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Stuttgart 21: Ein Brief aus dem Baskenland zum Schlichtungsverfahren

Protest Aufkleber gegen den LGV
Im Baskenland kämpft eine breite Bürgerbewegung seit 1996 gegen den Bau weiterer Hochgeschwindigkeitsstrecken (LGV), siehe auch diesen Beitrag. Martine Bouchet ist Sprecherin von CADE (Collectif des Associations de Defense de Environnement du Pays Basque), einem Zusammenschluß von 43 Organisationen und Vereinigungen, die gegen das LGV-Projekt im französischen Teil des Baskenlands kämpfen. Im folgenden Brief berichtet sie über ihre Erfahrungen mit der Schlichtung (Mediation) im Baskenland:

Guten Tag,

Wir freuen uns sehr, Nachricht von Euch zu erhalten, denn wir verfolgen so gut wir es können, was in Stuttgart passiert, und sind mit Eurem Kampf ganz und gar solidarisch.

Was die Schlichtung betrifft, so war im Baskenland von der Regierung eine Schlichterin ernannt worden. Wir sehen das folgendermaßen:

Das Hauptziel war es, die Bevölkerung in Erwartung der nahenden Regionalwahlen zu beruhigen und Zeit zu gewinnen. Für die gesonderte TGV-Hochgeschwindigkeitsstrecke sind hier die beiden größten Parteien (PS-Sozialistische Partei und UMP -“ die Partei, die in Frankreich an der Macht ist). Es gab keine wirkliche Schlichtung (das Wort „Mediation“ wurde benutzt, aber selbst nach der Mediatorin war es ein „Auftrag“, um zu sehen, wie die neue Bahnlinie ins Baskenland integriert und dabei die „empfindlichen Zonen“ (an die Stadt angeschlossene Gebiete oder Naturgebiete) vermieden werden könnten.

Natürlich konnten wir unsere Argumente vorbringen, aber wir haben das „Thema verfehlt“, denn ihr Auftrag war es eben nicht, das Projekt in Frage zu stellen, sondern möglichst zu beweisen, dass es die empfindlichen Zonen nicht verwüsten
würde.

Die Gegner der Schnellstrecke stehen aber auf dem Standpunkt, dass ihr Nutzen komplett bestritten werden muss, da das bereits existierende Eisenbahnnetz bei weitem nicht ausgelastet ist. Die Mediation hat also nur dazu gedient, in der Zeit der Wahlen ein 4-monatiges „stand by“ zu schaffen...

Frankreich (und Deutschland) haben so genannten „Vertrag von Aarhus“ unterschrieben. Wenn ein Projekt die Umwelt berührt (was sowohl für S 21 wie für die TGV-Schnellstrecke, abgekürzt LGV gilt), sieht dieser Vertrag vor, dass dann wir Bürger befragt werden müssen, so lange noch alle Optionen offen sind. Um den Anforderungen des Vertrages gerecht zu werden, hat Frankreich ein Verfahren der „öffentlichen Debatte“ eingerichtet. 2006 fand diese öffentliche Debatte im Baskenland statt, aber das war eine komplette Täuschung, da die vorgelegten Gegebenheiten, die das Projekt rechtfertigen sollten, falsch waren, ob es um den bestehenden Verkehr ging (die Zahlen wurden verdoppelt), um Entwicklungsperspektiven (mit Plänen für irrsinnige Wachstumsraten) oder um die (weit herunter geschätzten) Kosten.

Die gewählten Pro-LGV-Kandidaten stützen sich jetzt auf die Legitimierung durch die öffentliche Debatte, um ihr Projekt durchzusetzen -“ das ist die große Falle. Ich glaube, dass eine Schlichtung gemacht werden sollte, wenn zwischen den beiden Parteien ein Minimum von Vertrauen bestehen kann, sonst ist es eine Falle, weil die Seite, die eine falsche Debatte führt, sich anschließend auf ihre Legimität stützen kann. In Wirklichkeit ist das ein reiner Missbrauch von Demokratie.

Ich kenne den Stuttgarter Kontext natürlich nicht genügend. Aber ich denke trotzdem, dass es sicher eine kräftige Absprache zwischen der Macht und den Unternehmen für die Bauarbeiten der öffentlichen Hand gibt und die politischen Parteien in Deutschland so wie in Frankreich in den sehr großen Projekten sicherlich Finanzquellen erkennen...

Ich werde jedoch keinen klaren Standpunkt über die Schlichtung in Stuttgart abgeben können. Vor allem weil Deutschland hier den Ruf hat, ein Land zu sein, wo der soziale Dialog in den Sitten und Gebräuchen des Landes stärker verankert ist als in Frankreich -“ hier sind wir immer schneller beim Kräftemessen. Trotzdem muss ich Euch aufgrund meiner örtlichen Erfahrung zu größter Vorsicht raten...

- Unsere eigene „Legitimität“ haben wir uns erworben, indem wir selbst Volksabstimmungen organisiert haben, bei denen über 90 % der Abstimmenden zur Schnellstrecke „Nein“ gesagt haben; ist das nicht die beste Lösung, dass schließlich die betroffenen Bürger selbst sagen, was sie wollen?

Ich hoffe, diese Antwort ist ein wenig nützlich für Euch, und ich wäre wirklich sehr froh, wenn wir Euch ein bisschen helfen könnten: Einheit macht stark!

Ich warte auf Eure Nachrichten, bis sehr bald!

Ganz herzliche Grüße,
Martine Bouchet

Castor: Bericht der Demobeobachter zu den Blockaden in Berg

Dokumentiert: Bericht der Demobeobachter des Bündnisses für Versammlungsfreiheit zu den Blockaden in Berg:

Gleisblockade in Berg
"Proteste gegen den Castor-Transport in Berg / Rheinland-Pfalz (bei Karlsruhe) am Samstag, 06.11.2010

Die Demonstrationsteilnehmer versammelten sich ab 9.30 Uhr im Zentrum von Berg.

Die Polizei filmt vom Polizeibus aus, stellt dies nach mehrfacher Aufforderung durch Demonstranten ein.

Nach der Kundgebung im Zentrum von Berg bildete sich ein Demonstrationszug in Richtung Bahnhof. Es war ein Demonstrationsverbot in einem 50m-Streifen entlang der Gleise ausgesprochen worden.

Schon von Beginn der Kundgebung an wird das Geschehen bis zum Ende des Demonstrationstags aus der Luft durch abwechslungsweise zwei Polizeihubschrauber beobachtet.

Ab 11.30 scherte ein Teil der Demonstranten aus dem Demozug aus und gelangte über Wiesen unbehelligt auf die Gleise. Ein anderer Teil der Demonstranten durchfloss die Polizeiabsperrung. Es kam dabei zu vereinzelten Übergriffen von einzelnen Polizeibeamten in Form von Schubsen und Stoßen, sowie Anbrüllen der Demonstranten. Die Polizeiabsperrung wurde seitens der Beamten schnell aufgegeben.

Ca. 600m Gleis wurden durch mehr als 1000 Menschen besetzt. Die Räumung durch die Polizei begann, nach mehreren Lautsprecherdurchsagen, mit der Aufforderung die Gleise zu räumen und dem Zusatz, bei Folgeleistung würden die Ordnungswidrigkeiten (Betreten der Gleisanlagen) nicht geahndet.

Gegen 12.35 wurde die Versammlung durch die Polizei als beendet erklärt.

13.20 forderte das Kommunikationsteam der Polizei die Demonstranten einzeln auf, die Demonstration zu beenden, das Gleisfeld zu räumen und sich hinter das Absperrband der Polizei zu begeben.

Es kam durch einen namentlich bekannten Polizeibeamten zu Behinderungen von Pressearbeit.

Auch unser Demobeobachtungsteam wurde aufgefordert den unmittelbaren Blockadebereich zu verlassen.

Um ca. 13.25 wurde die Polizei verstärkt und begann mit der Räumung der Blockade durch Wegtragen bzw. Wegführen einzelner Gleisbesetzer.

Von den weggetragenen Gleisblockieren wurden die Personalien festgestellt und während dessen Film- und Tonaufnahmen erstellt.

13.55 rückte der Großteil der eingesetzten Polizei, nach Räumung von ca. 100 Gleisblockierern, vom Demobereich der Gleise in Richtung Berg ab. Und der Großteil der Polizeifahrzeuge verließ ebenfalls den Demobereich.

Der Grund des Abzugs der Polizei war offensichtlich die Umleitung des Castor-Transportes über Straßburg nach Kehl auf eine andere Route.

Aufgrund der Änderung der Castorstrecke gab es gegen 17 Uhr eine spontane Demonstration mit ca. 300 Teilnehmern auf dem Bahnhofsvorplatz in Karlsruhe. Die Demonstranten zogen durch den Bahnhof in Richtung einer Autobrücke über der Gütergleisstrecke, die der Castortransport nehmen sollte.

Ein Großteil der Demonstranten wurde nach Verlassen des Bahnhofs durch die Polizei, die entlang der Straße eine Kette bildete, daran gehindert, weiter zur Brücke zu laufen. Etwa 50 Personen gelangten trotzdem bis zur 200m entfernten Brücke. Auch hier bildeten behelmte Polizisten eine Kette, sodass die Demonstranten nicht ganz bis auf die Brücke gelangen konnten, sondern sich auf der Zufahrtsstraße vor der Kette sammelten.

Bis zur Durchfahrt des Castors blieb die Polizeikette bestehen, durchgängig waren etwa 100 Polizisten vor Ort. Trotz friedlichen Verhaltens der Demonstranten, die keine Versuche unternahmen, die Polizeikette zu durchbrechen, hielt ein Großteil der Polizisten Schlagstöcke (teils aus Holz) in der Hand bereit. Mindestens ein Polizist hatte zwei Schlagstöcke in den Händen. Später stießen noch einige Polizisten mit Schilden und etwa fünf Polizisten mit Hunden hinzu, ohne dass das durch das Verhalten der Demonstranten zu begründen gewesen wäre.

Während es vor dem Bahnhof zu vereinzelten Rangeleien zwischen Polizei und Demonstranten kam -“ auch Schläge durch die Polizei wurden beobachtet -“ blieb die Situation auf der Brücke bis nach der Durchfahrt des Castors um 19:35 Uhr ruhig."


Filmtipp: Taxi zur Hölle

Foltern für die "Freiheit"? Wer die aufsehenserregende Dokumentation über die Verhörmethoden der USA in Afghanistan, im Irak und in Guantánamo "Taxi zur Hölle" neulich auf "arte" verpasst hat, kann sich den Film entweder als Wiederholung bei arte am 09.11. um 03:00 Uhr oder bei "1 Festival" am 10.11. um 22.15 Uhr ansehen. Aus der Filmbeschreibung:

"Seit dem Beginn des Kampfs gegen den Terror sind über 100 Häftlinge unter mysteriösen Umständen in US-Gefangenschaft gestorben. Der Dokumentarfilm beschäftigt sich mit dem Fall des afghanischen Taxifahrers Dilawar. Als er eines Nachmittags vom US-Militär festgenommen wurde, nachdem er drei Fahrgäste aufgenommen hatte, fragten sich die Bewohner seines Dorfes, warum gerade er verhaftet und im Gefängnis festgehalten wurde und warum es keinen Prozess gab.

Fünf Tage nach seiner Festnahme starb Dilawar unter nicht geklärten Umständen in seiner Gefängniszelle in Bagram. Sein Tod ereignete sich nur eine Woche nach einem weiteren mysteriösen Todesfall im gleichen Gefängnis. Der Autopsiebericht lässt darauf schließen, dass beide Häftlinge ihren schweren Verletzungen, die ihnen während ihrer Haft durch US-Soldaten zugefügt wurden, erlagen.
Der Dokumentarfilm zeigt, wie die Entscheidungen, die im Zentrum der Macht getroffen wurden, direkt zu Dilawars Tod führten. Und er zeigt, wie der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gemeinsam mit den Verantwortlichen im Weißen Haus den Kongress überzeugte, Folter gegen Kriegsgefangene zuzustimmen. Filmemacher Alex Gibney berichtet über die tatsächliche Einführung der Folter als Verhörmethode in US-Einrichtungen und legt dabei offen, welche Rolle die Schlüsselfiguren der Bush-Administration in dieser Angelegenheit spielten. Sein Dokumentarfilm ist ein eindringliches Plädoyer für die Einhaltung der Menschenrechte und der Genfer Konvention."


Zu Teil |2||3||4||5||6||7||8||9||10||11|

Taxi zur Hölle
(Deutschland, Usa, Grossbritannien, 2007, 104mn)
Regie: Alex Gibney
quelle: arte

Was mir heute wichtig erscheint #234

Resozialisierung: "Undisziplinierte" Abgeordnete sollen zukünftig mit 500 bis 3000 Euro Strafe zur Kasse gebeten werden, wenn sie "grob" gegen die Geschäftsordnung des Parlaments vestoßen, zum Beispiel durch Protestaktionen der Linksfraktion im Bundestag mit Transparenten, Masken oder T-Shirts. SPD Parlamentsgeschäftsführer Christian Lange laut "Saarbrücker Zeitung": "Es handelt sich leider um nicht resozialisierbare Wiederholungstäter." Siehe auch: "Ich glaube nicht, daß sich jemand abschrecken läßt", "junge Welt" 5. November 2010

Lesestoff: Vom 19. bis 21. November öffnet die 15. Linke Literaturmesse im Nürnberger Künstlerhaus wieder ihre Pforten. Wie in den letzten Jahren werden wieder mehrere Tausend Besucherinnen und Besucher das literarische Angebot von über zwanzig Verlagen und drei Antiquariaten durchstöbern. Auf 48 Lesungen, Buchvorstellungen, Filmveranstaltungen und Diskussionen gibt es gute Möglichkeiten mit den Autorinnen und Autoren ins Gespräch zu kommen. Zu den bekanntesten zählen u.a. Jutta Ditfurth, Georg Fülbert, Werner Seppmann und Andreas Wehr.

Schaulauf: Friedhelm Weidelich fasst die gestrige Schlichtung zu Stuttgart 21 lesenswert zusammen.

Dreist: Die unmenschlichen Zustände im Lager Gerstungen sind die Folge der faktischen Abschaffung des Asylrechts in Deutschland. Als ob das nicht reicht, erfrechen sich inzwischen auch Abgeordnete der NPD Wartburgkreis, einen Besuch für heute in dem Lager anzukündigen, um "für einen Bericht im nächsten Wartburgkreis Boten, das Asylbewerberheim besuchen. Dieser soll dann schwerpunktmäßig in der Gemeinde Gerstungen verteilt werden, um die dortigen Stimmungen inländerfreundlich zu kanalisieren."

Streitfall: Der Film "Streitfall Gorleben" zeigt, wie sich der Widerstand gegen das Atommüll-Endlager zum längsten Protest in der Geschichte der deutschen Anti-Atomkraftbewegung entwickelt hat. Siehe auch: "Operation Castorschutz" ("junge welt" 5. November 2010) und das Porträt "Die Mutter des Widerstands" über die inzwischen 86jährige Marianne Fritzen im "Neuen Deutschland". Übrigens: Die Staatsanwaltschaft Lüneburg schließt Ermittlungen gegen Facebook-Nutzer, die die Seite "Castor Schottern" mögen, nicht aus.

nachschLAg: Ein unvollständiger Wochenrückblick über die Entwicklung in Lateinamerika

Wanderzirkus: Der auch szeneintern vielen als arrogant geltende Rechtsanwaltsgehilfe tritt seit Jahrzehnten bundesweit als Anmelder und Leiter mehr oder weniger großer Neonaziaufmärsche auf, was seinen Versammlungen den Beinamen "Worchs Wanderzirkus" einbrachte. Luzi-M zum Naziaufmarsch in München am 13. November. Dagegen ruft ein breites Bündnis unter dem Motto „Naziaufmarsch Verhindern“ dazu auf, sich den Nazis in den Weg zu stellen.

Ermittlungen: Am vergangenen Freitag, 29.10.2010, fand die monatliche Mahnwache vor dem Nazitreffpunkt „Linde“ in Schorndorf-Weiler statt. Am Protest auf dem
Lindenplatz beteiligten sich über 20 Personen. Am Rande der Mahnwache kam es zu Störungsversuchen aus dem Umfeld der „Linde“. MahnwachenteilnehmerInnen wurden
mehrfach beleidigt und es wurde Gewalt angedroht. Die Polizei nahm umgehend entsprechende Ermittlungen auf.

Partytime: Ein Hassobjekt, das auch noch Jahrzehnte nach seinen Verbrechen unvergessen ist, ist die “Eiserne Lady- Maggy Thatcher. Unter ihrer Herrschaft kam es zu einem massiven Sozialabbau in Großbritannien und die bis in die 1980er Jahre gut organisierte Gewerkschafts-landschaft wurde durch ihre Politik frontal angegriffen und geschwächt. Die britische anarchistische Classwar-Föderation ruft für den Samstag nach ihrem Tod zu einer Party auf dem Trafalquar Square in London um 18.00 Uhr auf.

Auch 2010: An guten Traditionen festhalten!

Anarchistisches Poster aus den 50er Jahren
Beispielsweise den heutigen Guy Fawkes Day, in dem in Britannien des einzigen Mannes gedacht wird, der je mit ehrlichen Absichten ins Parlament gegangen ist.

„Remember, remember the fifth of November
Gunpowder, treason and plot.
I see no reason why the gunpowder treason
Should ever be forgot.“

Alfred Grosser den Mund stopfen, bevor der ihn aufmachen kann

Große und erbitterte Erregung in Frankfurt. Petra Roth hat für die Stadt Alfred Grosser eingeladen, um in einer Ansprache an die Pogromnacht am 9.November 1938 zu erinnern. Ein naheliegender Gedanke, denn Grosser ist in Frankfurt am Main geboren, wanderte mit den Eltern zwar früh genug nach Frankreich aus, hatte aber in einem langen Leben doch Gelegenheit, viele Betroffene kennen zu lernen.

Empörend wirkte die Einladung zunächst auf Kramer, Nachfolger von Bubis im Vorstand der Jüdischen Vereinigung.

Es folgten andere, die sich zum Aufschrei verpflichtet fühlten, darunter Brumlik, Professor und zu öffentlichen Bekenntnissen jederzeit aufgelegt. Ihn und andere ärgerte angeblich, dass Grosser sich 2007 in einem STERN-Interview gegen die Palästinenserbehandlung durch den Staat Israel gewandt und außerdem sich für Walser im Streit mit Bubis eingesetzt hätte.

Vermutlicher wirklicher Grund der Erregung: Die Stadt hatte versäumt, vorher bei den angeblich Zuständigen anzufragen. Alles hört sich so an, als müsse es ein ausdrückliches Zutrittsrecht nach Frankfurt für missliebigere Personen geben.

Oberbürgermeisterin Roth blieb hart. Damit war der Zeitpunkt für den ewigen Ankläger gekommen. Broder schleuderte in einem SPIEGEL-online-Artikel und natürlich im hauseigenen ACHGUT Grosser entgegen, er schwinge seinerseits die "Anti-Israel-Keule". Wie es einem Propheten im gerechten Zorne passieren kann, hatte er das Interview im STERN nur flüchtig zur Kenntnis genommen. So war ihm gar nicht aufgefallen, dass es dort hieß "In diesem Punkt stehe ich hinter Martin Walsers Kritik an der Auschwitz-Keule". Daraus hätte man in philologisch gesonneren Zeiten geschlossen, dass er das "in anderen Punkten" nicht tut. Also ist die Behauptung, Grosser habe sich umfassend hinter Walser gestellt, mit vollen Armen aus dem Herbstlaub gegriffen.

Zu seiner Kritik an der staatlichen Politik Israels gegen die Palästinenser hat sich Grosser in der Frankfurter Rundschau vom Donnerstag geäußert. Er beruft sich dabei ebenfalls auf eine jüdische Tradition: Die Rechte eines jeden misshandelten Menschen zu verteidigen. Nach seiner Vorankündigung in diesem Blatt wird er am Ende seiner halbstündigen Rede darauf noch einmal ausdrücklich eingehen.

Dass Grosser damit vielen Juden missfällt, lässt sich schwer vermeiden und sagt noch nichts über Recht oder Unrecht seiner Kritik. Neu nur ist die breite Bereitschaft, einem Redner von vornherein das Rederecht abzusprechen, bevor er überhaupt das erste Wort sagen konnte. In früheren Zeiten hatten jüdische und nicht-jüdische Kreise es sich zur Gewohnheit gemacht, erst einmal zuzuhören, was gesagt wurde, um daraufhin unter Umständen mürrisch, verdrießlich. kritisch zu erwidern. Man nennt das Diskussionskultur.

Dass diese in den Mitteilungen und Urteilssprüchen der "Achse des Guten" immer häufiger entfällt, wird keinen ihrer treuen und gewissenhaften Leser verblüffen. Schon eher, dass andere,von denen mehr Urteilskraft zu erwarten war, da mitziehen und vorangehen.

PS: Als Grosser sich in den siebziger Jahren entschieden gegen die Praxis der Berufsverbote in Deutschland aussprach, hieß die Replik: Das könnte einer von der DDR gesagt haben. Man macht es eben selten allen recht

Mumia Abu-Jamal: 29 Jahre Todestrakt - Freiheit für Mumia jetzt!

Mumia Abu-Jamal Foto: freemumia.org
In wenigen Tagen, am Dienstag, den 9. November 2010 findet eine Anhörung vor dem 3. Bundesberufungsgericht in Philadelphia statt. Das Gericht soll über das Strafmaß von Mumia Abu-Jamal beratschlagen. So hat es der Oberste Gerichtshof der USA im Januar 2010 angeordnet. Zur Auswahl stehen nun entweder die Durchführung der Todesstrafe oder Lebenslänglich ohne Bewährung. Im günstigsten Fall könnte das zu einem Prozess über das Strafmaß führen. Dann würde eine Jury einberufen, Mumia säße mit selbst gewählter Verteidigung im Gerichtssaal und könnte vor der (weltweiten) Öffentlichkeit Anträge und Beweise einbringen, die ein völlig anderes Licht auf die Nacht des 9. Dezembers 1981 werfen würden, als es bei seiner Verurteilung geschehen ist. 1982 wurde Mumia keine Chance gegeben, sich in irgendeiner Weise zu verteidigen. Mit manipulierten und z.T. frei erfundenen Beweisen und Aussagen war er damals für einen untergeschobenen Polizistenmord zum Tod verurteilt worden.

Natürlich ist auch eine völlig andere Entwicklung möglich: und zwar die Bestätigung der Todesstrafe gegen Mumia Abu-Jamal.

Nach jahrzehntelangen immer wieder blockierten Versuchen, ein komplett neues Verfahren über die Schuldfrage zu erhalten, ist eines deutlich geworden: die Justiz hat große Angst davor, dass Mumia Abu-Jamal jemals wieder vor einer Jury reden könnte. Das wollen sie mit aller Macht verhindern. Am 9. November wird die Staatsanwaltschaft versuchen, endgültig die Weichen auf Hinrichtung zu stellen. Mumias Verteidigung wird dort um sein Leben kämpfen.

Es ist davon auszugehen, dass auch viele Anhänger der politisch rechten Polizeibruderschaft FOP erscheinen, um den von ihnen seit Jahren geforderten Lynch Mord an Mumia weiter zu unterstützen. In Philadelphia findet am Vortag eine öffentliche Debatte von Mumia-GegnerInnen zusammen mit dem Staatsanwalt Seth Williams statt, mit der sie versuchen wollen, eine günstige Stimmung für die Ermordung von Mumia zu schaffen.

An der Ostküste der USA mobilisieren UnterstützerInnen von Mumia für den 8. + 9. November nach Philadelphia.

Am 8. November werden viele voraussichtlich ihre Meinung gegenüber der Hetzveranstaltung mit Staatsanwalt Seth Williams zum Ausdruck bringen. Am frühen Morgen des 9. November gibt es eine Demo und Mumia-UnterstützerInnen werden danach versuchen, Sitze im Zuschauerraum des Gerichts zu bekommen. An der Westküste wird es am selben Tag eine Free Mumia Demo in Oakland geben. Auch in anderen Ländern sind Demos und Kundgebungen für 9. November angekündigt. In Frankreich vor US Konsulaten in folgenden Städten: Paris, Bordeaux, Lyon, Marseille, Nice, Rennes, Strasbourg und Toulouse. Aus London haben wir die Details der Demos in der Terminliste veröffentlicht.

Troy Aynthony Davis
In diesem Zusammenhang ist es sehr erfreulich, dass das Europäische Parlament sich Anfang Oktober eindeutig für Mumia positioniert und auch angekündigt hat, im Januar 2011 eine Delegation für ihn und Troy Davis an Obama zu schicken, um ihre Fälle anzusprechen und sich für die Abschaffung der Todesstrafe in den USA einzusetzen.

Mit einer Entscheidung des 3. Bundesberufungsgerichtes ist laut Verteidigung ab Dezember 2010 zu rechnen. Für den 11. Dezember 2010 mobilisert das Berliner Free Mumia Bündnis zu einer Demonstration.

Alle Leserinnen und Leser sind aufgerufen, sich selbst an der Mobilisierung für diese Demonstration zu beteiligen. Kopiervorlagen und weiteres Material für die Berliner Free Mumia Demo sind in wenigen Tagen hier verfügbar.

Die US-Gerichte haben fast alle Türen für Mumia zugeschlagen. Daher lasst uns in Mumias Haftjahrestagswoche (am 9. Dezember 2010 sitzt er 29 Jahre in Haft) auf die Straße gehen und klarstellen, dass wir Rassismus, Sklaverei in Form der Gefängnisindustrie und vor allem staatlich sanktioniertes Ermorden von Gefangenen ganz klar ablehnen. Free Mumia!

Vom Ausgang der juristischen Auseinandersetzung hängen auch weitere Planungen für Notfallproteste ab. Zwar gäbe es auch bei einer negativen Entscheidung gegen Mumia noch einige Wochen und Monate weiterer Schritte, aber eine Rücknahme der Todesstrafe wäre dann wohl kaum noch zu erwarten. Daher werden UnterstützerInnen von Mumia vor der erwarteten Gerichtsentscheidung im Dezember klar machen, dass wir diesen möglichen Justizmord verhindern werden.

Für den Fall, das ein gültiger Hinrichtungsbefehl herauskommt, sollten wir daher alle erneut die Notfallproteste im Auge behalten.

Ob Mumia Abu-Jamal lebt oder stirbt, wird dann auch von uns allen abhängen.

Quelle: Rundbrief Mumia Hörbuchgruppe Berlin, November 2010

Erkenntnistheoretisches: Fritz Senn

"Nach dem Krieg dachten wir, ohne zu denken, daß sich nach all den Schrecken Verschiedenes wiederholen könnte. Nun ist alles wieder da: Krieg, Rassismus, Nationalismus, Intoleranz, Sippenhaft und Religion."

Fritz Senn
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