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"Offene Mail" an die Verantwortlichen für das Demokratieabbauprojekt "Stuttgart 21"

Morgen findet ab 18:00 Uhr vor dem Nordausgang des Stuttgarter Hauptbahnhofs die inzwischen 27. Montagsdemo gegen das Projekt "Stuttgart 21" statt. Die Teilnehmerzahlen sind langsam am Wachsen. Mittlerweile kommen fast regelmäßig mehr als 4000 Menschen.

Gestern wurde via Parkschützer eine "offene Mail" an die Bundeskanzlerin Merkel, Verkehrsminister Ramsauer, den SPD-Parteivorsitzenden Gabriel, den baden - württembergischen Ministerpräsidenten Mappus, die PolitikerInnen aller Fraktionen im Stuttgarter Gemeinderat, im Landtag und im Bund sowie an den Bahnchef Dr. Grube veröffentlicht:
Stuttgart, den 15. Mai 2010

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrter Herr Verkehrsminister Ramsauer, sehr geehrter SPD-Parteivorsitzende Gabriel, sehr geehrter Herr Ministerpräsident Mappus, sehr geehrte Politiker aller Fraktionen im Stuttgarter Gemeinderat, im Landtag und im Bund, sehr geehrter Bahnchef Dr. Grube,

Sehr geehrte Damen und Herren,

Inzwischen ist das Projekt Stuttgart 21 und der täglich wachsende Widerstand in Stuttgart deutschlandweit in den Fokus der Medien geraten. Größtenteils sind Medienecho und Einschätzung von Experten zu S 21 verheerend: in vielerlei Hinsicht. Tausende sich von den Projektbetreibern DB AG, Stadt, Land und Bund getäuscht fühlende Bürger jeglichen Alters, sozialer Schicht und unabhängig von parteipolitischer Orientierung organisieren sich zum Widerstand, unter anderem bei den Parkschützern (inzwischen knapp 14.000 registriert) - als Teil des Aktionsbündnisses gegen S 21. Ein deutschlandweit einmaliger kurioser Vorgang: das demographische und sozioökonomische Querschnittsprofil der Bevölkerung so präzise abbildend in seiner Vielfältigkeit. Ein mehr als deutlicher Hinweis, dass hier etwas gewaltig schief läuft. Diese Bürger und Wähler, in der Regel über das Projekt bestens informiert, empfinden sich berechtigterweise als Spielball für ein Abenteuer mit erheblichen Zerstörungen und Risiken für Stadt mitsamt völlig ungewissem Ausgang. Als Spielball für die Durchsetzung von Partikularinteressen, für die ihnen die Mehrheit der Wahlberechtigten keinerlei Mandat gab -“ unabhängig davon, welche Partei sie wählten und ob sie überhaupt wählten.

An die Projektbetreiber möchten wir ausrichten: der jahrelange Protest, die seit November 2009 stattfindenden wöchentlichen frühabendlichen Montagsdemonstrationen mit tausenden Teilnehmern, zusätzlich die Demonstration im Schlosspark am 24. April mit über 10.000 Teilnehmern sowie zahlreiche andere Protestveranstaltungen, die unzähligen Briefe, Appelle und ähnliches, die Sie unter anderem auch von uns erhielten und die inzwischen ganze Bibliotheken füllen können, wurden bisher auf unerträgliche Art ignoriert. Seit der Kommunalwahl im Juni 2009, bei der in Stuttgart die Grünen überraschend stärkste Fraktion wurden, befindet sich OB Schuster, der sein 2004 gegebenes Wahlversprechen zum Bürgerentscheid gebrochen hat, auf der Flucht im Exil zu Repräsentationszwecken auf Steuerkosten. Während im Rathaus, dem er als OB vorsteht, nicht nur in seiner CDU-Fraktion der Karren vor die Wand fährt und in Stuttgart der soziale Friede bedroht ist. Wenn ein öffentlicher OB-Termin in der Stadt nach vielen Monaten nicht zu umgehen ist, wie letzten Freitag (7. Mai) auf dem Marktplatz, wird er von bereits aktiven S 21 Gegnern ausgepfiffen, und wenn diese vor der Abschlussrede geschlossen den Platz verlassen, ist dieser bis auf ein paar spielende Kinder komplett leer. Die (bisher noch) nicht protestierende Bürgerschaft hat sich schon lange in weiten Teilen von dem OB abgewendet.

Die mit dem Projekt verbundenen Zerstörungen und Risiken sowie die Versenkung von Milliarden unserer Steuergelder, entnommen aus leeren Kassen, nehmen wir nicht hin: in einer Stadt, in der Turnhallen und Klassenräume wegen Einsturzgefahr gesperrt sind, Eltern in den Schulferien Klassenzimmer renovieren, in der auf Straßen und Trottoirs wadentiefe Schlaglöcher zu Verletzungen von Fußgängern und Radfahrern führen, in der gewaltige Herausforderungen mit knappsten Mitteln zu bewältigen sind und überall Kürzungen anstehen. Da sich bisher im Stuttgarter Gemeinderat sowie im Landtag CDU, SPD, FDP und Freie Wähler für das Projekt aussprechen, bleiben bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg im kommenden März dem Wähler nur wenige Optionen -“ und dass S 21 dabei eine nicht unwesentliche Rolle spielt, nicht nur im Großraum Stuttgart, ist unbestritten. Die Aufklärung über das Projekt schreitet unaufhörlich voran, nicht zuletzt durch unseren Druck, und mobilisiert täglich mehr Bürger.

Die große Mehrheit der Bürger will eine Renovierung und Ertüchtigung des bestehenden Kopfbahnhofes sowie die Optimierung des Gleisvorfeldes und wird darin in der großen Mehrheit der Experteneinschätzungen bestärkt. Es ist in vielerlei Hinsicht erwiesen, dass das Projekt S 21 bahnlogistischer Unsinn ist, der Engpässe schafft, wo bisher keine da sind. Wir haben einen der pünktlichsten Bahnhöfe in Deutschland und einen der leistungsfähigsten Kopfbahnhöfe Europas -“ trotz jahrzehntelanger Vernachlässigung von Bausubstanz und Gleisvorfeld durch die DB AG bei gleichzeitigem kontinuierlichen Kassieren von Steuermitteln des Bundes zum Erhalt der denkmalgeschützten Bausubstanz. Unzumutbar ist der Frevel an der Stadt, an ihrer denkmalgeschützten Architektur, an ihren historischen Parkanlagen in den Schlossgärten (PFA 1.1) und im Rosensteinpark (PFA 1.5), für die Naherholung der von Feinstaub und sommerlicher Hitze geplagten Bewohner im Stuttgarter Kessel so wichtig. Unzumutbar ist der Frevel an ihrer Kultur und an ihrer, an unserer aller Geschichte, an ihrem und unserem Gedächtnis. Unzumutbar sind die Risiken für Mineralquellen, die geologischen Risiken durch 66 km Tunnelstrecken in der dicht besiedelten Stadt, viele Kilometer davon in quellfähigem Anhydrit. Unzumutbar ist die Lähmung der Stadtentwicklung, wenn so viele Kilometer über so viele Jahre untertunnelt werden und die DB AG per Vetorecht städtebauliche Maßnahmen über viele Jahre blockiert (wie bereits jetzt im Vorfeld unter anderem am Killesberg geschehen). Unzumutbar ist der Baubeginn, obwohl weite Bereiche (PFA 1.3, PFA 1.6) nicht planfestgestellt sind und viele sicherheitsrelevante Ausnahmegenehmigungen (bzw. Ausnahmegenehmigungen von der Ausnahmegenehmigung) nicht erteilt sind -“ mitsamt Finanzierung. Von den massiven Auswirkungen in der möglicherweise zwei Jahrzehnte langen Bauphase (z.B. durch Deckelung der jährlichen Mittelzuflüsse des Bundes inklusive Bauverzögerung), der Gefahr der Entstehung einer Bauruine im amputierten Herzen der Stadt und vom finanziellen Schaden und Risiko einmal ganz abgesehen -“ so bezeichnet es in diesen Tagen der FDP (!) Gemeinderats- und Kreisvorsitzende Jens Hagen in Villingen-Schwenningen so: „Stuttgart 21 ist unser kleines Griechenland in Baden-Württemberg.“ Wo er Recht hat, hat er Recht. Doch selbst wenn es nichts kosten würde, auch dann wäre dieses Projekt grober Unsinn und ein Frevel an der Stadt, oder wie es Prof. Gerhard Stadelmaier am 10.12.2009 in seinem Artikel in der FAZ („Krieg den Grasdackeln“) beschreibt:

„Eben diese Hallen der Bonatz-Herrlichkeit sollen, wie gestern der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn bekräftigt hat, jetzt geschleift, sollen zusammen mit dem gesamten Heimat-Kopfbahnhof amputiert werden! Nur damit es durchgehende, kopflose Gleise tief unter der Erde gebe und droben auf dem dann gleisfreien, geschändeten Gelände, kopflose, durchgehende Konsumbauten entstehen, die alle zusammen den durchgehenden Namen „Stuttgart 21“ tragen („Stuttgart 00“ wäre wohl angemessener), erdacht von durchgeknallten Politikern (ganz oben ein gerade noch amtierender und ein kommender Ministerpräsident) und von durchgeknallten Bahn-Profitmachern („Grasdackel“, wie man so etwas dortzulande nennt). Diese planen mit dem Geld, das sie nicht haben und nie haben werden (also mit „Schulden wie die Sautreiber“, wie man dortzulande so etwas nennt), einen völligen megalomanen Unfug ins Blaue hinein, machen dafür aber ein solide Gewachsenes, Schönes, Tolles, Heimatliches, Wunderbares kaputt - oder „hee“, wie man dortzulande sagt. Es klingt wie „weh“. Also: Krieg den Grasdackeln! Friede den Kopfbahnhöfen!“

An die politischen Projektbetreiber und an die DB AG gerichtet: Worauf warten Sie? Auf ein zweites Gorleben in der Innenstadt Stuttgarts im Herbst, wenn Seitenflügel fallen und die zentralsten Bereiche der historischen Schlossgärten zerhackt werden sollen, wenige Monate vor der Landtagswahl? Damit die von massiven Kürzungen betroffene Polizei sowie die um die Zukunft dieser Stadt zu Recht besorgten Bürger das ausbaden sollen, was auf politischer Ebene versäumt wurde? Es sind aufmerksame Bürger, die über viele Jahre mit bunten steuerfinanzierten Werbebroschüren des OBs, in denen nachweisbar mindestens jeder zweite Satz unwahr ist, sowie inhaltsleeren Versprechungen, bestens dokumentiert, getäuscht wurden. Warten Sie auf Bilder in der Tagesschau, in denen die 78-jährige Rentnerin und ehemalige Schulleiterin, die bis 2009 in ihrem ganzen Leben noch nie auf einer Demo war, von Sondereinheiten der Polizei angekettet vom Baum weggefräst wird? Oder Bilder des 39-jährigen Steuerberaters, der bei den Bundestagswahlen FDP gewählt hat, der gemeinsam mit dem Anhänger der Linken, der unpolitischen Esoterikanhängerin, dem CDU-nahen Prokuristen, dem frustrierten Ex-SPD-Mitglied beim Bosch, dem grünen Architekten, dem politisch uninteressierten Hip-Hop-Anhänger, dem gestressten Informatikstudenten, dem Attac-Aktivisten sowie dem Hals-Nasen-Ohren Arzt im Viertel gemeinsam an Stahlrohre gekettet um den Baum hängen oder sich in der Sitzblockade eng machen und: “Wehrt euch, leistet Widerstand...“ singen?

Wo an anderer Stelle die politische Kultur kollabiert, scheint Basisdemokratie hier in der Stadt eine Wiedergeburt zu erleben -“ ganz und gar nicht auf das politisch linke Spektrum der 68er begrenzt, da in der Tendenz auch sehr mittig: ein breites Bündnis, das Segmentierung durch soziale Schicht, Alter, politische Orientierung mühelos überwindet, das durch Kommunikation und Wertschätzung in einem auf Herz und Vernunft basierenden ziel- und sachorientierten Miteinander verbunden ist. Tausende Bürger, die jeder einzeln mehr Verantwortungs¬ bewusstsein, Rückgrat, Mut und Kenntnisstand an den Tag zu legen scheinen, als ein guter Teil der gewählten politischen Entscheidungsträger in der Summe? Bilder in der Tagesschau von um Stadt und freiheitlich demokratische Grundordnung berechtigterweise besorgte Bürger, die wegen Unfähigkeit, Raffgier, Verantwortungslosigkeit in Teilen von Politik und Wirtschaft gepaart mit Maulkorbzwang und Duckmäusertum in Teilen der unteren politischen Ebene nicht nur auf unerträgliche Weise getäuscht und im Rahmen eines Coups auf das Herz der Stadt, eines Coups auf unsere Steuergelder, aus leeren öffentlichen Haushalten geplündert, auf die Straße gehen, um unser aller Erbe zu schützen, notfalls auch mit ihrem Körper, und dabei auch noch „kriminalisiert“ werden? Wo, bitte, leben wir? Was ist dabei, aus dieser Stadt, aus diesem Staat zu werden?

Dieses „neue Herz Europas“ wird hier nicht gebraucht und nicht gewollt. Das Herz der Stadt, innig verbunden mit dem Herz seiner Bürger, ist gut und richtig, wie es ist. Ein Eingriff ohne Zustimmung ist ein Angriff, eine Körperverletzung und hat mit demokratischer Legitimation nichts zu schaffen. Dieses Projekt ist ein Untergrundprojekt, in dem im fünfzehnjährigen Schatten von Desinformation Nachtschattengewächse skurrilste Blüten treiben, die das Licht und die Wärme der Sonne scheuen. Doch aus dem Herzen Schwabens, diesem Land der Dichter und Denker, sei an das „Stadtkind“ Friedrich Schiller erinnert: „Sie sollen kommen uns ein Joch aufzuzwingen, das wir entschlossen sind, nicht zu ertragen.“

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sehr geehrter SPD-Parteivorsitzende Gabriel, nicht zuletzt im Hinblick auf die Landtagswahl kommenden März in Baden-Württemberg bitten wir Sie, sich der Sache S 21 anzunehmen. Sie haben Expertenteams, die Sie hoffentlich gut und umfassend informieren können, da zumindest ein guter Teil der Fakten, Zerstörungen, Risiken sowie vielfältige Experteneinschätzungen jenseits von Prof. Martin und Prof. Heimerl bekannt sind -“ auch wenn viele zur Einsicht geforderten Dokumente bei der DB AG unter Verschluss gehalten werden. An alle Fraktionen und an die DB AG appellieren wir erneut: Setzen Sie sich zusammen und finden Sie einen Weg, um gemeinsam aus dieser nach unserer sicheren Einschätzung grotesken und unwürdigen Schmierenkomödie S 21 auszusteigen. Sie befinden sich in der ungewöhnlich komfortablen Lage, dass viele Experten in jahrelanger Arbeit in einem von unseren Spendengeldern finanzierten Aktionsbündnis Ihnen mit K 21 auch noch ein, im Detail sicherlich noch auszuarbeitendes, doch allgemein als Denkidee für gut und im Kern sinnvoll befundenes Alternativmodell, mit Anschluss an eine potentielle Neubaustrecke Wendlingen-Ulm, entworfen haben -“ kein Vergleich zu dem Wahnsinn mit halb-unterirdischem, störanfälligen, beengten und risikoreichen Wahnhof, den Sie in 15-jähriger Untergrundplanung uns Bürgern der Stadt Stuttgart mit S 21 vorsetzen und zumuten wollen.

Mit freundlichen Grüßen,

Mark Pollmann (Diplom-Geograph)
Markus Mauz (Rechtsanwalt)
Weitere Infos unter www.kopfbahnhof-21.de  www.leben-in-stuttgart.de  www.parkschuetzer.de  www.s-oe-s.de

Montag den 17. Mai 2010 um 19:30 Uhr ist im Rathaus großer Sitzungssaal eine Veranstaltung zum Thema "Stadtplanung und Denkart unserer Stadt". Da Stuttgart 21 vor allem ein Städtebauprojekt ist, will diese Fachveranstaltung mit den Referenten über Chancen und Risiken der geplanten Stadtentwicklung informieren und die Grundsatzfrage diskutieren: „In welcher Stadt wollen wir leben?“  Veranstalter ist das Bündnis K21 - ja zum Kopfbahnhof und die Fraktionsgemeinschaft SÖS / LiNKE

Polizeiliche Einschüchterungsversuche und Gewalt zum 1. Mai in Stuttgart

Soeben erschien eine Pressemitteilung der Roten Hilfe zu den "Einschüchterungsversuchen und der Gewalt am 1. Mai in Stuttgart", siehe auch die Pressemitteilung des Stuttgarter Bündnis für Versammlungsfreiheit:

Die bundesweite Stimmungsmache gegen linke Demonstrationen vor dem 1.Mai 2010 fand auch in Stuttgart ihren konkreten Niederschlag. Die Polizei versuchte mit massiven Kontrollen und gezielten Ansprachen bereits im Vorfeld der Mobilisierung Steine in den Weg zu legen. Anlässlich einer Polizeikontrolle wurde einem Aktivisten das Schlüsselbein gebrochen. Im Verlauf der Demonstrationen am 1. Mai kam es zu mehreren Festnahmen und massiven Strafandrohungen. Eine Person sitzt noch in U-Haft.

Ca. zwei Wochen vor dem 1. Mai 2010 verhängte die Polizei informell einen nächtlichen Quasi-Belagerungszustand über den Stuttgarter Süden und Heslach. Zahlreiche, vor allem jüngere Menschen wurden auf den Strassen kontrolliert und dazu befragt, ob sie etwas zu Sprühereien und Plakatierungen im Zuge der Mobilisierung zum 1. Mai wüssten.

Am Abend des 27. April 2010 wurden vor dem "Sozialen Zentrum Subversiv" in Stuttgart vier Personen einer solchen Kontrolle unterzogen. Im Verlaufe der Befragung wurde ein angeblicher Versuch, sich der Personenkontrolle zu entziehen dadurch unterbunden, dass der Betroffene mit Gewalt zu Boden geschmissen wurde und einer der Beamten sich auf ihn stürzte. Ergebnis: mehrfacher Schlüsselbeinbruch. Neben schnell anrückender polizeilicher Verstärkung, die u.a. den Stadtbahnverkehr in beide Richtungen sperrte, wurde laut Beamten zunächst auch ein Krankenwagen gerufen. Dieser wurde auf Betreiben eines Polizisten wieder abbestellt, da er nicht benötigt werde. Wiederholt wies der Betroffene auf seine Schmerzen hin. Die zynische Reaktion auf die, durch die Schmerzen des mehrfachen Bruchs verursachten, glasigen Augen, war die Frage, ob er Drogen konsumiert habe und dass man von ihm gleich noch eine Urinprobe verlange.

Die Strategie der Einschüchterung im Vorfeld des 1. Mai kommt in Stuttgart nicht aus heiterem Himmel. Zum einen hat das lokale Repressionsniveau seit dem Frühlingsbeginn allgemein erneut stark zugenommen. Eine massive Polizeipräsenz an öffentlichen Plätzen soll die erklärte Strategie umsetzen, eine Null-Toleranz-Linie vor allem gegen Jugendliche durchzusetzen. Zum anderen sind die linken Mobilisierungen, die vor allem im Stuttgarter Süden das Stadtbild mitprägen, den Repressionsbehörden nicht erst seit gestern ein Dorn im Auge.

Am 1. Mai 2010 fanden zwei Demonstrationen statt: die Gewerkschaftsdemonstration, sowie die revolutionäre 1. Mai- Demonstration. Bereits in den vergangenen Jahren waren nicht nur immer wieder Demonstrations-TeilnehmerInnen Ziel der Repression geworden, sondern zuletzt auch der Anmelder der revolutionären Demo selbst, dem eine Mitverantwortung für angebliche Gesetzesverstöße auf der Demo zugeschrieben werden sollte.
Exemplarisch abschreckend angelegt war das Auftreten der Polizei dieses Jahr auf der revolutionären Demonstration, sowie generell die Behandlung derjenigen, die festgenommen wurden. Eine gerade volljährige Person wurde aufgrund ihrer Skateboard-Ausrüstung bereits im Vorfeld der Gewerkschaftsdemo festgenommen, weil dies als "passive Bewaffnung" ausgelegt wurde. Sie wurde vor eine Richterin geschleift, die aufgrund des Alters der Betroffenen jedoch kein Schnellgerichtsverfahren durchziehen konnte.
Der Lautsprecherwagen der revolutionären Demonstration wurde im Vorfeld durchsucht und zahlreiche Fahnen, sowie ein Transparent beschlagnahmt. Kurz nach dem Auftakt der Demonstration wurde unter massivem Einsatz von Knüppeln und Pfefferspray das Fronttransparent beschlagnahmt. Der Einsatz hinterlies zahlreiche Verletzte. Das Transparent wurde „per Augenmaß“ für zu lang erklärt; nachdem das Ordnungsamt schikanöse Auflagen verhängt hatte (u.a. Transparente von max. 3m Länge).
Die gesamte Demonstration über lief die Polizei Spalier in Kampfausrüstung, brachte durch Provokationen die Veranstaltung mehrmals zum stehen und nahm einen weiteren Teilnehmer fest.
Noch vor Abschluss der Demonstration betraten zwei Beamte das Gelände des Generationenhaus Heslach, in dem später ein Kulturfest stattfinden sollte, und stellten die Personalien eines Anwesenden fest, dem sie androhten, für eventuelle vom Fest ausgehende Aktivitäten verantwortlich gemacht zu werden. Sie setzten sich bewusst über den Hinweis hinweg, dass das Festgelände Privatgrundstück ist.

Ein 30-jähriger Aktivist wurde dann auf der Abschlusskundgebung festgenommen. Er sitzt seitdem in Haft, derzeit in Stuttgart-Stammheim. Am Freitag, den 7. Mai findet bereits mit Hilfe eines Schnellgerichtsverfahrens der Prozess wegen "schwerer Körperverletzung" statt.

Der Prozess findet am Freitag um 9.30 Uhr im Amtsgericht Stuttgart, in der Hauffstr. 5 statt.

Wir fordern die sofortige Freilassung des inhaftierten Genossen!
Wir fordern die restlose Aufklärung zum Polizeieinsatz, der mit einem Schlüsselbeinbruch endete.
Lasst euch nicht einschüchtern! Stopp der Polizeigewalt!


Quelle: Pressemitteilung der Roten Hilfe vom 06. Mai 2010
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