Revolution denknotwendig, aber unmöglich? Zwei Lücken in Inge Vietts Revolutionsentwurf
Bei der diesjährigen Rosa-Luxemburg Konferenz am Vorabend der LLL Demonstration in Berlin ist von den Veranstaltern mutig auch Inge Viett eingeladen worden, um mitzudiskutieren über politische Ziele in der Bewegung. Bekantlich wurde gerade sie von Schlöndorf seinerzeit in einem Film aus der ernstzunehmenden Diskussion ausgeschlossen.
Dankenswerterweise hat "junge Welt" den Diskussionsbeitrag Inge Vietts vorabgedruckt.
Nachdem sie - mit gewissem Recht - die Mängel der drei herrschenden Linien aufgezeigt hat, entwickelt sie die eigene Linie.
Die Mängel: Die sich im gesetzlichen Rahmen bewegende Linie - vor allem die der LINKEN selbst - kommt naturgemäß nicht über die Repsektierung bis Anbetung des Gesetzes hinaus.
Die zweite - auf den gewerkschaftlichen Kampf bezogene - verfällt dem Schicksal des schon von Lenin diagnostizierten Trade-Unionismus.
Als am erfolgreichsten sieht Inge Viett noch an die Teilnahme an sektoriellen Kömpfen - wie gegen den Afghanistan-Einsatz - oder die Bahnhofszerstörung in Stuttgart - oder die erfolgreiche Teilabwehr der Castor-Transporte. Nur fehlt dabei regelmäßig der Klassenbezug. Man ist mit vielen zusammen: Gut. Man lässt jede / jeden, der mitmacht, eine gute Frau/ einen guten Mann sein: Nicht ganz so gut. Es wird nicht tiefer gegraben. Damit entfällt auch hier in den meisten Fällen der Klassenbezug.
Dann das interessante Konzept einer wirklich auf Revolution hinzielenden Organisationsform:
"Marxistisches Wissen, Kritikfähigkeit, linke Politik, ein linkes Parteiprogramm sind nicht identisch mit Klassenbewußtsein. Das ist Wissenschaft, eine fortschrittliche Geisteshaltung -“ aber kein Klassenbewußtsein. Klassenbewußtsein ist ein kämpferischer Antagonismus zur bürgerlichen Rechtsordnung, zur bürgerlichen Moral, zum bürgerlichen Pazifismus. Es ist die Emanzipation von der bürgerlichen Ideologie überhaupt und geht aus von der Legitimität des revolutionären Kampfes für die zukünftige Legalität der proletarischen Klasse. Überhaupt macht Klassenbewußtsein nur Sinn, wenn aus ihm ein bewußter Kampf zur Überwindung der Klassengesellschaft geführt wird. Alles andere ist Proletenkult.
Warum muß sich die marxistische Linke mit ihrer Stellvertreterpolitik für die Arbeiterklasse im Reformismus festfahren? Wenn die Werktätigen sich nicht politisch bewegen, weil sie in den Seilen ihres opportunistischen Gewerkschaftsapparates hängen, dann kann auch sie sich nicht bewegen und muß auf das Niveau der "Verteidigung demokratischer Rechte" zurückfallen. Ist diese Verteidigung nicht immer und ständig unser Alltagsprogramm?"
Beherrschend in dem Zusammenhang der konstruierte Gegensatz von "Wissenschaft" und "Klassenbewusstsein". Schon vorher fällt auf die Reklamierung von Lenin als "Revolutionär" - im Gegensatz zu seinen Eigenschaften als "Organisator" und "Imperialismustheoretiker".
Hätte aber Lenin nicht gründlich den Weg des Imperialismus über die kapitalistische Welt hin erforscht, wie hätte er den Mut finden können, die Revolution gerade in Russland auszurufen, dem rückständigsten Land innerhalb der imperialistischen Kohorte? Mit anderen Worten: Die "Wissenschaft" ist unablösbarer Bestandteil des Entschlusses zur Revolution, der in die Massen hineingetragen werden soll.
Ganz ähnlich steht es mit der abwertenden Nennung von "Wissenschaft" in der herangezogenen Textstelle Inge Vietts. Mitgedacht wäre nämlich unvermeidlich auch im Erfolgsfall der Revolution- dass -davor wie danach- eine Gruppe von "Wissenden" einer Gruppe von "tatkräftig handelnden" gegenüber bestehen bleibt. Ansatz der von Inge Viett sicher am meisten beklagten Funktionärsherrschaft -als angeblicher, aber verlogener Ausdruck der "Diktatur des Proletariats".
Wie aber könnten größere Teile des Proletariats Anteil an der Wissenschaft bekommen? Vielleicht noch am ehesten, wie Angelika Ebbinghaus in dem kürzlich besprochenen Sammelband es beschrieben hat als positives Erbteil des "Operaismus". ("Was bleibt vom Operaismus. (2007)")
Innerhalb dieser Bewegung wurden Arbeitergruppen ermuntert und aufgefordert, von innen - aus dem Arbeitsverhältnis selbst heraus - etwa die Auswirkungen des technischen Fortschritts - erweiterte Bänderfolge zum Beispiel - zu erkennen, zu beschreiben und auszutauschen. Damit käme die kollektive Erfahrung selbst zu Wort. Und zwar in einer nur so möglichen Erkenntnis- und Darstellungsweise, die dann über die Fabrik hinaus weitergetragen und diskutiert würde. In dieser Form gewänne das leninistische "Aus den Massen schöpfen - in die Massen hineintragen" eine neue produktive Bedeutung.
Auf diesem Wege ließe sich der Abstand zwischen denen, die Wissenschaft als toten Vorrat besitzen, und solchen, die Wissenschaft als lebendigen Prozess betreiben,einigermaßen verringern.
Ein zweiter Gesichtspunkt, aus der revolutionären Vergangenheit Inge Vietts verständlich, aber fast undurchführbar unter den gegebenen europäischen Verhältnissen, war die Forderung nach Geheimhaltung von Parteiführung und Parteifinanzen.
"Eine Organisation/Partei, kann zwar fortschrittlich, antikapitalistisch, marxistisch/leninistisch sein, aber nicht revolutionär, wenn sie nicht in bestimmten Bereichen (Kommunikation, Strukturen, Verantwortlichkeiten) klandestin ist"
Das scheint angesichts des übermächtig ausgebauten Geheimdienstapparats logisch, aber zugleich undurchführbar. Wie Inge Viett selbst ausführt, muss es erkannte Ansprechpartner mit Vor- und Nachnamen geben, um den Prozess des Schöpfens- Hineintragens aus den Massen überhaupt zu organisieren. Meiner Kenntnis nach arbeitete auch im vorrevolutionären Russland der einzelne Revolutionär anonym, die Parteiführung(en) selbst müssen aber bekannt gewesen sein. Geholfen hat damals eine Einrichtung, die sämtliche Staaten weitgehend abgeschafft haben: Das Asyl. Von der Schweiz aus arbeitete Lenin, wenig beunruhigt.
Wo gäbe es das heute noch, nachdem gerade das ehemalige Zufluchtsland aller Flüchtlinge, die Schweiz, Flüchtlinge und Asylanten am schlimmsten bedroht. Der Fall liegt hier ganz anders als bei der Forderung des "comité" nach geheimem Vorgehen der Revolutionäre. "Der kommende Aufstand" setzt Massen gar nicht voraus, die ihm nachfolgen und beistehen könnten. Insofern entfällt Adressennotwendigkeit.
Man darf auf die Diskussion am 7.1.2011 gespannt sein. Inge Viett hat die Denknotwendigkeit einer Revolution so klar wie nur jemand herausgearbeitet.
Damit aber auch ihre Denk-Unmöglichkeit in der gegenwärtigen Epoche?
Vielleicht ist mir etwas entgangen in ihrer Darlegung? Es wäre zu hoffen.
Dankenswerterweise hat "junge Welt" den Diskussionsbeitrag Inge Vietts vorabgedruckt.
Nachdem sie - mit gewissem Recht - die Mängel der drei herrschenden Linien aufgezeigt hat, entwickelt sie die eigene Linie.
Die Mängel: Die sich im gesetzlichen Rahmen bewegende Linie - vor allem die der LINKEN selbst - kommt naturgemäß nicht über die Repsektierung bis Anbetung des Gesetzes hinaus.
Die zweite - auf den gewerkschaftlichen Kampf bezogene - verfällt dem Schicksal des schon von Lenin diagnostizierten Trade-Unionismus.
Als am erfolgreichsten sieht Inge Viett noch an die Teilnahme an sektoriellen Kömpfen - wie gegen den Afghanistan-Einsatz - oder die Bahnhofszerstörung in Stuttgart - oder die erfolgreiche Teilabwehr der Castor-Transporte. Nur fehlt dabei regelmäßig der Klassenbezug. Man ist mit vielen zusammen: Gut. Man lässt jede / jeden, der mitmacht, eine gute Frau/ einen guten Mann sein: Nicht ganz so gut. Es wird nicht tiefer gegraben. Damit entfällt auch hier in den meisten Fällen der Klassenbezug.
Dann das interessante Konzept einer wirklich auf Revolution hinzielenden Organisationsform:
"Marxistisches Wissen, Kritikfähigkeit, linke Politik, ein linkes Parteiprogramm sind nicht identisch mit Klassenbewußtsein. Das ist Wissenschaft, eine fortschrittliche Geisteshaltung -“ aber kein Klassenbewußtsein. Klassenbewußtsein ist ein kämpferischer Antagonismus zur bürgerlichen Rechtsordnung, zur bürgerlichen Moral, zum bürgerlichen Pazifismus. Es ist die Emanzipation von der bürgerlichen Ideologie überhaupt und geht aus von der Legitimität des revolutionären Kampfes für die zukünftige Legalität der proletarischen Klasse. Überhaupt macht Klassenbewußtsein nur Sinn, wenn aus ihm ein bewußter Kampf zur Überwindung der Klassengesellschaft geführt wird. Alles andere ist Proletenkult.
Warum muß sich die marxistische Linke mit ihrer Stellvertreterpolitik für die Arbeiterklasse im Reformismus festfahren? Wenn die Werktätigen sich nicht politisch bewegen, weil sie in den Seilen ihres opportunistischen Gewerkschaftsapparates hängen, dann kann auch sie sich nicht bewegen und muß auf das Niveau der "Verteidigung demokratischer Rechte" zurückfallen. Ist diese Verteidigung nicht immer und ständig unser Alltagsprogramm?"
Beherrschend in dem Zusammenhang der konstruierte Gegensatz von "Wissenschaft" und "Klassenbewusstsein". Schon vorher fällt auf die Reklamierung von Lenin als "Revolutionär" - im Gegensatz zu seinen Eigenschaften als "Organisator" und "Imperialismustheoretiker".
Hätte aber Lenin nicht gründlich den Weg des Imperialismus über die kapitalistische Welt hin erforscht, wie hätte er den Mut finden können, die Revolution gerade in Russland auszurufen, dem rückständigsten Land innerhalb der imperialistischen Kohorte? Mit anderen Worten: Die "Wissenschaft" ist unablösbarer Bestandteil des Entschlusses zur Revolution, der in die Massen hineingetragen werden soll.
Ganz ähnlich steht es mit der abwertenden Nennung von "Wissenschaft" in der herangezogenen Textstelle Inge Vietts. Mitgedacht wäre nämlich unvermeidlich auch im Erfolgsfall der Revolution- dass -davor wie danach- eine Gruppe von "Wissenden" einer Gruppe von "tatkräftig handelnden" gegenüber bestehen bleibt. Ansatz der von Inge Viett sicher am meisten beklagten Funktionärsherrschaft -als angeblicher, aber verlogener Ausdruck der "Diktatur des Proletariats".
Wie aber könnten größere Teile des Proletariats Anteil an der Wissenschaft bekommen? Vielleicht noch am ehesten, wie Angelika Ebbinghaus in dem kürzlich besprochenen Sammelband es beschrieben hat als positives Erbteil des "Operaismus". ("Was bleibt vom Operaismus. (2007)")
Innerhalb dieser Bewegung wurden Arbeitergruppen ermuntert und aufgefordert, von innen - aus dem Arbeitsverhältnis selbst heraus - etwa die Auswirkungen des technischen Fortschritts - erweiterte Bänderfolge zum Beispiel - zu erkennen, zu beschreiben und auszutauschen. Damit käme die kollektive Erfahrung selbst zu Wort. Und zwar in einer nur so möglichen Erkenntnis- und Darstellungsweise, die dann über die Fabrik hinaus weitergetragen und diskutiert würde. In dieser Form gewänne das leninistische "Aus den Massen schöpfen - in die Massen hineintragen" eine neue produktive Bedeutung.
Auf diesem Wege ließe sich der Abstand zwischen denen, die Wissenschaft als toten Vorrat besitzen, und solchen, die Wissenschaft als lebendigen Prozess betreiben,einigermaßen verringern.
Ein zweiter Gesichtspunkt, aus der revolutionären Vergangenheit Inge Vietts verständlich, aber fast undurchführbar unter den gegebenen europäischen Verhältnissen, war die Forderung nach Geheimhaltung von Parteiführung und Parteifinanzen.
"Eine Organisation/Partei, kann zwar fortschrittlich, antikapitalistisch, marxistisch/leninistisch sein, aber nicht revolutionär, wenn sie nicht in bestimmten Bereichen (Kommunikation, Strukturen, Verantwortlichkeiten) klandestin ist"
Das scheint angesichts des übermächtig ausgebauten Geheimdienstapparats logisch, aber zugleich undurchführbar. Wie Inge Viett selbst ausführt, muss es erkannte Ansprechpartner mit Vor- und Nachnamen geben, um den Prozess des Schöpfens- Hineintragens aus den Massen überhaupt zu organisieren. Meiner Kenntnis nach arbeitete auch im vorrevolutionären Russland der einzelne Revolutionär anonym, die Parteiführung(en) selbst müssen aber bekannt gewesen sein. Geholfen hat damals eine Einrichtung, die sämtliche Staaten weitgehend abgeschafft haben: Das Asyl. Von der Schweiz aus arbeitete Lenin, wenig beunruhigt.
Wo gäbe es das heute noch, nachdem gerade das ehemalige Zufluchtsland aller Flüchtlinge, die Schweiz, Flüchtlinge und Asylanten am schlimmsten bedroht. Der Fall liegt hier ganz anders als bei der Forderung des "comité" nach geheimem Vorgehen der Revolutionäre. "Der kommende Aufstand" setzt Massen gar nicht voraus, die ihm nachfolgen und beistehen könnten. Insofern entfällt Adressennotwendigkeit.
Man darf auf die Diskussion am 7.1.2011 gespannt sein. Inge Viett hat die Denknotwendigkeit einer Revolution so klar wie nur jemand herausgearbeitet.
Damit aber auch ihre Denk-Unmöglichkeit in der gegenwärtigen Epoche?
Vielleicht ist mir etwas entgangen in ihrer Darlegung? Es wäre zu hoffen.