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Gesetzliche Regelung der „Tarifeinheit“: Solidarität per Zwangsverordnung?

Zur Zeit findet in einigen Gewerkschaften eine heftige Diskussion über den Vorstoß von DGB Chef Sommer statt. Dieser will der Bundesregierung gemeinsam mit dem BDA eine Gesetzesvorlage zur Regelung der sogenannten "Tarifeinheit" vorschlagen. Darin soll geregelt werden, dass der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft gelten soll, die die meisten Mitglieder im Betrieb organisiert hat. Die in anderen Gewerkschaften organisierten Beschäftigten sollen so ein Streikverbot auferlegt bekommen. Pech, wenn nicht in jedem Fall eine der DGB Gewerkschaften die Mehrheit stellt und so selbst eine Spartengewerkschaft ist? Oder der klägliche Versuch, statt selbstkritischer Reflexion der Gewerkschaftspolitik der letzten Jahrzehnte die Kritik mit administrativen Maßnahmen abzuwürgen? Offenbar ist man auf höheren gewerkschaftlichen Ebenen zu allem bereit, auch zur Zusammenarbeit mit der Gegenseite, um Widersprüche in der ohnehin gebeutelten Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung nicht solidarisch und durchaus kritisch zu klären, sondern auf sie einzuprügeln. Das hat in diesem Land Tradition, ebenso wie die Erfahrung, dass derartige Maßnahmen immer nur zur weiteren Schwächung der eigenen Kräfte geführt und im Gegenzug eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt hat. Diese ist angesichts der gegenwärtigen Situation jedoch eher ein Sprung aus dem Fenster.

Dagegen regt sich Protest aus diversen gewerkschaftlichen Gliederungen, zum Beispiel in der Fachgruppe Druck und Papier ver.di deren Resolution hier dokumentiert sei:

Resolution der Fachgruppe Verlage, Druck und Papier zur gemeinsamen Initiative von DGB und BDA zur gesetzlichen Regelung der „Tarifeinheit“

Die Fachgruppe Verlage, Druck und Papier lehnt die gemeinsame Initiative von BDA und DGB zur gesetzlichen Regelung der „Tarifeinheit“ ab und fordert den Fachbereich Medien, Kunst und Industrie auf, dies ebenfalls zu tun -“ mit dem Ziel, dass der DGB zur Verteidigung von Streikrecht und Tarifautonomie zurückkehrt. Entsprechend soll sich auch ver.di als Gesamtorganisation verhalten.

Das Streikrecht ist das wichtigste Grundrecht von Arbeitnehmern. Ohne das Recht auf Streik können Gewerkschaftsmitglieder ihre Interessen nicht durchsetzen. Ohne Streikrecht gibt es keine Tarifautonomie. Tarifverhandlungen würden verkommen zu „kollektivem Betteln“. Streikrecht und Tarifautonomie müssen gegen alle Angriffe von Arbeitgebern und Politik unbedingt und mit allen Mitteln verteidigt werden.

Die Fachgruppe lehnt die BDA-DGB-Initiative ab, weil sie eine neue Form der „Friedenspflicht“ in den Betrieben einführt. Wenn eine Konkurrenzorganisation einen Tarifvertrag abschließt, dann dürfen ver.di-Mitglieder nicht zwangsweise durch Gesetz an diesen Tarifvertrag und dessen Friedenspflichten gebunden werden. Tarifautonomie bedeutet, dass Gewerkschaftsmitglieder nur an die Tarifverträge gebunden sind, die ihre Gewerkschaft abschließt. Selbst wenn eine Konkurrenzorganisation die Mehrheit der Mitglieder in einem Betrieb hat, muss es den ver.di-Mitgliedern möglich bleiben, bessere Tarifverträge mit Streiks durchzusetzen -“ und so die Mitglieder der Konkurrenzorganisation davon zu überzeugen, dass ihre Arbeitnehmer-Interessen mit ver.di besser durchgesetzt werden können. Die von BDA und DGB vorgeschlagene Abschaffung dieser Möglichkeit, verstößt gegen die vom Grundgesetz garantierte Koalitionsfreiheit und die Tarifautonomie, weil sie das Streikrecht antastet.

Die Fachgruppe lehnt die BDA-DGB-Initiative weiter aus folgenden Gründen ab:

  • Wer in Zeiten der kapitalistischen Krise eine Regierung auffordert, das in 60 Jahren seines unveränderten Bestehens bewährte Tarifvertragsgesetz zu ändern -“ womöglich noch verbunden mit einer Grundgesetzänderung zur Einschränkung des Grundrechts auf Streiks -“ liefert die Tarifautonomie auch künftig allen politischen Begehrlichkeiten der Arbeitgeber und ihrer politischen Parteien aus.
  • Es ist -“ bei aller praktizierten Tarifpartnerschaft -“ ein elementarer Verstoß gegen die gesamte Geschichte, Politik und Kultur der Gewerkschaftsbewegung, sich mit Arbeitgeber-Organisationen über die Ausgestaltung des Streikrechts zu verständigen und hierzu gemeinsam Gesetzesinitiativen von der Politik zu fordern.
  • Für den Fachbereich Medien, Kunst und Industrie könnte die Initiative schwerwiegende Folgen haben, insbesondere bei den Journalisten in Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen wo die Konkurrenzorganisation DJV in vielen Betrieben die Mehrheit der Mitglieder dieser Berufsgruppe stellt.
  • Weder im DGB noch in ver.di gab es zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der BDA-DGB-Initiative Beschlüsse, die den DGB-Vorstand oder den ver.di-Vorstand zu einer solchen Initiative aufgefordert hätten. Gerade bei einer so grundsätzlichen Frage, wie der Forderung nach einer gesetzlichen Regelung des Streikrechts, die gemeinsam mit den Arbeitgeberorganisationen erhoben wird, hätte es im Vorfeld einer breit angelegten Diskussion in den Gewerkschaftsgremien zur demokratischen Willensbildung bedurft.

Insgesamt ist klar, dass die BDA-DGB-Initiative ein fataler Vorstoß in die falsche Richtung ist. Dem muss mit aller Entschiedenheit innergewerkschaftlich und in der öffentlichen politischen Debatte entgegen­getreten werden. Die Fachgruppe Verlage, Druck und Papier verweist in diesem Zusammenhang auf die vom DGB und allen Einzelgewerkschaften geführte Protestbewegung gegen die 1984 von der damaligen CDU-FDP-Koalition auf Wunsch der Arbeitgeber geänderte Regelung zur Zahlung von Kurzarbeitergeld bei „kalter“ Aussperrung (damals § 116 AFG heute § 146 SGB III).

Berlin, 02. Juli 2010

Einstimmig beschlossen!



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