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Kopftuch - ein Zeichen, dem sein Bezeichnetes abhanden kam

Karte mit einem Überblick über Verbote in den einzelnen deutschen Bundesländern das Kopftuch im Schuldienst zu tragen - rot eingefärbte Länder. Stand: 2007

Urheber: WikiFreund Lizenz: GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2
Was ist um das Kopftuch gestritten worden - vor allem in Baden-Württemberg! Was wurde ihm alles nachgesagt! Wenn eine Lehrerin das trage,  fordere sie die Schülerinnen unweigerlich zur Nachahmung auf, vor allem solche aus türkischen und arabischen Familien, die dafür anfällig wären. Die gewöhnlichen Mädchen solcher Herkunft, die es auch damals schon in Gymnasien gab, meinten allerdings immer mit strafendem Blick auf meine eigene Aufmachung, dass doch Lehrkräfte außerordentlich selten stilbildend für Jugendliche wirken.

Ein verdienstvoller Mann namens Grell, Verfasser des denkwürdigen Gesprächsleitfadens für Einwanderer, verbrachte Jahre glühender Leidenschaft damit, Einschleichlinge ins deutsche Gebiet zu überführen. Nach herrschender, auch gerichtlicher, Meinung sollte das Kopftuch als Bekenntnis zum Islam gelten. Ein Bekenntnis, das dem geforderten zum Grundgesetz in jedem Punkt widerspreche. Kleinliche Überlegungen, dass im Koran selbst außer einer vieldeutigen Bemerkung zum Verhüllen des Hauptes sich gar nichts über das Kopftuch findet, wurden verworfen. Eben so Hinweise auf die Frauen des Berbervolkes, die - früheste Anhängerinnen des Propheten - nie ein Kopftuch getragen haben, sollten nichts gelten. Es entbrannte und entbrennt ein Glaubenskrieg, der nicht nur in Broders "Achse des Guten" bis heute geführt wird.

Gewichtiger schienen die Einwände gegen das Kopftuch, die Frauen erhoben. Sie ließen den Koran beiseite - und dachten nur an das gängige Familienbild in jeder deutschen Großstadt - in den sechziger und siebziger Jahren. Der Mann und Familienvater voraus - die Frau mit den Einkaufstaschen einen Schritt hinterher. Patriarchat - wie es unbestreitbar in den ländlichen Teilen der Türkei herrschte, aber auch in vielen anderen maghrebinischen Ländern. Es "herrschte" - nicht als geschriebenes Gesetz, sondern als Gewohnheit von der Heimat her. Ein solches Bild von Ehe und Familie sollten die kleinen Mädchen nicht auch noch in der Schule bestätigt finden. Also Kopftuch runter! Dieses Mal weniger wegen des vermuteten Zeugnisses für die Zwangsgewalt des Koran, sondern wegen der Verführung zur ehelichen Unterwerfung.

Wer die letzten vierzehn Tage oder drei Wochen die Riesendemos in Kairo beobachtet hat, dem ist eines aufgefallen: Es gab sehr viel verschleierte Frauen unter den Protestierenden. Das allseits gefürchtete Zeichen war also vorhanden. Nur: diese Frauen hielten eigenständig Ansprachen. Sie trugen ohne männliche Begleitung selbstgemalte Transparente. Sie sangen mit. Sie schrien ihren Hals leer. Und zwar keineswegs chorisch, wie es das auch in Pop-Veranstaltungen gibt, zur Feier irgendwelcher männlicher Helden. Sondern ganz aus eigener Begeisterung.

Unterwürfigkeit? Nirgendwo sichtbar! Dem Zeichen war das unterstellte Bezeichnete völlig abhanden gekommen. Weder wurden Koranverse zitiert - noch irgendwo Ehemänner verehrt.

Wieso dann aber überhaupt noch Kopftuch? Warum nicht gleich als erstes den Fetzen vom Kopf gerissen? Wahrscheinlich aus ähnlichen Gründen wie  bei Menschen katholischer Erziehung bei Familienfesten oder dergleichen. Aus Höflichkeit gegenüber dem Herkommen. Ich selber würde mich in entsprechender Gesellschaft nicht scheuen, vor dem Altar die Knie zu beugen. Nicht aus Verehrung, sondern aus Gefälligkeit gegenüber dem Brauch.  (In Südfrankreich wurden noch in den siebziger Jahren Touristinnen genötigt, den Kopf zu bedecken beim Eintritt in eine sehenswerte Kirche. Und trugen sie sonst vielleicht auch Shorts und Sandalen an nackten Beinen. Der Kopf musste bedeckt bleiben - wenn auch vielleicht nur durch ein verknotetes Taschentuch. Niemand vermutete deshalb Bekehrungserlebnisse im Kopf darunter).

Patrick Bahners hat in seinem letzten Buch "Die Panikmacher: Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift" (wird demnächst in der neuen Reihe www.KRITISCH-LESEN.de besprochen) ausführlich die Frontenbildung beschrieben, die sich im Streit um das Kopftuch entfaltete. Welche Flut von Urteilen und vor allem Vorurteilen sich da ergoss gegen die angeblichen Feinde von - wahlweise - Grundgesetz oder Frauengleichstellung. Ein ausführlicher Blick auf die Demos in Ägypten sollte  allen Eiferern die Augen öffnern: die Frauen, die sich dort mitversammelten schrien weder nach Heilighaltung des Koran noch nach Einführung der Scharia noch nach der starken Hand des Ehemanns. Sie wollten ganz offensichtlich das, was sie sich unter Demokratie vorstellten, wahrscheinlich über das Gestänge des Grundgesetzes hinaus, und sie wollten es für sich selbst. Mit oder ohne Kopftuch.

Wenn Hinschauen zur Belehrung beitragen könnte, müsste jetzt die ganze deutsche Hass-Brigade das Hetzen einstellen. Da aber warmgesessene Vorstellungen jeden Augenschein besiegen, dürfen wir in der März-Nummer von "KONKRET" das aufgewärmt lesen, was wir zu wissen haben: Die Islamisten kommen! Deutsche Frau, Deutscher Mann: seid weiterhin höllisch wachsam!
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