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Von Japan lernen? Wir haben hier doch keine Tsunamis! Nein, aber die gleichen Geschäftemacher und Lügner!

Mappus soll nachdenklich geworden sein! Er plant Unerhörtes! Eine Sonderkommission  soll alles noch einmal untersuchen, was doch schon lange so tiefschürfend, so gründlich untersucht worden ist. Vor der Verlängerung der Laufzeit auch der bröckeligsten KKWs. Sollte am Ende doch etwas übersehen worden sein? Unglaublich! Oder will der Landeschef nur den Heiserhals vergessen lassen, den er sich beim Werben für die Verlängerung zugezogen hat?

Merkel ist ganz der gleichen Meinung. Alles untersuchen, nichts verändern. Brückenbau bleibt Pflicht. Auch wenn die Gegenufer des zu überbrückenden Flusses sich immer bescheidener im gepusteten Nebel verbergen.

Insgesamt verständnisinniges Zwinkern: Was geht uns Japan an! Wann war bei uns der letzte Tsunami?

Damit wird auch Mappus wieder herausrücken, wenn die nächsten Demos vorbei sind. Und wo er recht hat, hat er recht. Vor den Tsunamis hat auch niemand wirklich Angst.

Wohl aber vor dem, was in Japan so höllisch ähnlich wie in Deutschland ist. Solange die Monopole der Energiegewinnung in privatem Besitz sind, wird ungefähr immer gleichviel gelogen werden müssen - wie jetzt eben in dem unglücklichen Land, das die Heraufkunft des Atomzeitalters in Hiroshima erlebte - und sein Ende wohl noch lange nicht im Anblick verödeter Landstriche. Wie wir wie immer nur nachträglich erfahren, konnte die japanische Atom-Firma nur durch dauerhaften Betrug bis jetzt die Lüge verbreiten, Atomenergie sei "alternativlos". Sollte das bei der inzwischen in Mappus Hand ruhenden EnBW irgendwo und irgendwie anders sein?

Der Primärlüge des Betriebs beugen sich die Beschwichtiger und Einluller des Staates. Zwangsläufig. Haben sie einmal die Hand zum verbrecherischen Anfang gereicht, wie könnten sie im Augenblick der Gefahr auf einmal "Feuer" schreien? Haben sie sich auf das Spiel eingelassen, muss im Augenblick der Katastrophe  Zwangsruhe gepredigt und verbreitet werden.

Schließlich - was auch gar nichts mit unserer Tsunamifreiheit zu tun hat - hat die entsprechende Firma alle Bauwerke nur für ein Erdbeben von der Stärke 8,2 abgesichert. Eines von 9,0 kam für die Architekten und Sicherheitsingenieure nicht in Frage. Natürlich nicht, weil die Messungen nicht weiter reichten. Wir hören doch jeden Tag, dass alle KKWs - auch die in Baden-Württemberg -  auf den "worst case" ausgerichtet sind. Sondern weil das,was wir als naturwissenschaftliche Sicherheit verkauft bekommen, auf der ganzen Welt nichts anderes sein kann als das ökonomisch Einforderbare, im Vergleich mit den Aufwendungen der Mitganoven in der ganzen Welt. Vom einzelnen Menschen in seiner Haut her gesehen, heißt es freilich: Ausgeliefert sein. (Winziges Beispiel: Die allenthalben empfohlenen Jod-Tabletten schützen allenfalls vor Schilddrüsen-Erkrankungen. Der Rest unseres Leibes wird bei dieser Schnell-Therapie so preisgegeben wie in den Zeiten der Frühe, als eine Aktenmappe, über den Kopf gehalten, einen jeden Atom-Angriff heil überstehen lassen sollte.)


Merkel und Mappus zwinkern einander zu und hoffen auf die Zeit nach den Demos. Vom Geldstandpunkt aus ist eine Katastrophe nicht viel anders als ein Aufschwung zu betrachten. Was werden die Japaner für Nachholbedürfnisse entwickeln! Die die BRD dann prompt befriedigen. Tsunami haben wir zwischen Lörrach und Mannheim doch wirklich nicht zu befürchten!!

Den nicht, aber etwas Schlimmeres, was uns demnächst genau so wie in Japan um Haus und Hof, um Leib und Leben bringen wird: der Selbstlauf des Kapitals und seiner Mägde und Knechte. In ihm sind alle Gewissenlosigkeit, Betrug und Va-Banque-Spielerei beschlossen, die Deutschland verheeren wie Japan.

Darum fühlen wir uns zu jeder Schlussfolgerung berechtigt, die das japanische Beispiel uns aufdrängt. Die nächstliegende lautet: MAPPUS WEG! Aber ohne Freibrief für die Gierhälse von SPD und GRÜNEN, die ihm folgen wollen. Und ohne das geringste Vertrauen in jene Aktiengesellschaft, die nach wie vor die Geschäfte in Baden-Württemberg führen will. Das alles liegt auf der Hand. Und ist mindestens  so logisch begründet wie die Schwindelentwürfe der Brückenbauerin und ihrer Schleppenträger und Unterarchitekten.

Linke Medienakademie über Stuttgart 21 und die mediale Begleitung des Protestes

Wenn es auf der Linken Medienakademie um eine kritische (Medien-)öffentlichkeit geht, dann darf das Thema Stuttgart 21 natürlich nicht fehlen.
Der Stuttgarter Filmemacher und Autor Hermann G. Abmayr präsentierte seine Dokumentation "Stuttgart steht auf" (Trailer).

Abmayr begann seine Dokumentation am 30. September, dem schwarzen Donnerstag, als die Stuttgarter Polizei mit massivster Härte gegen die GegenerInnen des Immobilien- und Bahnhofsprojektes Stuttgart 21 vorgingen, und begleitete die Proteste bis Ende November. In diese Zeit fiel auch die sogenannte Schlichtung, die am Ende im Interesse der Bahn AG und der CDU-geführten Landesregierung mit Geißlers schlichtem Spruch beendet wurde.

Die Kamera begleitet die AktivistInnen auf Demos und Blockadetrainings. Für viele der DemostrantInnen ist dieser Protest der erste in ihrem Leben. Immer wieder kommen einige von ihnen zu Wort und erklären, dass sie bisher CDU gewählt hätten und warum sie nun aktiv werden. Ein Vater ist extra mit seinem Sohn zur Demo nach Stuttgart gereist, um ihm "Demokratie zu zeigen". Er soll nun eine Toilettenbenutzungsgebühr für das Gymnasiums des Sohnes zahlen und gleichzeitig werden bei Stuttgart 21 Gelder ausgegeben, die an anderen Stellen fehlen.

Auch bei der Besetzung des Südflügels am 17. Oktober ist das Filmteam dabei. Bei der Aufnahme der Personalien wollte die Polizei dann jedoch nicht gefilmt werden. "Mache Se de Kamera aus, sonst knallts" knurrt eine Polizistin die Filmemacher an.

Natürlich kann die Dokumentation nicht die Protestbewegung in ihrer Gesamtheit porträtieren, sie gibt jedoch einen guten Einblick in die Stuttgarter Realitäten.

Im Anschluss an den Film folgte eine Präsentation der Arbeit von Cams21.de, die mit ihren mobilen Kameras immer und überall unterwegs sind, wo gerade der Protest in der baden-württembergischen Landeshauptstadt unterwegs ist.
Auf Cams21.de werden Bewegtbilder von Demonstrationen und Veranstaltungen gezeigt, die über die Plattform bambuser.com live ins Netz gestreamt werden.
Ein Aktivist von Cams21 stellte an Hand von einigen Filme die Funktionsweise und die Einsatzmöglichkeiten vor und erklärte, über welche technischen Möglichkeiten man verfügen muss, um direkt von der Demo bewegte Bilder in die Welt zu schicken. Es reichen ein einfaches Netbook, eine handelsübliche Webcam und ein mobiler Internetzugang. Oder einfach ein Smartphone. Schon allein mit diesem Gerät ist es möglich, Videos ins Internet zu streamen.
Die Streams lassen sich nicht nur live verfolgen, sondern sind auch später noch online verfügbar und bereit, auf Internetseite und Blogs einzubinden.

Der Vorteil, mit mehreren Teams vor Ort zu sein, ermöglicht es den NutzerInnen, zum Beispiel einen Polizeieinsatz aus mehreren Perspektiven zu verfolgen.
Dadurch, dass das benötigte Equipment so klein ist, war es Hannes Rockenbauch auch möglich, die Begehung des Südflügels im Rahmen der "Schlichtung" zu dokumentieren. Vertreter klassischer Medien waren von der Begehung ausgeschlossen. So lieferte also Cams21 die einzigen Bilder und konnte zeigen, dass es in dem Gebäude eben doch Pausenräume der Bundespolizei gegeben hat. Dies hatten die KritikerInnen es Projektes immer wieder vermutet. Bahn, Politik und Polizei hatten dem immer vehement widersprochen.

Die Grenzen dieser Technik liegen jedoch in der Verfügbarkeit von mobilem Internet mit den entsprechenden Kapazitäten. Während das Gelände um den Stuttgarter Hauptbahnhof eben diese biete, seien die Voraussetzungen im Wendland deutlich schlechter. Dies dürfte sich jedoch mit dem weiteren Ausbau der Infrastruktur auch ändern, so dass für künftige Proteste eine mediale Begleitung durch mobile Videoteams durchaus realistisch sein könnte.

Mappus Raustreten! Zwölf Eier zum Abschuss

Aktion heute in Stuttgart
Foto: Jasmin Bartholomäus
Visionär Vorwegerlauschtes bei seiner Ansprache vor Demonstranten
Unserer Redaktion ist es gelungen, die Zeit zu überholen und die Ansprache unseres Ministerpräsidenten vorab in Teilen zu erlauschen. Unerschrocken wäre demnach Mappus auf den Balkon getreten und hätte zur Heerschar der Demonstranten sprechen wollen, die ihm allesamt nicht wohlgesonnen waren. Nach anderen Informationen hat er sich am Ende doch nicht getraut und einen Sprecher des Umweltministeriums Gönner vors feindliche Volk gejagt.

"...Rumpel... Rabäh... Stehen auch wir tieferschüttert vor dem Leid, das Japan, das Land unserer treuesten Bundesgenossen - nach den USA - betroffen hat. Glauben Sie mir, niemand lassen die Bilder kalt, die aus dem TV-Gerät heraus nach uns greifen. Ich möchte eine ausgiebige Schweigeminute vorschlagen...

Nun aber zu uns selber hier am Oberrhein. Zunächst die freudige Botschaft: Das Umweltbundesamt bestätigt, dass so etwas wie in Japan bei uns nie vorkommen kann. Mag jene Nation auch so hochtechnisiert sein wie keine, an Vorsicht hat es zumindest die jetzt betroffene Firma doch fehlen lassen. Erfahre ich doch erschüttert, dass diese jahrelang sämtliche Statistiken gefälscht und Unfälle verschwiegen hat. DAS WÄRE IN BADEN-WÜRTTEMBERG UNTER MEINER REGIERUNG UNDENKBAR. Was ein Herr Mayer vom BUND da vorbringt über Erdbeben, die auch die Oberrheingegend betreffen könnten darf uns nicht beunruhigen. Erdbeben größeren Ausmaßes gab es vielleicht in der Zeit, als Hohentwiel und Hohenkrähen noch Lava auswarfen. Irgendwie jüngere Kreidezeit, in welcher Herr Mayer wahrscheinlich zu Hause ist."


(HO! HO! Gelächter aus dem Lautsprecher).

"Für unsere braven Mitbürger steht eines fest: Wir machen weiter. Wir müssen weitermachen. Gerade jetzt, nachdem das Land Mehrheitsbesitzer der EnBW-Aktien - wieder - geworden ist, können wir es uns einfach nicht leisten, auf diese Energiequellen zu verzichten, die - wie ich nicht müde werde zu beteuern - ja kein einziges Gramm Kohlenwasserstoff absondern.

Und sollte trotz aller Beteuerungen - unterstützt von Aussagen und Gebeten meiner wahrheitsliebenden Vorgänger - ich darf nur an Filbinger selig erinnern - doch einmal etwas Menschliches passieren, dann sicher lang nach unserem Ableben. Vergessen wir nie: Alles Menschenwerk steht in Gottes Hand. Er hat gegeben, er kann auch nehmen! Möge dann immer noch sein Auge über der verschlackten Gegend ruhen zwischen Karlsruhe und Basel. Auch Wüsten strahlen. Auch Urwälder, liebe Umweltfreunde, können blühen. So denn - in Zuversicht für Zeit und Ewigkeit. Auf zu gesinnungsfesten Landtagswahlen!"


Heiß ersehnte Stimme von oben:

"Landgraf, es reicht!"

(Mappus, das erste Mal bei einem Auftritt, verstummt. Allerdings auch, weil ihm ein Ei in der Kehle steckt. Die Bombardierung mit weiteren setzt ein. Alles auf Gottes Geheiß.)

Vorwegerlauscht in Traum und Tränen von Fritz Güde.

Stuttgart 21: Drakonisches Urteil gegen Blockadeteilnehmerin

Proteste am Tag "X" gegen den Abriss - Besetzung des Nordflügels
Der Prozess gegen Birgit Th. wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte im Zusammenhang mit den Protesten gegen den Abriss des Nordflügels des Stuttgarter Hauptbahnhofs am 1. März 2011 vor dem Amtsgericht Stuttgart

Der Vorfall

Im Zusammenhang mit  dem Abriss des denkmalgeschützten Nordflügels des Stuttgarter Hauptbahnhofs fanden fast tägliche Protestdemonstrationen in Form von Blockaden und Behinderungen des Abtransports von Bauschutt statt. Bei einer davon hatten Demonstranten die Zufahrt zur Baustelle blockiert und wurden, wie so oft, von Polizeieinheiten unter „Anwendung einfacher körperlicher Gewalt“ von der Straße weg auf die Verkehrsinsel und den seitlichen Gehstreifen gedrängt oder geschleift und dort mittels Polizeikette an einem erneuten Betreten der Straße gehindert. Darunter auch die jetzt Angeklagte Birgit Th. In großer Empörung musste sie mit ansehen, wie einem Schuttlaster unter Pfiffen und Protestrufen der Demonstranten die Ausfahrt ermöglicht wurde, was sie lautstark  gegenüber den vor ihr stehenden Polizisten als rechtswidriges Zerstören von Gemeineigentum gegen den Willen des Volkes bezeichnet. Als dann noch ein zweites Baufahrzeug sich anschickte den Zufahrtsbereich zu verlassen, wollte sie sich diesem entgegen stellen um seine Weiterfahrt zu behindern. Sie versuchte deshalb, durch die Polizeikette hindurch zu kommen, wobei sie den vor ihr stehenden Polizeibeamten „schubste“. Dieser kam dadurch ein wenig aus dem Gleichgewicht und musste einen Schritt zurück machen, um sich wieder in festen Stand zu bringen. Als er sein Gleichgewicht wieder gefunden hatte, bemerkte er, dass der im Schritt-Tempo heranfahrende Laster sich durch Abbremsen zum Stand gebracht hatte und nun direkt schräg hinter ihm stand. Er, so sagte er aus, sei da ziemlich erschrocken und habe gedacht, das hätte auch schlimm enden können. Die Demonstrantin, die ihm den „Schubser“ versetzt hatte, war da bereits von seinen umstehenden Kollegen festgenommen und weggeführt worden. Er selbst folgte dann dieser Gruppe, um bei der Personalienfeststellung mitzuwirken.

Die Anklage

Die Anklage geht von einem Vergehen des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in einem besonders schweren Fall (§ 113 StGB Abs.2, Pkt.2) aus, weil die Täterin durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen Beamten in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht habe.
§ 113 StGB:
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
(1) Wer einem Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet oder ihn dabei tätlich angreift, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1. der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe bei sich führt, um diese bei der Tat zu verwenden, oder

2. der Täter durch eine Gewalttätigkeit den Angegriffenen in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(3) Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Täter irrig annimmt, die Diensthandlung sei rechtmäßig.
(4) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, die Diensthandlung sei nicht rechtmäßig, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden und war ihm nach den ihm bekannten Umständen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar; war ihm dies zuzumuten, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.


Die Einlassung der Angeklagten:

In ihrer Einlassung legt die Beschuldigte eindrücklich dar, dass der begonnene Abriss des denkmalgeschützten Bahnhofs wie das ganze Projekt Stuttgart 21 durch falsche Angaben und Betrug erschlichen wurde. Dass über die Rechtmäßigkeit im Zusammenhang mit der Klage des Bonatz-Erben Dübbers noch nicht abschließend gerichtlich entschieden sei und begründet damit auch ihre große Empörung, dass die Abrissarbeiten trotzdem begonnen wurden und die Polizei dies auch noch gegen das Volk ermöglicht. Dies habe sie damals an Ort und Stelle auch nachdrücklich und erregt gegenüber den vor ihr stehenden Polizeibeamten zum Ausdruck gebracht.

Dass ihr der Richter gleich nach ihren Einlassungen erklärt, all die Ausführungen zum Zustandekommen des Bauprojekts Stuttgart 21und dessen Bewertung, sowie zur Frage der Rechtmäßigkeit der Abrissarbeiten seien hier völlig unerheblich, es gehe ausschließlich um die Frage, ob sie in der hier zur Debatte stehenden Situation Widerstand geleistet habe, darf schon etwas verwundern. Besagt doch der Absatz 2 des § 113: Die Tat ist nicht nach dieser Vorschrift strafbar, wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist. (...) und

(4) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig an, die Diensthandlung sei nicht rechtmäßig, und konnte er den Irrtum vermeiden, so kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern oder bei geringer Schuld von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen. Konnte der Täter den Irrtum nicht vermeiden und war ihm nach den ihm bekannten Umständen auch nicht zuzumuten, sich mit Rechtsbehelfen gegen die vermeintlich rechtswidrige Diensthandlung zu wehren, so ist die Tat nicht nach dieser Vorschrift strafbar;

Im Empfinden des Volkes, in dessen Namen die Urteile gesprochen werden, ist es durchaus schlüssig, dass wenn die Abrissarbeiten möglicherweise nicht rechtens sind, auch die polizeilichen Maßnahmen zu deren Durchsetzung möglicherweise nicht rechtens sind.

Dass auch der Richter dies mindestens ahnte fand in seiner Urteilsbegründung Ausdruck, in der er immer wieder hervorhob, dass völlig außer Frage stehe, dass die Polizeikräfte absolut rechtmäßig gehandelt hätte. Nie aber sagte er dazu, warum.

Die darin zu Tage tretende Absicht der Gerichte, sich in Verfahren gegen die Protestbewegung gegen Stuttgart 21 auf keinen Fall mit den Rechtsverstößen der Projektbetreiber zu beschäftigen, sondern allein den Widerstand zu kriminalisieren wurde noch deutlicher im Plädoyer der Staatsanwaltschaft.

Doch zunächst zur Beweisaufnahme. Hier verstrickten sich der „geschädigte“ Polizeibeamte und zwei weitere Polizeizeugen trotz ganz offensichtlich vorher abgesprochenen Aussagen in offensichtliche Widersprüche. So sagte etwa der „Geschädigte“ aus, die Beschuldigte habe die ganze Zeit wortlos und völlig ruhig vor ihm gestanden, um ihn dann absolut unvermittelt zu stoßen. Auf Vorhalt, dass sein neben ihm stehender Kollege angegeben habe, dass die Frau heftig und erregt diskutiert habe und immer wieder gerufen habe, dass die Polizei kein Recht hätte, sie hier festzuhalten, erklärte er, möglicherweise habe sie ja mit dem Kollegen gesprochen, er habe davon aber nichts bemerkt. Auch den Aussagen des Lasterfahrers merkte man deutlich an, dass sein Gedächtnis bezüglich des immerhin über 4 Monate zurückliegenden Vorgangs etwas aufgefrischt worden war und nochmal ihm gesagt worden war, was er aussagen muss.

Eine besonders seltsame Rolle spielte bei der Zeugenanhörung noch der Fotograf Thomas Geromiller aus Esslingen, der, wie er sagte, die Szene für seine Internet-Seiten gefilmt hat und diese Aufnahmen dann der Polizei zur Verfügung stellte.

Er hatte sich bereits im Vorraum  eingehend mit der vor ihm als Zeugin gehörten Gruppenführerin der Polizei unterhalten und dann bei seiner Aussage in frappierender Weise alles genauso beobachtet, wie die 10 Meter von der Szene entfernt stehenden Beamtin. Besonders auffällig aber war, dass er ohne dies gefragt worden zu sein, immer wieder betonte, er sei sich ganz sicher, dass die Beschuldigte gesehen habe, dass der LKW bereits losgefahren sei als die den Polizisten schubste. Was diese allerdings auch gar nicht bestritten hatte, sie wollte ja gerade deshalb wieder auf die Straße gelangen, um die Ausfahrt des LKW zu behindern. Für einen normalen Menschen allerdings auch unbedingt einleuchtend, dass der LKW dabei sehr langsam fuhr, sie werde sich ja nicht vor einen schnell fahrenden LKW werfen.

Der Strafantrag

Trotz allem Bemühen der Zeugen, eine schwere Gefahr für den Polizeibeamten zu konstruieren, war selbst der Staatsanwältin klar geworden, dass eine konkrete Gefährdung für den Polizeibeamten nicht vorgelegen hat, was die Voraussetzung für eine Bestrafung wegen eines „schweren Falls des Widerstands“ gewesen wäre. Sie ging daher von einer Tat des „einfachen“ Widerstands aus und führte auch noch die üblichen strafmildernd zu berücksichtigenden Aspekte, wie Geständigkeit der Angeklagten und die von dieser vorgebrachten Entschuldigung an. Birgit Th. hatte gesagt, dass es ihr wirklich leid tue, wenn sie dem Polizisten Angst gemacht habe, was sie sich aber nicht richtig vorstellen könne. Auch dass sie erklärte, sie habe aus dieser in der Erregung ausgeführten „Tat“ gelernt, und werde sich künftig nur noch an organisierten und eingeübten Blockaden beteiligen, wertete die Staatsanwältin als strafmildernde Einsicht. Der Teil des Volkes, der die Verhandlung verfolgte nahm erfreut zur Kenntnis, dass endlich einmal eine Staatsanwältin sich ein eigenes Urteil aus der Verhandlung bildete und nicht  stur entsprechend den Vorgaben ihres Oberstaatsanwalts plädierte.

Die Vorgaben kamen dann aber wohl  - und hier ist der Ausdruck „unvermittelt“  wirklich angebracht - beim geforderten Strafmaß zum Vorschein: Weil kein schwerer Fall, weil geständig, weil auch in gewisser Hinsicht reuig, reicht eine Geldstrafe nicht aus und es werden 4 Monate Freiheitsstrafe plus einer Geldbuße von 1.500 Euro gefordert.

Die Verteidigung plädierte auf Einstellung des Verfahrens.

Das Urteil

Der unabhängige Richter spricht dann im Namen des Volkes sein Urteil:
Wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte eine Geldstrafe von 3.600 Euro (80 Tagessätze).

Zur Begründung für die Höhe der Strafe führt er an:

Das polizeiliche Vorgehen war absolut rechtmäßig, weil es absolut rechtmäßig war. Deshalb ist die Handlungsweise der Angeklagten eine zu bestrafende Tat des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gewesen.

Zwar hat eine konkrete Gefahr für Leib und Leben des gestoßenen Polizeibeamten nicht vorgelegen, wohl aber eine abstrakte. Die wird so begründet: Hätte der aus dem Gleichgewicht gebrachte Polizist, sein Gleichgewicht nicht durch einen „Ausfallschritt“ wieder erlangt, sondern wäre gestürzt und wäre der LKW nicht langsam, sondern schnell gefahren und hätte womöglich keine guten Bremsen gehabt und der Fahrer wäre nicht so aufmerksam gewesen oder hätte langsamer reagiert, dann hätte der Polizist möglicherweise ernsthaft verletzt werden können.

Muss das noch kommentiert werden?
Oben bleiben.

S21 und das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Oder: "Wessen Stadt? Unsere Stadt? Wessen Straßen? Unsere Straßen?"

Polizeieinsatz gegen "S21" GegnerInnen am 30.09.2010

(Klick auf das Bild für mehr Fotos)
Am 27.02. fand in Stuttgart der "Demokratiekongress 21" statt. Mehreren hundert TeilnehmerInnen ging es in zahlreichen Workshops, Plenas und diversen Diskussionsrunden darum "die Entwicklungen, die zu diesem Notstand geführt haben, aufzuarbeiten und Alternativen zu entwickeln." Der Kongress sollte eine "„Auftaktveranstaltung“ zu einer breiten Demokratiediskussion sein, in der an die Situation und den politischen Strukturen in Stuttgart angeknüpft" wurde.

Zusammen mit Cuno Hägele führte ich den Workshop "Wessen Stadt? Unsere Stadt? Wessen Straßen? Unsere Straßen?" durch. Mein Einleitungsbeitrag dokumentiere ich hier, gerne auch zur Diskussion:

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde der Versammlungsfreiheit,

das Thema Versammlungsfreiheit war in den letzten Tagen bundesweit in Zusammenhang mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom Dienstag in den Schlagzeilen. Das Gericht entschied, daß das Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch im Frankfurter Flughafen gilt –“ und damit in einem privatisierten Unternehmen in Staatsbesitz:

„(...) Ein umfassendes Verbot, in einer Abfertigungshalle des Flughafens zu demonstrieren und dort Flugblätter zu verteilen, sei unverhältnismäßig und verfassungswidrig.

Der Schutzbereich des Grundrechts der Versammlungsfreiheit sei nicht auf öffentliche Straßen beschränkt, heißt es im Urteil. Erlaubt seien Demonstrationen auch an Orten, an denen ein öffentliches Unternehmen einen »Kommunikationsraum« mit vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten nach Art eines »öffentlichen Forums« biete. Dies sei etwa in Terminals von Flughäfen der Fall.

Die Verfassungsbeschwerde einer Aktivistin, die sich gegen die Abschiebung von Ausländern unter Mitwirkung privater Fluggesellschaften wendet, hatte damit Erfolg. Sie hatte am 11. März 2003 zusammen mit fünf weiteren Personen in der Abflughalle des Frankfurter Flughafens an einem Abfertigungsschalter Flugblätter gegen die Zwangsabschiebung eines Ausländers verteilt. Das danach vom Flughafenbetreiber Fraport AG verhängte Hausverbot wurde in den Vorinstanzen bis hin zum Bundesgerichtshof bestätigt. Diese Urteile wurden jetzt aufgehoben.

Erstmals entschieden die Karlsruher Richter, daß eine private Gesellschaft wie die Fraport AG, deren Anteile mehrheitlich von der öffentlichen Hand gehalten werden, unmittelbar an die Grundrechte gebunden ist.

Nach Ansicht des Verfassungsrechtlers Günter Frankenberg ist das Urteil für Flughäfen, aber auch für Bahnhofshallen relevant. Künftig könne es selbst für große Shopping-Center, die »Stadtteilfunktion« haben, Bedeutung erlangen.“
(„junge Welt“, 23. Februar 2011)

Für uns in der Region Stuttgart hat das Urteil aktuell natürlich vor allem in Zusammenhang mit Stuttgart 21 eine besondere Bedeutung. Sie belebt auch die Diskussion um die Verschärfung des Versammlungsgesetzes, die sich die Landesregierung auf die Fahne geschrieben hat. Die Föderalismusreform 2006 bot den Landesregierungen die Möglichkeit, anstelle des Bundesversammlungsgesetzes eigene Versammlungsgesetze zu beschließen. Die Landesregierung wollte diese Möglichkeit nutzen und brachte im Sommer 2008 den Entwurf für ein neues Versammlungsgesetz ins Gespräch, der das Bürgerrecht auf Versammlungsfreiheit erheblich einschränkt.

Der bis heute nicht zurückgezogene Anhörungsentwurf der baden-württembergischen Landesregierung schafft bürokratische Hürden, sieht die Registrierung, Überwachung und Erfassung der TeilnehmerInnen vor und gibt Polizei und Behörden die Möglichkeit für willkürliche Erschwernisse, Eingriffe in Versammlungen unter freiem Himmel - auch in Veranstaltungen wie die heutige - und damit in die Rechte der Versammelten. Unser im Herbst 2008 gegründetes und inzwischen von einem breiten Spektrum von weit über 100 Organsiationen und zahlreichen Einzelpersonen unterstütztes Bündnis kritisierte den Gesetzentwurf von Innenminister Rech sehr konkret:

„Das Recht auf Versammlungen im Saal wird eingeschränkt:

Obwohl das Grundgesetz nur für Versammlungen unter freiem Himmel gesetzliche Beschränkungen zulässt, sieht das neue Versammlungsgesetz nun auch für Versammlungen im Saal Einschränkungen vor:
- Behörden können in das Selbstbestimmungsrecht von Organisationen eingreifen. Z.B. kann demokratisch gewählten Vorsitzenden die Leitung einer Versammlung untersagt werden.
- Die Behörde kann die Benennung einer von ihr festgelegten Zahl von Ordnern (mit Wohnsitz und Geburtsdatum) verlangen und gleichzeitig Ordner als ungeeignet ablehnen und somit Versammlungen undurchführbar machen.
- Der Versammlungsleiter macht sich strafbar, wenn er nicht rechtzeitig „Gewaltbereitschaft“ erkennt und die Versammlung beendet.

Noch dramatischer sind die Einschränkungen für Demonstrationen und Kundgebungen im Freien:
- Schon zwei Personen gelten künftig als Versammlung. Das kann z.B. bedeuten, dass bereits die Aufstellung von Streikposten bei einem Arbeitskampf als Demonstration angemeldet werden muss.
- Die Anzeigefrist soll verlängert werden auf 72 (statt 48) Stunden vor der ersten Einladung zur Versammlung.
- Bei der Entscheidung über Verbot und Auflagen könnten die „Rechte Dritter“ wie z.B Verkehrsteilnehmer und Gewerbetreibende eine Rolle spielen.
- Versammlungsleiter und Ordner werden zum verlängerten Arm der Polizei gemacht, statt die Anliegen der Versammelten zu vertreten. Sie werden registriert und haftbar gemacht und können als „ungeeignet“ abgelehnt werden.
- Bereits gleiche Mützen oder gleichfarbige Streikwesten von Gewerkschaften können als „militant“ und „einschüchternd“ gewertet und verboten werden.
- Die Polizei darf fast ohne Einschränkungen in die Versammlung eingreifen und z.B. die Personalien der TeilnehmerInnen feststellen.
- Versammlungen können nach Gutdünken der Polizei gefilmt und die Aufnahmen nahezu beliebig gespeichert werden.
- Bereits bei der Anreise zu Versammlungen gilt ein Sonderrecht für polizeiliche Kontrollen und Schikanen.

Das vorgebliche Ziel, besser gegen Naziaufmärsche vorgehen zu können, wird verfehlt. Bereits in der Vergangenheit wurden antifaschistische Aktivitäten häufig seitens der Behörden erschwert. Im neuen Gesetz werden nun verstärkt gerade diejenigen behindert, die sich in Versammlungen gegen Rechtsradikale wenden. Um rechtsradikale zu bekämpfen wären u.a. Verbote von Naziorganisationen angebracht, nicht aber Einschränkungen der Versammlungsfreiheit, die alle treffen.“

(Positionspapier Bündnis für Versammlungsfreiheit Stuttgart, 2008)

Besonders der letzte Punkt wurde durch die juristische und polizeiliche Praxis in Sachsen nochmals deutlich, wo auf der Grundlage eines ähnlichen Versammlungsgesetzes am 13. und 19. Februar Proteste gegen den europaweit größten Naziaufmarsch niedergeschlagen werden sollten. So wurde beispielsweise dem DGB eine Protestkundgebung vor dem 1933 von den Nazis verwüsteten Gewerkschaftshaus in Dresden mit der Begründung untersagt, dies störe die Versammlung der Faschisten.

Der baden-württembergische Entwurf richtet sich mehr nach "polizeilichen Bedürfnissen nach Ordnung und Sicherheit" und nicht danach, eine breite gesellschaftliche Diskussion zu ermöglichen.

Das sahen viele Menschen ähnlich, innerhalb weniger Wochen gelang es uns 2008 daher, eine Großdemonstration mit 6000 Teilnehmern in Stuttgart zu organisieren und uns bundesweit mit ähnlichen Bündnissen zu vernetzen.

Das bayerische Bündnis gegen das von der dortigen Landesregierung geplante Versammlungsgesetz führte gegen das dortige Versammlungsgesetz eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.

Die Eil-Entscheidung des Bundesverfassungsgericht veranlasste den bayerischen Landtag Anfang 2010 ein überarbeitetes Versammlungsgesetz zu verabschieden, das in einigen Kernpunkten vom ursprünglichen Plan abwich: Wie die Vorschriften, mit denen Leiter von Versammlungen quasi als Hilfspolizisten in die Pflicht genommen werden sollten, das von der Staatsregierung eingeführte „Militanzverbot“, das heimliche und offene Belauschen und Abfilmen von Versammlungen.

Weitere Punkte sind nach wie vor offen, wie die Speicherung persönlicher Daten von Ordnern bei bei der Behörde abgeliefert werden sowie die Anmeldepflicht für Kleinveranstaltungen ab zwei Personen. Aus diesem Grund bleibt auch die Verfassungsklage bestehen. Den endgültigen Spruch wollte die baden –“ württembergische Landesregierung abwarten.

Allerdings –“ nicht ohne untätig zu bleiben:

Es wurde in den letzten Monaten zur Praxis der Ordnungsbehörden, Teile des geplanten Versammlungsgesetzes durch offenkundig rechtswidrige Auflagen oder Gemeinderatsbeschlüsse vorweg zu nehmen - wohlgemerkt obwohl in Baden-Württemberg nach wie vor das Bundesversammlungsgesetz gilt:

Bei den Protesten gegen das öffentliche Gelöbnis der Bundeswehr am 30. Juli in Stuttgart wurden beispielsweise die AnmelderInnen bzw. die  vorgesehenen Versammlungsleiter durch das Ordnungsamt wegen „fehlender Eignung“ abgelehnt, obwohl keiner von ihnen vorbestraft gewesen ist.

Bei einer Demonstration in Schorndorf gegen ein Neonazizentrum wurden sämtliche Daten der Ordner von der Polizei registriert. In Balingen soll nicht nur für die Anmeldung einer Demonstration bezahlt werden, die Teilnehmerinnen sollten nur Getränke in Tetrapack mit sich führen. Zudem sollte auch der Fahrer eines Lautsprecherwagens seine Personalien angeben. Da sich die Demonstration sowieso nur auf dem Gehweg bewegen durfte, war der Lautsprecherwagen übrigens ein Einkaufswagen...

„(...) Besorgniserregend sind jedoch insbesondere die Entscheidungen des BVerfG und des VGH Mannheim, die beide davon ausgehen, dass die generelle Möglichkeit von Gebührenerhebung und deren persönliche Zurechnung zu den Veranstalter_innen vom Gesetz gedeckt sei. Die Erhebung der Verwaltungsgebühr für versammlungsrechtliche Auflagen wird in beiden Fällen nicht auf eine konkrete Norm, etwa im Versammlungsrecht, gestützt, sondern auf Umwegen über die Zurechnung begründet. Zunächst werden Gefahren, die bei einer Demonstration entstehen könnten, den Anmelder_innen angelastet. Dies ist überhaupt nur möglich, wenn die Anmelder_innen aufgrund meist vom Verfassungsschutz beigesteuerter „Erkenntnisse" irgendeiner Szene zugeordnet werden. Weil nur für individuell zurechenbare Leistungen, wie etwa für das Ausstellen einer Bescheinigung, Verwaltungsgebühren erhoben werden dürfen, wird die Maßnahme zur Beseitigung der persönlich zugerechneten Gefahr im zweiten Schritt zu einer individuellen Leistung erklärt.

Bedenken gegen eine solche Argumentation ergeben sich schon allein aus dem eingangs erwähnten Demokratieprinzip des Staates. Denn wie auch das Verfassungsgericht richtigerweise feststellte, können sich Kostentragungspflichten bei Versammlungen durchaus einschüchternd auswirken. Indem die Gerichte aber betonten, dass die Veranstalter_innen bei ihnen zugerechneten Gefahren die Kosten der Maßnahmen tragen müssen, stellen sie indirekt den Grundsatz auf, dass es Bürger_innen innerhalb des Staates gibt, die nicht ohne weiteres ein kostenfreies Recht haben, sich zu versammeln. Daraus ergibt sich eine skurrile Gesinnungskontrolle im Vorfeld. Wer reinen Gewissens ist und sich als vorbildliche_r Bürger_in erweist, darf auf Kosten des Staates demonstrieren. Wer dagegen nach Abgleich der Verfassungsschutzakte „zweifelhafte" Ziele verfolgt, muss für die Öffentlichkeitsarbeit bitte zahlen. So wird die Kostenfrage und damit auch das uneingeschränkte Versammlungsrecht zugleich der Willkür und Datensammelwut der Behörden überlassen. (...)“
  (Maria Seitz, „Versammlungsrecht gegen Bares - Zur Konstruktion versammlungsrechtlicher Auflagengebühren“)

Doch es entscheidet sich nicht nur im Vorfeld, wer genug Geld zum Demonstrieren hat.

Die Staatsanwaltschaft warf Marc Kappler, Versammlungsleiter der Bildungsstreikdemo am 09. Juni 2010, vor, dass die Demonstranten die ohnehin gesperrten Straßenkreuzungen am Berliner Platz und am Rotebühlplatz je 6 und 9 Minuten blockiert hätten. Dieser angebliche Verstoß gegen das Versammlungsgesetz sollte mit einer Geldstrafe von 600,- Euro geahndet werden. Auch unter solcher Strafbedrohung wird das Demonstrationsrecht zu einer Sache des Geldbeutels.

Wir unterstützten den ver.di Kollgen ebenso solidarisch wie am 09.02. die Versammlungsleiterin der Montagsdemo gegen Hatz IV, Nuran Cakmakli. Wegen angeblicher Vergehen gegen das Versammlungsrecht –“ Lautsprecher bei einer der Montagsdemos gegen Hartz IV waren angeblich falsch ausgerichtet - wurde gegen sie als Anmelderin und Teilnehmerin einer Protestaktion gegen S 21 eine Geldstrafe in Hohe von 30 Tagessätzen zu je 40 € , insgesamt also 1200,- € plus „Kosten des Verfahrens“ und aller „Auslagen“  festgesetzt.

Dieser kurze Exkurs soll verdeutlichen, dass nicht nur in Sachen „Stuttgart 21“ sondern bei allen der Obrigkeit in diesem Lande unbequemen Protesten in eines der grundlegendsten und ältesten bürgerlich-demokratischen Grundrechte eingegriffen wird.

Am 30. September fand der für viele Menschen am weitesten gehende Angriff auf die  Versammlungsfreiheit statt. Bekanntlich wurden hunderte friedlich protestierende „Stuttgart 21“ - GegnerInnen, darunter Alte, Jugendliche, Behinderte und Mütter mit Kindern mit Wasserwerfern, Reizgas und Knüppeln zum Teil schwer verletzt.

Bis heute werden die Ereignisse dieses Tages trotz monatelanger Arbeit des Untersuchungsausschusses in der Öffentlichkeit verzerrt dargestellt und die Verantwortung hin und her geschoben. Viele Menschen wurden durch die Erfahrungen des 30. September sensibilisiert: Ähnlich wurde von den jeweiligen Regierungen in der Vergangenheit Proteste in Gorleben, gegen Castor Transporte, die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, den NATO Gipfel in Strasbourg, gegen Transrapid usw. gehetzt.

Für uns als Bündnis für Versammlungsfreiheit ist nach wie vor klar:

Protest, der nur symbolisch, in gebührender Entfernung vom Ort des Geschehens, am besten unbemerkt und nicht die Geschäfte störend stattfindet mag eine Veranstaltung sein, mit der die Regierung Mappus leben kann.

Wir brauchen jedoch ein Versammlungsrecht, das spürbare Proteste ermöglicht und denen, gegen die protestiert wird, die Forderungen deutlich macht. Vor einem solchen demokratischen Recht haben nur diejenigen Angst, gegen die sich der Protest richtet.

Wir halten es für ein Unding, trotz offener, grundsätzlicher Fragen zuerst die gesellschaftliche Auseinandersetzung über "Stuttgart 21" für beendet zu erklären und dann zu versuchen, die Proteste zu diffamieren und zu kriminalisieren. Wer gehofft hat, nach dem 30.09. würde sich die Landesregierung besinnen, muss sich eines besseren belehren lassen:

Über 1000 Verfahren gegen S21 GegnerInnen sind augenblicklich am Laufen. Die Polizeibehörden lassen bei der Räumung der morgendlichen Blockaden inzwischen nicht nur die unmittelbar Beteiligten erkennungsdienstlich behandeln, sondern auch unbeteiligte Passanten.

Daher stehen wir nach wie vor zu unseren Forderungen:

  • Abschaffung der „Wegtragegebühr“!
  • Einstellung der Verfahren gegen Protestierende!
  • Keine Einschränkung des Rechts auf  Versammlungsfreiheit durch Polizei - und Stadtverordnungen
  • Übernahme aller Kosten, die den Protestierenden durch juristische Verfahren, Verdienstausfälle, medizinische Behandlung usw. entstanden sind.
  • Das Recht für alle, jederzeit und ohne Anmeldung an demokratischen und antifaschistischen Protesten teilnehmen zu können und diese auch organisieren zu dürfen.
  • Schluss mit den Repressionen gegen die SchülerInnen und Lehrer und Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, die an den Protesten am 30. September teilgenommen haben.

Es ist aus unserer Sicht für jeden politisch denkenden Menschen notwendig, aktiv für Versammlungsfreiheit einzutreten.

Ebenso wenig wie die Auseinandersetzung um Stuttgart 21 mit den Landtagswahlen beendet sein wird, gehen wir davon aus, daß es nötig ist, über den 27. März hinaus für die Versammlungsfreiheit einzutreten.

"Über 1000 Strafanzeigen gegen S21-Gegner. Ist das Protest oder schon Anarchie, Herr Innenminister ?"


Mit diesem Salto mortale stellt die BILD-Zeitung vom 19.1.2011 die Wirklichkeit auf den Kopf. Ihr Stichwortgeber ist offenbar Innenminister Rech persönlich. Heißt es doch im Artikel weiter unter Bezugnahme auf Rech: "Ein Teil der S21-Demonstranten bastle sich sein eigenes Recht zusammen."

Tatsächlich bastelt sich die Stuttgarter Polizeiführung seit Ende der Schlichtung ihr eigenes Recht zusammen - richtiger - verbiegt es nach Belieben.

Verdachtsunabhängige Videoüberwachung von Großdemonstrationen mit zehntausenden Teilnehmern bis zu Blockaden mit 50 Teilnehmern - alles wird flächendeckend mit mehreren Kamerateams gefilmt, am Nordflügel und beim Grundwassermanagment wird alles eingekesselt, was rumsteht - ob auf dem Bürgersteig oder sonstwo, ohne Ankündigung, ohne Versammlungsauflösung, ohne Begründung, überfallartig und stundenlang bei Minus-Temperaturen.
Am 1.2.2010 waren Bereitschaftspolizei- und BFE-Einheiten aus Lahr im Einsatz - im Gespräch bekannten einige Beamte, dass ihnen das hiesige Verfahren so aus ihrer Einsatzpraxis nicht bekannt sei - aber es gebe "von oben" die Anweisung, in Stuttgart anders zu verfahren - das "Stuttgarter Landrecht" des Oberstaatsanwalts Häussler eben. Derselbe Häussler, für den schon klar war, dass beim "schwarzen Donnerstag" alles rechtens war, bevor der Untersuchungsausschuss überhaupt "piep" gesagt hatte.

(...)

"Ist das noch Demokratie oder schon Polizeistaat, Herr Innenminister?"

Bei der großen Anzahl der Strafanzeigen und zu erwartenden Verfahren ist das Problem nicht mehr nur am Einzelfall über Rechtsberatung und Rechtshilfe juristischer wie finanzieller Art zu lösen.

Fast wichtiger wie das zahlenmäßige Ausmass, sind die Inhalte der Verfahren, deren Zweck eine umfassende Kriminalisierung des Widerstands und eine Verfestigung und richterliche Legitimierung illegaler Handlungsweisen der Polizei und Ordnungsbehörden ist.
Demgegenüber muss die Legitimität des Widerstands gegen S21, von Aktionen des zivilen Ungehorsams offensiv verteidigt werden. Praktischen Ausdruck könnte das in einer Kampagne unter der Forderung "Einstellung aller Verfahren gegen S21-Gegner" finden.

Der Forderung nach Einstellung aller Verfahren wird oft entgegen gehalten, sie sei unrealistisch. Tatsächlich kennt die jüngere deutsche Geschichte Beispiele, wo das gelungen ist :

Mit dem Straffreiheitsgesetz von 1970 wurden ca. 5000 Strafverfahren hinfällig, hauptsächlich Demonstrationsdelikte im Zuge der 68er-Revolte. 1976 wurde zwischen den Bürgerinitiativen, die den Bau des Atomkraftwerks Whyl bekämpften und der Landesregierung unter Ministerpräsident war Filbinger das "Offenburger Abkommen" - auch eine Art Schlichtung- abgeschlossen, das unter anderem die Einstellung aller Strafverfahren beinhaltete.

Da mit dem Gros der Verfahren vermutlich angebliche Verstösse gegen das Versammlungsgesetz und verwandte Delikte im Zusammenhang mit Sitzblockaden oder Demonstrationen geahndet werden sollen, bietet sich als Plattform für eine solche Kampagne das Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit an.

Die Kampagne - die bei uns momentan in der Diskussion ist - kann auf mehreren Ebenen (auf der Strasse, politisch, juristisch) geführt werden und in ihrem Rahmen Einzelaspekte (Wegtragegebühr, illegales Filmen etc.) thematisiert werden.

Ich möchte Sie –“ Euch dazu einladen, mit uns gemeinsam dafür einzutreten.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Es gilt das gesprochene Wort)


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