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Athen: Wer sind die "Feuerzellen"? Sind ihnen die Brandbriefe zuzutrauen?

Mit großem TAMTAM ist der Prozess gegen eine ganze Anzahl von angeblichen Mitgliedern der "Verschwörung der Feuerzellen" in Athen angelaufen - und zwar nicht wegen einzelner Bomben und Brandbriefe, sondern wegen "Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung". Möglicherweise hat man von der RAF-Prozess-Fabrik in Stammheim gelernt: Taten sind immer schwer nachweisbar, Gesinnungen und daraus abgeleitete Zugehörigkeiten  leichter.

Da  außer Beschwörungsgesten gegen "Anarchisten" und feierlichen Verfluchungen über Wesen und Absichten dieser "Feuerzellen" herzlich wenig in Deutschland zu erfahren ist, soll hier aus einem Text von  September 2009 - also lang vor den verhandelten Anschlägen 2010 - berichtet werden. Was war zumindest damals die Motivation der Zellen?

Einige Auszüge: Zunächst geben die "Zellen" eine Übersicht: wie ist die gesamte gesellschaftliche Lage  Griechenlands- nach und in der Krise ab 2008 und unmittelbar vor den Neuwahlen?
Merkwürdiger Weise wird die "Krise" hier im Wesentlichen als eine Machination der Herrschenden behandelt, die bewusst eingesetzt wird, um die Leute bei der Stange zu halten. Dass die Krise die Herrschenden selbst an der Gurgel hält und schüttelt, wird in diesem Text nicht erwogen. "Zuallererst ist die Idee der Krise, mit  der wir permanent durch die Presse bombardiert werden, ein militärischer Befehl, ein Befehl, der einen gesellschaftlichen Alarmzustand vorschreibt. Die gesellschaftliche Angst, die vor dem Unbekannten der Krise Parade läuft, hat ihren eigenen,sehr ausgeprägten Geruch. Es sit der Geruch der Feigheit, der allem anhaftet,das die Bourgeoisie akzeptiert hat, all den Wünschen, die sie nie entdeckt haben,all den Erniedrigungen, auf die sie nie reagiert haben,all den Rollen, die sie vor den leeren Bühnen ihres bourgeoisen Fantasierens gespielt haben.Gesellschaftliche Angst hat auch ihre eigene Ausdrucksweise, sie ist rachsüchtig, kleinlich und konservativ" (Seite 319/320)

Es wird dann ausgeführt, inwiefern in der neueren Geschichte Griechenlands, aber auch in den USA immer neu die Krise als Drohgespenst eingesetzt wurde, um aus Verängstigten einen Block zu bilden.

Die Erklärung zur Niederlegung von zwei Bomben vor der Börse und vor einem Regierungsgebäude in Thessaloniki ergibt sich dann aus dieser Voraussetzung:  dem Zwangszusammenschluss der verängstigten Bürger muss etwas entgegengesetzt werden, das sich der öffentlichen Choreografie (Neuwahlen) entzieht und Spontaneität -Freiheit- signalisieren soll.

Warum Bombe gerade an diesem Ort? Weil dort die Polizeibewachung besonders dicht war. Wenn es an einer solchen Stelle gelingt...

Die erwartete Wirkung unter der Bourgeosie Thessalonikis und Athens ist erwartungsgemäß nicht eingetreten.

Interessant aber eine technische Nebenbemerkung zu den Begleitumständen der Bombenzündung. "Um Verletzungen zu vermeiden, haben wir einen Fernsehsender und die Polizei informiert". (Seite 321) Wenn das so ist, sollte es also im Wesentlichen auf den Schock ankommen, nicht auf die tödliche Wirkung.

Den "Zellen", denen heute der Prozess gemacht wird, werden hauptsächlich Briefbomben vorgeworfen. Jedem Krimi-Gucker ab zehn Jahren ist aber klar, dass unter keinen Umständen damit zu rechnen ist, dass Frau Merkel, die Lockenwickler noch im Haar, höchstpersönlich vor die Tür des Kanzleramts stürzt, um ihre Post noch auf der Treppe gierig aufzureißen. Normalerweise läuft so ein Brief, ob er nun tickt oder nicht, durch drei bis vier Hände, die alle eher abgesprengt werden als die einer Kanzlerin.

Das heißt, als ernst gemeinte Waffe gegen einen Staatschef oder nicht - wie schuldig auch immer - sind Briefbomben das untauglichste Mittel. Sie treffen notwendig andere, was jedenfalls nach dem Text vom September 2009 strikt vermieden werden sollte. Als bloßes Schreckmittel in aller Welt sind solche Briefe auch nicht brauchbar. Sie schrecken nach den ersten Probefällen zu wenig.

Sollte es möglich sein, dass - wie in anderen Fällen - sich die stets aktiven "Dienste" in die Organisation der "Zellen" eingeschlichen haben? Um europaweit das große Schreckens-Huch auszulösen?
Unmöglich wäre es nicht.

Auf jeden Fall - so subjektivistisch und damit auf lange Sicht falsch - die "Zellen" nach dem einzigen mir bekannten Text vorgehen, es ist unverantwortlich und im höchsten Grad leichtfertig von der deutschen Presse, nur dem Angstmachen zu dienen, nicht aber der Aufklärung. Ein wenig mehr wüsste man von den Mitgliedern der "Zellen" schon gern, als dass sie zur fluchwürdigen Gemeinde der "Terroristen" zu rechnen sind.

Der vorliegende Text ist entnommen einer neu herausgekommenen Sammlung von Texten aus der griechischen Bewegung. "Wir sind ein Bild der Zukunft - auf der Straße schreiben wir Geschichte: Texte aus der griechischen Revolte". Nach dem Vorwort nach September 2010 herausgekommen. Laika-Verlag. Edition Provo Band 1 / Karlheinz Dellwo.

Der Band enthält sehr viel Stimmungsberichte aus den Straßenkämpfen ab 2008 in Griechenland. Dazu wenige zusammenfassende theoretische Darlegungen. Nach erstem Eindruck lange nicht von der Geschlossenheit der "insurrection qui vient", aber immerhin nützlich für alle, die einen Blick hinter den Rauchvorhang der einschlägigen bürgerlichen Presse werfen wollen. Es wird darauf zurückzukommen sein.


Die Monkey Wrench Gang

Buchcover
2010 wurde der Kultklassiker "Die Monkey Wrench Gang" von Edward Abbey - illustriert mit 50 Zeichnungen von Robert Crumb - im Verlag Walde-Graf neu aufgelegt. In Zeiten, in denen die diversen Bestsellerlisten von esoterischen Ratgebern, allerlei Lehrbüchern zur Frage, wie man am stilvollsten Menschen umbringt oder Sachbüchern abgehalfteter Bundesbankvorstandsmitglieder überquellen, liest sich der subversive Roman eher ungewohnt. Die unterhaltsame Lektüre in Sachen "Ziviler Ungehorsam" hat zwar schon 36 Jahre auf dem Buckel und die Mentalität seiner Protagonisten entspricht einem scheinbar längst untergegangenen Menschenschlag - trotzdem: Eine lesenswerte und inspirierende Anleitung dafür, wie man im wahrsten Sinne des Wortes Sand ins Getriebe streuen kann.

Die Kernhandlung spinnt sich um 4 grundverschiedene Öko-Saboteure, einen Staudamm, der den Colorado River aufstaut und von verschiedenen Brücken. Und von ihrem verwegenen Plan, der Natur wieder zu ihrem Recht zu verhelfen.

Der Finanzier des Quartetts, Doc Sarvis und seine praxisorientierte Lebensgefährtin Bonnie Abbzug fackeln nicht lange. Insbesondere bei Werbeplakattafeln, die regelmäßig in Flammen aufgehen, wenn die beiden in der Nähe sind. Der recht abgewrackt herumlaufende Vietnam-Veteran George Washington Hayduke III., träumt permanent von "Dynamit, Dynamit, Dynamit". Am besten von DuPont. Dann wäre da noch der von seinen drei Frauen selten gesehene Mormone Joseph Fielding "Seldom Seen" Smith. Er organisiert Bootstouren auf dem Colorado River. Bei einer solchen lernen sich die vier kennen.

Die netten Saboteure üben sich zunehmend professioneller in der endgültigen Außerbetriebsetzung von Baugerätschaften aller Art, allen voran den bekannten Baggern und Erdräummaschinen der Firma Caterpillar, bekanntlich der weltgrößte Hersteller von Baumaschinen mit Hauptsitz in Peoria, Illinois (USA). Die Maschinen der auch heute noch unbeliebten Firma zeigen sich unerwartet empfindlich gegen Ablassen von Motoren- und Hydrauliköl, gegen Sand oder Melasse im Tank ebenso wie gegen brennbare Flüssigkeiten. Nach eingehender Behandlung mit dem namengebenden "Monkey Wrench" - dem schweren Schraubenschlüssel - widersteht keines der auf üblichen Großbaustellen verwendeten Fahrzeuge und anderen Gerätschaften. Aber auch ganz ohne Werkzeug lassen sich Vermessungspfähle durchaus kreativ neu anordnen.

Unwissende LeserInnen erfahren durch die Lektüre, welche Tricks und Werkzeuge dazu nötig sind, und was man anstellen muss, um ein derartiges Fahrzeug zu starten. Überhaupt hat das Buch zahlreiche Tipps für zukünftige Saboteure auf Lager, die fernab von Northface oder Jack Wolfskin Lifestyle Trekking ein Überleben und Agieren unter schwierigen Bedingungen ermöglichen, vom Anlegen von Depots für Nahrungsmittel und Werkzeug, der Geldbeschaffung bis hin zum Fahrzeug- und Kennzeichenwechsel. Das Buch stand lange Zeit wegen dieser konkret dargestellten Sabotageakte in einigen US-Bundesstaaten auf dem Index und diente als Quelle der Inspiration für die 1979 gegründete radikale Umweltschutzorganisation Earth First!.

Der Gegenseite entgeht dieses anarchistische Treiben natürlich nicht. So entsteht aus einer zufälligen Begegnung mit einer selbsternannten Bürgerwehr - unter der Führung eines Mormonenbischofs der "Seldom Seen" Smith seit langem auf dem Kieker hat - die Jagd auf die Truppe. Während sich die Schlinge immer enger zieht, bleiben weltanschauliche Auseinandersetzungen nicht aus. Bei der Planung der Sabotage einer Eisenbahnbrücke entspinnt sich eine Diskussion, wie weit "Gewalt gegen Sachen" gehen darf.

"Die Massen"
spielen in dem Roman keine Rolle. Bedauerlich einerseits, erklärt sich das Handeln der Vier jedoch aus der offenkundigen Tatsache heraus, dass die Phase der Massenproteste bereits erledigt oder nicht wahrnehmbar ist. Wobei sich die Frage stellt: Wie denn auch in der dünn besiedelten Gegend im Grenzgebiet zwischen Arizona, Colorado, New Mexico und Utah, in der die Handlung angesiedelt ist? Und darin liegt einer der wesentlichen Unterschiede zu den gegenwärtigen Protesten hierzulande, seien es die Aktivitäten gegen Castortransporte, die gegen das Zwischenlager in Gorleben oder gegen Stuttgart 21. Nicht nur, dass hier es kaum einen Quadratkilometer ohne Wachtmeister gibt - auch die Möglichkeiten zur Vorbereitung, Durchführung und zur anschließenden Flucht unterscheiden sich doch zu sehr, als dass die Konzepte des Teams als Schema übernommen werden könnten. Trotzdem gab und gibt es mehr oder weniger erfolgreiche Versuche, die Erfahrungen der radikalen Umweltbewegung auch hierzulande in direkte Aktionen umzusetzen von Blockaden und "Schottern". Ein Teil dieser spiegelt sich in der Geschichte der Startbahnbewegung der 80er Jahre wider.

Eindeutiger Vorteil des Quartetts ist denn auch die Weitläufigkeit der Landsschaft und die Abgeschiedenheit vieler der Ziele. Die Nutzung der geografischen Lage ist spätestens seit Clausewitz' Hinweisen im sechsten und vor allem siebenten Buch seines Werkes "Vom Kriege" - auch außerhalb des militärischen Kontextes - eine der Grundvoraussetzungen, die bei Protesten zu berücksichtigen sind.

Die personelle Unterlegenheit gegenüber dem Macht- und Staatsapparat kann durch kleine, flexible Einheiten überwunden werden - bewegte Menschen können trotz taktischer Unterlegenheit diese scheinbare Schwäche in Stärke verwandeln. Man muss den eigenen Kopf gebrauchen und das ist eine Stärke jedes einzelnen der Charaktere, die trotz mitunter aufkommender Zweifel an dem Bestreben festhalten, Bedenken den Bedenkenträger überlassen und konsequent handeln. Ein Prinzip, bei dem die vier auch diverse fleischliche und geistige Genüsse nicht zu kurz kommen lassen.

Das sehr ansprechend gestaltete und hergestellte Buch gehört daher - wenn auch nicht als konkrete Anleitung sondern vielmehr als äußerst unterhaltsamer Denkeinstieg - in die Hand jedes politisch aktiven Menschen.

"Die Monkey Wrench Gang"
Verlag Walde und Graf, Zürich 2010
ISBN-10 3037740159
ISBN-13 9783037740156
Gebunden, 472 Seiten, 24,95 EUR

Enzensberger: Vom "fliegenden Robert" zum fuchtelnden "Wüterich"

Arno Widmann hat in der "Frankfurter Rundschau" vom 5.1.2011 in tückisches Lob eingekleidet an die größte Erniedrigung, die tiefste Schande des ehemaligen Dichters Enzensberger erinnert. Enzensberger hat in einem leichtfertig "Meine Lieblings-Flops" genannten Buch an Fehltritte seines Schriftstellerlebens erinnert. Sehr schelmisch. Den größten hat er vergessen: Keinen Flop, sondern ein Verbrechen. Mit Recht beendet Widmann seine Besprechung so:

"Angesichts dieses heiteren Räderwerks einer unablässig kluge, fassliche Sätze produzierenden Schule der Geläufigkeit, erinnert sich der Leser an einen der Texte, mit denen Enzensberger die Position des fliegenden Robert aufgab und sein Publikum moralisch unter Druck setzte.
Die Pathos-Maschine angeworfen
Es war im Februar 1991, als er über Saddam Hussein schrieb: „Er kämpft nicht gegen den einen oder anderen innen- oder außenpolitischen Gegner; sein Feind ist die Welt. Die Entschlossenheit zur Aggression ist der primäre Antrieb; Objekte, Anlässe, Gründe werden gesucht, wo sie sich finden. Wer bei der Vernichtung zuerst an die Reihe kommt, ob Iraner oder Kurden, Saudis oder Palästinenser, Kuweitis oder Israelis, hängt nur von den Gelegenheiten ab, die sich bieten. Auch dem eigenen Volk ist dabei keine Sonderstellung zugedacht; seine Vernichtung ist nur der letzte Akt der Mission, zu der sich Saddam berufen fühlt. Der Todeswunsch ist sein Motiv, sein Modus der Herrschaft ist der Untergang. Diesem Ziel dienen alle seine Handlungen. Der Rest ist Planung und Organisation. Er selbst wünscht sich nur das Privileg, als letzter zu sterben.“ Hier hat Enzensberger die Pathos-Maschine angeworfen. Man sieht, wie er von Satz zu Satz ein immer größeres Rad immer schneller dreht. Es gibt an Saddam Husseins Herrschaft nichts zu beschönigen, aber sehr wohl an diesen Sätzen. Woher kommt dieser Wagnerklang?
Diesen Flop hätte man gerne erklärt. Vom Meister selbst"


Doppeltes Verbrechen Enzensbergers: Am eigenen Intellekt und an der Erkenntnisfähigkeit seiner Leserinnen und Leser. In besseren Tagen wusste er sehr genau, dass Faschismus als herrschendes System nicht auf eine einzelne Person und ihren Einfluss zurückgeführt werden konnte. Wenn er jetzt seinen Auswurf im "SPIEGEL" betitelte mit "Saddam- Hitlers Widergänger" verriet er jede bessere Erkenntnis.

Die Schilderung des Regierungs-Systems von Saddat selbst weicht nur gering ab vom BILD-Niveau: Der Irre von Bagdad. Das Schlimme nur: der angesehene Namen Enzensbergers verführte Heerscharen von bisher nur etwas weichbirnigen Studienräten- vor allem peinlicherweise auch solche mit dem Fach Politik oder Geschichte- zum unterwürfigen Nachlallen. Mit seinem Text hat sich Enzensberger zum gedankenlosen Propagandisten eines kriminellen Kriegs gemacht.

Dass Enzensbergers Verfall schon damals eine lange Vorgeschichte hatte, kann der Aufsatz von Olga Tescho aus dem untergegangenen "stattweb" in Erinnerung rufen.

Tescho, Olga:
Der Hass des Aufklärers auf die Massen - zum 80. von Enzensberger 12.November 2009
Wer achtzig wird, muss leiden. Von WELT, FAZ und SPIEGEL gnadenlos gepriesen. In jungen Jahren hatte Enzensberger sie alle angegriffen. Jetzt nahmen sie Rache. Allesamt lobten sie eines an ihm: dass er vom Abitur weg ein Luftikus gewesen sei. Ein Gedankenspieler. Niemals hätte er was ernst gemeint. Damit wäre er inzwischen wirklich der “Harlekin-, als den ihn Habermas nach dem Anschlag auf Dutschke in der bekannten Ansprache in der besetzten UNI Frankfurt hingestellt hatte. Dabei war er in jungen Jahren mit vollem Hass gegen die zugebunkerte Nachkriegs-BRD vorgegangen. Ganz im Sinne der von ihm Bewunderten - d-™ Alembert und Diderot, den Meistern der Aufklärung.

Seine Vorschläge für Atomwaffen-Gegner aus dem Jahr 1958 wirken heute fast rührend: Anzeigen in Zeitungen aufgeben! Versammlungen von Atomfreaks verstören durch schlaue Einwände! usw. Als hätte es auch damals noch viele gegeben, die nichts vom Atom gewusst hätten. Dass trotz alledem so wenige sich durch die Erkenntnis aufschrecken ließen, übersah Enzensberger im Eifer. Solange der Eifer ihn obenhielt und trug. Bei den Demos der 68er war er noch voll dabei. Nach Kuba zweigte er ab - von einer Vortragsgastreise in den USA. Selbst seine Enttäuschung angesichts der dortigen Verhältnisse führte noch nicht zu dem inneren Gebrochensein, das ihm heute manche nachsagen. Die Gesänge “Der Untergang der TITANIC-, die er danach verfasste, enthalten noch in der Wut, im Impuls der Abstoßung, dem verstörten “NEIN- ein festhaltendes “JA- - an der Hoffnung, der eigenen, gehabten und der einstigen der Menschen in Kuba.

Inzwischen muss aber der Zorn des Aufklärers sich in ihm gesammelt haben: der auf die Gleichgültigkeit der Massen. Mehr und mehr ergab sich Enzensberger den üblichen massenpsychologischen Hass-Ergüssen in SPIEGEL-Artikeln “Sie denken nicht! Sie denken nicht!- wie der König Peter aufschreit in Büchners “Leonce und Lena-. Aus dem Willen zur gemeinsamen Erkenntnis “mit allen- wird die immer dicker kochende Wut auf die Reglosigkeit der Vielen.

Nur aus der Erbitterung gegen die, die die Samenkörner des Aufklärers steinig verweigern, lässt sich Enzensbergers tiefster und verächtlichster Fall erklären. Verächtlich nicht etwa nur die Gutheißung der Verbrechen von Bush Senior! Geistiger Selbstmord dabei die Schnapsidee, Saddam, einer der gewöhnlichsten Militärdiktatoren, sei Hitlers Widergänger. Enzensberger beliebte das Bad in der Jauche - mit den entsetzlichsten Wesen tummelte er sich als Kriegshetzer. Man muss erlebt haben, wie in jedem gymnasialen Lehrerzimmer ein ergrauter Kollege den SPIEGEL mit - dieses Mal begeistertem! - Rotstift markierte und mehr und mehr vergaß, wie der Erzschleimschütter selbst, was beide jemals über Entstehung und Fortbestand von Faschismus gehört hatten. Man war wieder in die sechziger Jahre zurückgesunken. Faschist war einfach ein anderes Wort für “Arschloch- geworden. Zwanzig Jahre Analyse dahin...

Seither ging es mit Enzensberger bergab. Wenn er gerade mal Geld brauchte, setzte er beim SPIEGEL was Verzerrtes ab - “voller Hass gegen die Niedrigen-. Was hat er - der wirklich große Geist - falsch gemacht, dass er jetzt das volle Lob all derer über die Ohren geschüttet bekommt, die er einst angriff?

Vermutung: Er nahm Aufklärung zeitlebens als Flug des Wissenden - über die Köpfe der Unwissenden weg. Er weigerte sich am Ende, sich auch am Irrtum der Massen zu beteiligen, aus dem vielleicht Stücke von Mehrwissen, ein wenig genauerer Erkenntnis sich entwickeln. Seine Stelle wurde die des “Fliegenden Robert-, des ewigen Drüberfliegers

-Drun sollt ihr Menschen nicht in Zorn verfallen/ Denn jede Kreatur braucht Mitleid von uns allen- - frei nach Villon. Die Leiden aller Kreatur auch an sich selber zu entdecken - dazu war er zu unberührbar. Auch zu eitel. Und versank im Massenhass in dem Schlamm, aus dem ihn die Anbeter jetzt ausgegraben und aufgebahrt haben.

Quellen: Enzensberger: Verhör von Havana (1970) / Enzensberger: Untergang der Titanic (1978)

Angelika Ebbinghaus: Aufspürerin einer anderen Vergangenheit

Freya von Moltke, 2007
Foto: HopsonRoad / WikiPedia
Creative Commons Lizenz 3.0"
Für Freya v. Moltke. Zum Jahrestag ihres Todes am 1.1.2010 und zum hundertsten Geburtsag im März 2011

Hinzuweisen wäre hier zunächst auf ein wichtiges Buch. Eine Art Festschrift zum 65. Geburtstag von Angelika Ebbinghaus. Die ungeheuer vielfältige und weitreichende Tätigkeit dieser Frau wird hier in heraufgerufen. Ebbinghaus wird in den sie ehrenden Erinnerungen von mitkämpfenden Frauen zwar auch "Feministin" genannt - falls der Begriff damals schon so geläufig war wie heute. Ihre Untersuchungen gehen aber weit über das hinaus, was mit dem Begriff gemeinhin gefasst werden soll.

Es ist unmöglich, hier gleich mit einer Rezension aufzuwarten über all ihre Schriften. Womit hat sie sich beschäftigt oder nicht beschäftigt die lange Zeit ihres wissenschaftlichen Arbeitens! (Dazu vielleicht einmal später mehr)

Hier soll nur herausgegriffen werden das, was sie mit Karl Heinz Roth zusammen herausbekommen hat über die verschiedenen Ausprägungen des deutschen Widerstands gegen das Nazi-Regime. Im vorliegenden Band findet sich dazu S.149 ff. eine ganze Reihe von mails, die sie ausgetauscht hat mit Freya v. Moltke, die damals in den USA lebte und so lange über den Tod von James Moltke hinweg ausgehalten hat. In diesem mail-Wechsel finden sich die Vorarbeiten des Buchs über die "Kapellen" des Widerstands in der Zeit des deutschen Faschismus.

("Kapelle" ist - wie man weiß - ein Gestapo-Ausdruck. Nachdem einzelne Funker dort "Klavierspieler" genannt wurden, hieß das Zusammenwirken von mehreren dann konsequent "Kapelle" - auch in Fällen wie dem Kreis um die Moltkes in Kreisau, die es nicht nötig hatten zu funken, weil sie seit 1940/41 höchst persönlich zusammenkamen).

Angelika Ebbinghaus und Karlheinz Roth entdeckten gerade in der Gruppierung um Kreisau die fruchtbarsten und weitestreichenden Überlegungen zur Schaffung einer Zeit nach dem Krieg, die gründlich aufräumen sollte nicht nur mit dem Nazismus selbst, sondern auch mit allem, was diesen in Deutschland möglich gemacht hatte. Insofern wurde der Anschluss an sozialistische Gedanken ausdrücklich gesucht. Ein Umstand, den die schon wieder staatstragende Historikerzunft um Ritter und Fest unerbittlich zu verschweigen beabsichtigte.

Insofern war das Buch über die "Kapellen" nur gegen den starrköpfigen Widerstand der etablierten Geschichtsinhaber herauszubringen.

Der Kreisauer Kreis

Roth und Ebbinghaus gehen im Buch über die "Kapellen" ausdrücklich nur am Rande auf den Widerstand von unten ein, der schon oft behandelt wurde, auch von den beiden selbst. Roth hatte sich vorgenommen, für dieses Mal gerade die Konzeptionen der militärischen und bürgerlichen Gruppen zu untersuchen über das “danach-. Wie und mit wem sollte es weitergehen nach dem - als geglückt vorausgesetzten Attentat?

Joachim Fest beanspruchte seinerzeit das Monopol der finalen Deutung deutscher Geschichte. Nach „Hitler“ und vor „Untergang“ hat er im "Staatsstreich" den 20. Juli endgültig eingereiht und abgefertigt. Sein Buch endet zustimmend mit dem Zitat: „Ich glaube, es war gut, dass es gemacht wurde, und vielleicht auch gut, dass es misslang" (Staatsstreich S. 346). Fest und viele staatstreue Nachbeter heften sich an Tresckows letzte Meldung: „Das Attentat muss gemacht werden, coÃ"te que coÃ"te“. Die Handlung aufs äußerste ausgedünnt, aufs Zeichen reduziert. Die Gräte statt des Fischs. Als hätten die Verschwörer alles nur getan, damit wir dem Ausland einen Gedenktag zum Feiern vorzeigen können. Gerade umgekehrt gehen Karl-Heinz Roth und Angelika Ebbinghaus vor. Sie versuchen den Vorgang, der zum 20 Juli führte, nicht zu verarmen, sondern zu bereichern.

Was hatten nicht nur die Offiziere, nicht nur der Goerdelerkreis, sondern auch die Gruppe um Graf Moltke für Vorstellungen? Was sollte nach dem Schluss der NS-Diktatur kommen? Was davon hätte Eingang finden können in die Diskussionen unmittelbar nach Kriegsende? Dabei arbeitet vor allem Karl Heinz Roth die scharfen Gegensätze heraus, die die Verschwörer nur mühsam überbrücken konnten. Goerdeler, ehemals Bürgermeister von Leipzig, Sparkommissar in der Weimarer Republik und auch noch in den ersten Jahren der Naziherrschaft, war stark vom Ordo-Liberalismus geprägt. Im Überlebensfall hätte er ohne weiteres den Ludwig Erhardt geben könnten. Er suchte eine Sanierung des Staatshaushalts durch Steuererhöhung, unbezahlte Mehrarbeit und einen rigiden Sparkurs. (Der gegebene Mann für heute). Wie die meisten seines Kreises wollte er keineswegs zurück zu einem Parlamentarismus irgendeiner Art. Er schwärmte dem Präsidialsystem Hindenburgs und Brünings am Ende der Republik nach. In der Durchführungsplanung des Aufstandes führte das dazu, dass ängstlich jede breite Volksbeteiligung, auch Streiks, ausgeschlossen wurden. Die Massen als Gefahr - ein Gedanke,der sich bis in die verfassunggebende Versammlung 1949 durchfraß. Ebenso wurde kein Gedanke an die Beteiligung einfacher Soldaten verschwendet. Brutal gesagt: Gerade die angstvolle Erinnerung an die Soldatenräte von 1918 beschleunigte den Willen zu einer Einigung mit den Kriegsgegnern. Um Gottes Willen, nicht noch einmal die wilde Rotte, die Offizieren die Achselklappen herunterriss.

So wundert es nicht, dass sowohl Stauffenberg und die Offiziere um ihn den als Reichskanzler vorgesehenen Goerdeler nur als „Kerenskilösung“ ansahen. Kerenski: das war derjenige, der in der ersten Zeit der russischen Revolution unbedingt den Krieg fortführen wollte, bis die Bolschewiki ihn stürzten. Die Überlegung war: 1918 haben sich die Sozialisten in Deutschland vor allem verhasst gemacht, weil sie den Kapitulationsvertrag unterzeichnet hatten. Dafür sollte Goerdeler herhalten: Danach: Adieu... Es gibt einen witzigen kleinen Roman Christian v. Ditfurths, in dem er davon ausgeht, das Attentat sei geglückt. Allerdings: die SS erwiese sich am 21. Juli als Mitinhaber der Macht. Schließlich gäbe es 1953 vielleicht einen Bundeskanzler Himmler... (Der 21. Juli. Roman. Droemer, München 2001, ISBN 3-426-27199-0; Knaur, München 2003, ISBN 3-426-62415-X)

Der Roman bohrt sadistisch in der Unentschlossenheit des Goerdelerkreises. Diese Gruppe wollte Reich ohne Hitler. Nur dass ohne stärkste Volksbeteiligung eine erfolgreiche Umwälzung sich nicht einmal denken lässt. Notwendig blieben alte Machtblöcke dabei ungestürzt. Herausgearbeitet wird von Ebbinghaus und Roth, dass zum Beispiel Offiziere, die selbst in der Partisanenabwehr tätig waren, und die aktiv den Sturz Hitlers betrieben, trotzdem niemals auch nur den Gedanken fassten, etwa mit Partisanen zusammen einen gesamteuropäischen Aufstand zu planen. Gerade darin zeigt sich der Unterschied zum Widerstand von unten, dem im Buch zwar ein zusammenfassendes Kapitel gewidmet ist, der dieses Mal für die Verfasser aber nicht im Mittelpunkt steht. Zu erinnern wäre zum Kontrast an den halbjüdischen Peter Brückner, dem es gelungen war, in der Armee unterzukommen. Kaum war er zur Bewachung eines Gefangenenlagers abgeordnet, knüpfte er Kontakte sowohl zu russischen Gefangenen wie auch zu Mitgliedern der im Untergrund immer noch tätigen Kommunistischen Partei Österreich. Ebenso berichtet Angelika Ebbinghaus vom Bruder der Freya von Moltke. Er benutzte die Gelegenheit, als er in Italien als hoher Funktionär Arbeitskräfte für Bauten im Reich anwerben musste, selbst sich der Partisanengruppe „Giustizia e Libertà“ anzuschließen.

Stark heben Roth und Ebbinghaus die Rolle des Moltkekreises hervor - nach dem Gut der Familie: Kreisauer Kreis genannt. Sie, in der offiziellen Literatur immer etwas geringschätzig als bloßer Diskutierclub behandelt, verzichteten bewusst auf gewaltsamen Sturz der Diktatur. Sie sahen die Notwendigkeit der Kapitulation voraus und beschäftigten sich mit den Möglichkeiten eines Neuanfangs. Dabei setzte Moltke selbst vor allem auf „kleine Einheiten“ unten, die sich fast räteartig selbst verwalten sollten. Als zusammenfassendes Element sollte hinzutreten ein wirklich geeintes Europa, an dem deutsche Teilstaaten gleichberechtigt teilnehmen sollten. Ein Auseinandertreten des Blocks "Großdeutschland" in einzelne selbständige Staaten wurde also willentlich angestrebt. Um alle neuen Großmachtgestikulationen zu blockieren, wie sie heute wieder auftreten. Vergeblich...

Gerade der Kreisauer Kreis nahm am ehesten sozialistische Elemente in sein Denken auf. Zwar rühmte Moltke sich im Abschiedsbrief, dass Freisler im Volksgerichtshof ihn wegen bloßen Denkens verurteilt hatte. Also war Denken als solches im Dritten Reich schon ein Verbrechen. Das könnte den Vorwurf gegen den blassen Nur-Denker bestärken. Nur dass Moltke bei „denkendem Begreifen“ stets ans Eingreifen dachte - wie es im Wort Begriff ja selber steckt: Wer so denkt, ist in Gedanken immer schon beim künftigen Zugriff.

Zur Roten Kapelle wusste Fest im Jahre 94 nur zu sagen: “Die Gesinnungsbedürfnisse dieses vorwiegend intellektuellen Zirkels, dessen Mitglieder der einen Ideologie den Vorzug vor der anderen gaben... waren nur auf Unverständnis gestoßen“ (ebendan S. 237). Das, nachdem die „Ästhetik des Widerstandes“ von Peter Weiss ein Jahrzehnt lang vorlag, in deren drittem Band die Tätigkeit der Roten Kapelle ausführlichst gewürdigt wurde. Stefan Roloff im vorliegenden Band räumt mit diesen Gönnerhaftigkeiten auf. Er weist nach, dass über hundert Personen in engerem und weiterem Zusammenhang mit der Gruppe standen. Vor allem geht er gegen das gängige Klischee vor, die von der Gestapo so genannte Rote Kapelle hätte ihre Haupttätigkeit im Funken für die Rote Armee gefunden. Die Tatsache, dass sie über einen erstmaligen Funkkontakt mit einem neuen Gerät aufgespürt wurden, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier ein wesentlich linker Zusammenschluss sich organisatorisch und gedanklich für die kommende Zeit vorbereitete.

Inzwischen ist es bei allen Gedenkfeiern so weit gekommen, dass vor allem Goerdeler gepriesen wird als vorausschauender Geist.

Den Kreisauern wird, wenn überhaupt, mürrisch ein anerkennendes Wort nachgesandt. Um so wichtiger, dass Historikerinnen wie Angelika Ebbinghaus gerade noch rechtzeitig auftraten, um Geschichte in ihrem wahren Wert und wirklichen Verlauf gegen allen hochnäsigen Widerspruch zu retten.

Insgesamt ein Buch über Kreisau im Rahmen des Gesamtwiderstands, das im Jahr 2011 sein Gewicht immer noch finden sollte, wenn -“ hoffentlich -“ auch darüber diskutiert werden wird, was an Vorarbeiten vorlag, woran anzuknüpfen war, als endlich im Frühjahr 45 die Bunker sich öffneten.

Bibliographische Angaben:
• Karl Heinz Roth / Angelika Ebbinghaus (Hrsg.): Rote Kapellen - Kreisauer Kreise - Schwarze Kapellen: Neue Sichtweisen auf den Widerstand gegen die NS-Diktatur 1938-1945 ISBN 3-89965-087-5 VSA-Verlag Hamburg 2004

• Angelika Ebbinghaus: Ein anderer Kompass: Soziale Bewegungen und Geschichtsschreibung. Texte 1969-2009 Hamburg 2010 Assoziation A
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