, die häufige Beschränkung auf extrem rechte Diskurse zu überwinden, denn „Kernideologeme des VN finden sich (...) auch verbreitet in der Gesamtgesellschaft“ (S. 257). Abschließend kritisiert Jens Zimmermann das „Extremismuskonstrukt“ aus forschungspraktischer und -“logischer Perspektive. Er zeigt anhand einer Schrift von Uwe Backes, dass die Begriffsgeschichte des politischen Extremismus „durch eine willkürliche Setzung dessen [geschieht], was als extrem zu gelten habe“ (S. 265). In einem zweiten Schritt schlägt Zimmermann anhand einer Studie zum Globalisierungsdiskurs in der extrem rechten Zeitung Deutsche Stimme methodische Instrumente und theoretische Überlegungen für eine kritische Rechtsextremismusforschung vor. Diese müsse reflexiv sein, indem sich die Forscher_innen als Teil der gesellschaftlichen Praxis verstehen.

Den beiden Beiträgen vorangestellt wird ein Beitrag von Britta Michelkes und Regina Wamper. In Bezug auf die ästhetische Ebene verweisen sie auf die ständigen Auseinandersetzungen um Zeichen und ihre Deutungen. Es mag zwar sinnvoll sein, leicht vereinnahmbare Elemente aufzugeben, jedoch gebe es „keinen absoluten -šSchutz-™ vor Adaptionen und Umdeutungen“ (S. 252). Bezüglich der Inhalte machen die Autorinnen konkrete Vorschläge, ohne dabei Masterpläne oder gar Handlungsanweisungen liefern zu wollen. Es müsse zum einem darum gehen, Anschlussstellen zu verhindern, indem etwa nicht einem personalisierten Verständnis gefolgt werde, sondern die strukturellen Gegebenheiten zum Beispiel im Kapitalismus im Vordergrund stünden. Außerdem sollte Ein-Punkt-Politik vermieden und die Verschränkung von Herrschaftsdiskursen anerkannt werden. Durch die Betonung der Differenz von Rhetorik der extrem Rechten und deren faschistischer Praxis sei es überdies möglich, rechte Deutungsangebote zu dekonstruieren. Schließlich müssten offensiv linke Inhalte geschärft und nicht Themenfelder wie die „soziale Frage“ aufgegeben werden, weil sie etwa die extreme Rechte aufgreift.

Rechte Piraten und Chancen

In diesem profunden und sehr durchdacht konzipierten Sammelband wimmelt es geradezu von Anregungen für Theorie und Praxis. Allenfalls verwirrend erscheint der Titel. Diskurspiraterie ist eine Begriffsprägung des 2006 verstorbenen DISS-Mitarbeiters Alfred Schobert, der den Begriff 2005 in einem Beitrag über den französischen „neurechten“ Alain de Benoist verwendete. Schobert sprach damals von Beutestücken, die in einem Diskursmix untergebracht würden. Der Begriff kann durchaus kritisiert werden, bezeichnet Piraterie doch die feindliche Übernahme eines Kommandos über ein Schiff, also von Eigentum. Bezogen auf das Thema ist das problematisch. Zum einen hat die Wegnahme von Eigentum und das gleichzeitige Nichtanerkennen dessen gewisse subversive oder emanzipatorische Potentiale. Zum anderen gibt es keine Diskurse, auf die die Linke die Urheberschaft hat, vielmehr handelt es sich um ständige Deutungskämpfe von vorhandenen -“ für alle mehr oder minder zugänglichen -“ Diskursen.

Offensichtlich bergen gegenwärtige inhaltliche und ästhetische Modifikationen der extremen Rechten Gefahren.
Ein möglicher diskursiver Effekt der Auseinandersetzungen um Autonome Nationalisten und vermeintliche inhaltliche Überschneidungen liegt zum Beispiel in der Stärkung von extremismustheoretischen Positionen, was sich aktuell in der Debatte um die Demokratieerklärung bei der Verteilung von Geldern für Anti-Rechts-Projekte äußert. Außerdem ist nicht die Anziehungskraft für Jugendliche zu verachten, wenn die extreme Rechte ihr faschistisches Produkt als revolutionäres, modernes verkaufen versucht und sich an jugendlichem Mainstream orientiert. Wie auch in vielen Beiträgen explizit oder implizit angesprochen wird, ist jedoch insbesondere darauf zu achten, nicht auf rechte Deutungsangebote reinzufallen und Ästhetiken, Themenfelder oder Konzepte der extremen Rechten zu überlassen. Gelingt dies, werden Inhalte geschärft, Themenfelder intensiviert, Ausdrucksformen reflektiert und umfassend Herrschaftsstrukturen kritisiert. So kann sich aus einem vermeintlich problematischen Phänomen eine Stärkung für linke Perspektiven und Positionen entwickeln.

Regina Wam­per / Hel­mut Kel­ler­s­hohn / Mar­tin Diet­zsch (Hg.) 2010: "Rechte Diskurspiraterien: Strategien der Aneignung linker Codes, Symbole und Aktionsformen".
Edi­tion DISS Bd. 28. Unrast Verlag, Münster.
ISBN: 978-“3-89771-“ 757-“2. 287 Seiten. 20.00 Euro.

Erstveröfffentlichung von Sebastian Friedrich bei kritisch-lesen.de.

Der Höllensturz der GRÜNEN! Systemzwang oder Kult des Übermenschen?

Jutta Ditfurth zeichnet in genauester Aufzifferung die Entwicklung der Grünen vom Bosnienkrieg an nach. Sie eröffnet damit die Möglichkeit, nach den tieferen Gründen des Absturzes dieser Partei zu fragen.

Jutta Ditfurth hat einen großen Vorzug: Sie hat alles selbst miterlebt. Sie war schon bei den Bewegungen dabei, aus denen die Grünen erst erwuchsen. Umso tiefer sitzt verständlicherweise in ihr der Ingrimm, nachdem sie nach dreißig Jahren entdecken muss, was sich aus den Anfängen heraus entwickelt hat. Das Buch bedarf vielleicht eines Vorspanns für diejenigen, die all das als Geschichte erleben. Mitte und Ende der 1970er Jahre hatte meiner teilnehmenden Erinnerung nach große Mattigkeit die in Parteiansätzen zusammengetretenen Linken erfasst: KBW, KPD-Rote Fahne, Kommunistischer Bund und so weiter. Die Arbeiter der großen Fabriken trabten ungerührt ihren SPD-Bossen nach. Da war von den Ausnahmesituationen der Spontanen Streiks 1969 und 73 nicht viel zu machen. Dagegen häuften sich Auseinandersetzungen außerhalb der Fabrik in ganz Deutschland: Hausbesetzungen, Kampf gegen Ausbau der Atomindustrie, Startbahn West, um nur einiges zu nennen. Hinzu kam das Heraustreten der Arbeit aus den Hallen der Fabrik: Auslagerung, Lohnarbeit in der Form von Dienstleistung, Montageverleih begannen sich auszubreiten. In Zusammenfassung solcher Erfahrungen kam die mehr gefühlte als durchgearbeitete Erkenntnis auf, dass Klassenkampf sich zum großen Teil auch außerhalb der Fabrik abspielt. In der Auseinandersetzung um bezahlbares Wohnen, um Erholungsgebiete nach den Acht-Stunden, um Lebenschancen in einer mehr und mehr zugrunde gerichteten Welt.

Dass all das, was als neues Feld der Ausbeutung sich darbot und unter dem traditionellen Begriff der Natur zusammengefasst wurde, trug schon im Anfang zur Mythologisierung bei. Es gibt kein bewusstes, in sich gesammeltes Wesen namens Natur, das uns anschauen, ja ansprechen könnte. Was es freilich gibt, ist der zunächst unüberschaubare Zusammenhang der Einzeldinge, der Umstände, wie sie aufeinander einwirken. Das ließe sich karger, aber nicht gefühllos als Umgang mit den Ressourcen unserer Produktion und Reproduktion bezeichnen. Die gewählte Begrifflichkeit blieb auf jeden Fall hinter der marxistisch überlieferten an Präzision zurück. „Ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei“ sollte nach der Formulierung des Gründungskongresses in Karlsruhe 1980 die neue Bewegung sein. Wie Jutta Ditfurth berichtet, wurde das, was in diesen vier Zielworten liegen sollte, nachher leidenschaftlich diskutiert. „Sozial ja, aber nicht sozialistisch“, hieß es bei einigen. „Gewaltfrei“ sollte bedeuten, man verzichte zur Durchsetzung seines Willens auf den Zugriff auf den leidensfähigen Körper des Mitmenschen, auch in Polizeigestalt -“ aber bei manchen auch, man lehne die Lösung eines jeden Problems zwischen Menschen durch die Staatsgewalt ab. Man sieht: Von Anfang an konnten sich Anarchisten mit halbmystischen Naturverehrern zusammentun. Aber nur verbal! Nur durch Herstellung immer größeren sprachlichen Scheins! Dies war der Ansatz aller Spaltungen und Abspaltungen.

Abfall vom Ursprung

Mit schärfster Genauigkeit listet Jutta Ditfurth die kleinen Einzelschritte auf, die in der grünen Bewegung von der Ablehnung der Atomtechnologie hin zum sogenannten Atomkompromiss in der Schröder-Regierung führten. Ein Kompromiss, der in Wirklichkeit vor der völligen Selbstauslieferung Merkel/Westerwelle das äußerste Zugeständnis an die vier größten Monopole der Energiewirtschaft Deutschlands darstellte. Das gleiche gilt für die beschleunigte Bewegung weg vom Pazifismus, welche schließlich hin zum Überfall auf Jugoslawien geführt hatte. Wenn auch in diesem Fall Fischers Ehrgeiz die Hauptrolle gespielt haben dürfte, lässt Jutta Ditfurth den kleineren Mithelfern und Mitschreiern nichts nach. Etwa dem markigen Kriegsgegner Volmer, der nach der Erhebung zum Staatssekretär seine Mit-Linken mit einem frisch entdeckten Pan-Serben besonders nervte, dessen Schrift von 1936 (?) angeblich durch alle politischen Umwälzungen hindurch -“ Bürgerkrieg, Tito-Zeit -“ die Unterdrückung aller Fremdvölker gefordert hätte und heute anerkannte Doktrin sei. Volmer und das Buch sind heute mit Recht vergessener als eine Scherbe der Gräber um Troja. Sie haben ihre Wirkung getan -“ die Völker Jugoslawiens gegeneinander gehetzt und auseinander getrieben. Die Wirkung blieb. Die Gründe bleiben vergessen.

In einem ganzen Kapitel („Krieg den Hütten“), wird dann der freudige Beitrag geschildert der Grünen zur gemeinsamen Lohnsenkungspolitik über Hartz IV der Schröder-Fischer-Regierung. Von den Nachfolgern in der Opposition keineswegs widerrufen. Aus den illusionären Anfängen entwickelte sich also etwas, das naturausbeuterisch, antisozial, atomselig auftrat und sich in der Verehrung der Staatsgewalt nicht genug tun konnte, wenn diese nicht gerade die eigenen Leute niederknüppelte.

Woher der Fall?

Es kann kein Zweifel sein, dass Jutta Ditfurth selbst einen Grund für die Gefügigkeit der angeblichen „Basisdemokraten“ gegenüber Fischer in der Tatsache sieht, dass viele jüngere Leute ohne langjährige sonstige Berufsausbildung ins Parlament gelangt waren -“ und sich preisgegeben sahen, wenn sie ihren Posten jetzt verlieren würden.

„Schröder verstand [beim Atomkompromiss, Anm. fg] seinen künftigen grünen Minister und sagte sinngemäß: Wenn er den Kernenergiegegnern deutlich mache, dass der Ausstieg komme, dann rücke die Frage nach dem definitiven Ende in den Hintergrund. Wer etwas werden wollte, verstand die Botschaft. Reihenweise kippten Positionen und Fristen. Die Realos gaben gern damit an: irgendein Restlinker revoltiert? -˜Wir schütten einfach Gold in seinen Rachen, das minimiert den Durchknallfaktor erheblich-™ prahlten sie (...).“ (S. 88)

Hier wird also die Vorstellung von Massenbestechlichkeit als sekundär wirksam angesetzt. Sicher nicht zu Unrecht. Nach dem gleichen Schema hatte Lenin die Arbeiter-Aristokraten entdeckt. Leute, die vom Gesamtkapital in bessere Situationen versetzt worden wären, daraufhin das Bestehende für erhaltenswerter gehalten hätten als alle Veränderungen und damit zum Bleiklotz am Bein der Organisation geworden wären. So einleuchtend und unbestreitbar das ist, kann es zur völligen Erklärung der Umkehr ursprünglich anders gesonnener Bewegungen nicht ausreichen. Einfach, weil es immer gerade unter den Bessergestellten welche gab, die -“ auch mittels verbesserter Kenntnisse -“ die herrschenden Zustände durchschauten und sich gegen sie wandten. Man denke nur an die führende Stellung der Drucker oder der Uhrmacher im neunzehnten Jahrhundert. Hinzugenommen werden muss als weiteres Motiv nach 1977 die zunehmende Ehrfurcht vor den gesetzlichen Regelungen. Keineswegs, weil sie als gerecht angesehen wurden. Einfach deshalb, weil sie bestanden, und weil die Hoffnung nach den nie geklärten Todesfällen in Stammheim geschwunden war, gegen die bewaffneten Durchsetzer des Bestehenden durchzukommen. Cohn-Bendit hat im vielleicht einzigen ehrlichen Bekenntnis seines Lebens zugegeben, dass er im Erlebnis der mörderischen Schlagkraft der französischen CRS vor Malville merkte, dass er auf diesem Weg zu viel riskiere. Der Weg von der Achtung der gesetzlichen Regelung zum Wunsch nach Setzung von eigenen Regeln aus der Regierungsposition darf nicht unterschätzt werden. Die neue gesetzliche Regelung über Partei und vor allem das Gesetzgebungsmonopol des Staates sollte dann als friedenschaffend gelten, wie jetzt gerade die Steinmeiers und ihre grünen Kollegen von damals betonen. Ihr Gesetz war friedenswahrend, das neue Merkels aber wirkt aufrührerisch. Und ist nach Ansicht dieser Theoretiker schon deshalb verwerflich.

Unvermeidlicher Personenkult?

Letzter und tiefster Grund des so tiefen Falls der Grünen ist wahrscheinlich der in uns allen anzutreffende Personenkult. Fischer, der Metzgersohn, ist nicht nur, wie Ditfurth an einer Stelle ausführt, die westliche Variante des Millionärs, der einmal Tellerputzer war. Sondern -“ viel eindringlicher -“ die des jugendlichen „Idealisten“, zu dem die Studienräte uns getrimmt hatten, zum reifen Mann, dem Realo, der jedes Verbrechen sorgfältig prüft, um es gewissenhaft erst dann zu begehen, wenn es sich nicht nur ihm allein, sondern auch der gleichgesinnten Gruppe als nützlich erweist. Nicht aber allen!

Problem dabei: Wir könnten ohne Personenfixierung wahrscheinlich gar nicht bis zum politischen Handeln kommen. Tatsächlich brauchen alle Gruppen, jedenfalls die mir bekannten, die Vormacher, die hochreißen und zugleich beweisen, dass sie, die die Vorschläge machen, zugleich Mut und Kraft haben, sie durchzusetzen. Man erinnere sich nur an die durchschlagende Wucht des Fotos von Dutschke auf dem Titelbild einer SPIEGEL-Ausgabe, wie er die Barrikaden überspringt. Insofern liegt in der Figur desjenigen, der einmal aufgerufen und hochgerissen hat, eine bleibende Gefahr. Man bleibt an ihr hängen und verzichtet im gegebenen Augenblick auf das Widerwort. Ist das einmal geschehen, der gute Augenblick verpasst, scheint es unmöglich doch noch abzuspringen.

Drei denkbare Gründe also, den Willen zum Anderen und zum Ändern unserer Welt erliegen lassen. Erstens Angst ums Fortkommen beim Ausstieg aus dem entgleisenden Zug. Zweitens Gesetzlichkeit, die die frontale Auseinandersetzung scheut und auf dem Weg der Gesetzesbeobachtung selbst zum Ziel kommen will. Und schließlich drittens der Personenkult, der es nicht schafft, auch der verehrten Person auf ihre Unehre, ihre unvermeidlichen Grenzen zu kommen.

Gibt es eine Chance, unterwegs nicht zu fallen und zu verfallen?

Wenn das so ist, verlieren Ditfurths mitgedachte Vorwürfe gegen den Weg der Grünen nicht ihr Gewicht. Cohn-Bendits gegenwärtiges Rotzen gegen seine lasch gewordenen Genossen, die den Krieg gegen den libyschen Staatschef scheuen, zeigen, wie verworfen und klebrig heute einer wirkt, der doch einmal unbestreitbar gewisse Verdienste hatte. Heißt aber das Ergebnis dann nicht mit Notwendigkeit: Jede geschichtliche auf Revolution ausgerichtete Bewegung verfällt nach gewisser Zeit zum schleimenden Reformismus? Meist, aber nicht zwingend dem fortschreitenden Alter der Akteure folgend. Auch die im Verborgenen arbeitenden und die aus den KZs befreiten SPDler hatten 1945 sicher anderes im Sinn als eine polierte Küchengarnitur namens Godesberger Programm!

Dem vorher Gesagten entsprechend müsste eine Organisation, die den revolutionären Willen in sich selbst aufrecht erhalten wollte, drei schwer zu Ende zu denkende Aufgaben anpacken:
1. Wie Jutta Ditfurth es für den Anfang der Bewegung richtig beschreibt, müsste das Besoldungsprinzip des Rätesystems brutal durchgesetzt werden. Bekommt jeder ohnedies nur einen Facharbeiterlohn, muss am Sessel nicht so kleben geblieben werden. Die drohende Arbeitslosigkeit für missliebige Ex-Politiker muss freilich weggedacht werden.
2. Es müssen Möglichkeiten gefunden werden, ehemals erkämpfte gesetzliche Möglichkeiten nicht aufzugeben, aber zugleich Formen zu entwickeln, in denen die Satzungen der bürgerlichen Gerichte nur die zweite oder dritte Rolle spielen. Der Vorschlag Inge Vietts der Herausbildung einer dem Staat unbekannten und unerkennbaren Organisation im Rahmen der Luxemburg-Veranstaltung der Jungen Welt wurde zu wenig beachtet, meiner Kenntnis nach gar nicht diskutiert. In der vorgetragenen Form halte ich ihn für unvollziehbar. Es müssen aber Formen verdeckter Arbeit überlegt werden können.
3. Das Schwerste: Die ehemals notwendigen Anführer müssen aus dem Herzen gerissen werden, ohne ihr Andenken zu vernichten. Und wären es Lenin oder Mao Zedong -“ sie werden aus einer Antriebskraft zu Hemmung und Ballast, wenn wir nicht über sie hinaus und ohne sie weiterlaufen können als sie es schafften. Jutta Ditfurth selbst hat wie wenige widerstanden. Sich dem Sog widersetzt. Also muss es möglich sein. Aber wie?

Jutta Ditfurth 2011: "Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen"
2. Auflage. Rotbuch Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-86789-125-7. 288 Seiten. 14.95 Euro.

Zuerst veröffentlicht bei kritisch-lesen.de

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