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Stuttgart: Bundesweite Aktionskonferenz des Bündnisses „Wir zahlen nicht für Eure Krise“

Von Freitag, 13.11.2009 bis Sonntag, 15.11.2009 findet die bundesweite Aktionskonferenz des Bündnisses „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ im Stuttgarter Gewerkschaftshaus, Willi-Bleicher-Straße 20 statt. Eingeladen sind "alle interessierten Gruppen und Bewegungen, Parteien und Gewerkschaften sowie Organisationen und alle interessierten Einzelpersonen zur bundesweiten Konferenz in Stuttgart" Die Konferenz soll "das gesamte Spektrum
der Protestbewegung gegen die Krisenfolgen zum Ausdruck"
bringen und "konkrete Verabredungen über die weitere Perspektive und Aktivitäten/Aktionen" getroffen werden. Die Einlader drücken die Hoffnung aus,  "dass im Herbst eine Dynamik in Gang kommt, in der an vielen Orten der Republik, vernetzt, lebendig, bunt und widerständig deutlich wird: „Wir zahlen nicht für eure Krise!-"

Zur Konferenz gibt es folgenden Aufruf:
Ein Blick auf die letzten Monate zeigt: Auseinandersetzungen in und um die konkrete Abwälzung der Krisenkosten werden geführt: Belegschaften wehren sich in ihren Formen gegen Personalabbau und Outsourcing, Zehntausende demonstrierten gegen die Krise im Bildungsbereich, gegen Überwachungswahn und die Verlängerung der AKW-Laufzeiten. In zahlreichen Städten bildeten sich lokale Bündnisse unter dem Motto „Wir zahlen nicht für Eure Krise“.

Sicher, der Protest ist fragmentiert und defensiv, ist weniger breit und kämpferisch als viele -“ auch wir -“ noch letztes Jahr hofften. Dennoch, vielleicht hat der Protest auch mit dazu beigetragen, dass die neue Bundesregierung in Sorge um das Wachsen der Unruhe und breiteren Protest zumindest bisher von Generalangriffen auf Arbeitsrecht und soziale Rechte absieht.

Doch dies ändert wenig an den durch Krise(n) und Krisenmanagement schon jetzt verursachten Kosten. Im kommunalen Bereich ist die Finanzmisere überdeutlich, „Giftlisten“ machen die Runde, kommunale Infrastruktur wird veräußert. Die Erwerbslosigkeit steigt, Repression und Überwachung gegen Erwerbslose nehmen zu, viele Industriezweige sind in der Krise, Massenentlassungen und Betriebsschließungen sind lange noch nicht vom Tisch.
  • Wie wird sich die Krise zukünftig in Betrieben, Kommunen und auf die Sozialsysteme auswirken?
  • Was erwartet uns und wie können linke Antworten aussehen?
  • Wie verbinden wir die Auseinandersetzungen um eine gute Bildung mit dem Widerstand gegen Bagatellkündigungen, mit Kämpfen um gesellschaftliche Teilhabe und ökologische Anliegen?
  • Hat eine Kampagne zur Arbeitszeitverkürzung oder zum „Recht auf die Stadt“ beispielsweise eine gesellschaftliche Perspektive?
  • Wie können gemeinsame, mobilisierungsfähige Forderungen aussehen?
  • Wo lohnt es gemeinsam zu intervenieren, welche Aktionen, Kampagnen und Bündnisse können wir entwickeln?
Wir laden alle interessierten Gruppen und Bewegungen, Parteien und Gewerkschaften sowie Organisationen und alle interessierten Einzelpersonen ein, über diese und andere Fragen zu diskutieren, gemeinsam die gegenwärtige Situation einzuschätzen, bisherige Aktivitäten zu reflektieren und über die nächsten Schritte, Strategien und Perspektiven zu beraten.

Ablauf:

Freitag, 13. November

Gemeinsame Auftaktveranstaltung der Aktionskonferenz „Wir zahlen nicht für eure Krise“ mit der parallel stattfindenden internationalen Tagung „Die Rolle Europas in der globalen Krise“

19.00 Uhr: Freier Chor Stuttgart

19.15 Uhr: Begrüßung - Kooperation der Bewegungen

19.25 Uhr: Aktuelle Kämpfe in und gegen die Krisen
  • Vertreter/innen brasilianischer Fischer, des Peoples Tribunal gegen EU Konzerne in Lateinameika,
  • Vertreter/in von Betriebskämpfen in Deutschland/Esslingen,
  • Vertreter/in von Kämpfen um Flüchtlingsrechte
  • und mit Berichten von aktuellen Auseinandersetzungen und möglichen Perspektiven
20.15 Uhr: Pause/Interaktion Tischgespräche

20.30 Uhr: Solidarische und ökologische Zukunft -“ lokale und internationale Perspektiven

Auf dem Podium diskutieren über die Auswirkungen und Folgen der globalen Krisen, über gemeinsame Ansatzpunkte und Differenzen mit dem Ziel gemeinsame Handlungsperspektiven zu entwickeln:
  • Dot Keet (African Trade Network)
  • Bernd Riexinger (ver.di Stuttgart)
  • Andreas Lathan (Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland)
  • Mona Bricke (gegenstrom Berlin)
22.00 Uhr: Ende

Samstag, 14. November

09.30 Uhr: Begrüßung und Eröffnung

durch die Bundeskoordination des Bündnisses „Wir zahlen nicht für eure Krise“

09.45 Uhr: Die Situation nach der Bundestagswahl

Politische Einschätzung, Perspektiven und Konstellationen des Protestes. Eine Diskussion mit Inputbeiträgen von Christina Kaindl, Gruppe Soziale Kämpfe Berlin und Sybille Stamm, ver.di, Stuttgart

11.15 Uhr: Kurze Pause

11.30 Uhr: Erfahrungen aus den Kämpfen rund um die Krise und strategische Herausforderungen für die nächste Zeit

Aktivist/innen reflektieren Stimmungslagen und Herausforderungen, diskutieren über mögliche Bündnisansätze und neue Konstellationen, über erfolgreiche Interventionsfelder und vernachlässigte Bereiche.

Es berichten und diskutieren AktivistInnen u.a. aus dem Bildungsstreik-Netzwerk, dem „Anzeigen-Kreis“, der Initiative „Unruhe stiften!“, dem Leipziger Antikrisenbündnis und vom Kölner Zahltag ...

13.00 Uhr: Mittagspause

14.30 Uhr: Erste Arbeitsgruppenphase

AGs zu möglichen Feldern von Auseinandersetzungen (mit speziellem Blick auf die Vorhaben der neuen Regierungskoalition). AGs zu weiteren Themen können jederzeit auch selbst organisiert im Gewerkschaftshaus angeboten werden

AG 1: Auswirkungen der Krise in Betrieben

Weitere Prekarisierung der Arbeit(-swelt) - Kämpfe um Arbeitsplätze, Lohn und Arbeitsbedingungen - Arbeitsplatzerhaltung um welchen Preis?

AG 2: „Die Krise findet Stadt!“

Politische Ansätze und neue Bündnisse gegen Verdrängungsprozesse, gegen anstehende (kommunale) Kürzungspläne und weitere Privatisierungen der sozialen, öffentlichen Infrastruktur. Mit Vertreter/innen des Anti-Privatisierungsbündnisses, dem Berliner Bündnis für Mieten Stopp/eine andere Stadt (angefragt)sowie Angela Klein, Initiative „Lokale Bündnisse gegen Armut“

AG 3: Bildungsproteste

Erfahrungen und Perspektiven

AG 4: Zunehmende Repression und Kontrolle der Armen

neue Aktionsformen und Bündnisse, mit Vertreter/innen (angefragt) des Bündnisses für ein Sanktionsmoratorium, Zahltag Köln und Begleitschutz Berlin

16:30 Uhr: Pause

17.00 Uhr: Zweite Arbeitsgruppenphase

Arbeitsgruppe 5: Arbeitszeitverkürzung -“ Zeit für eine gesellschaftliche Initiative und Kampagne

Mit Werner Sauerborn

AG 6: Angriffe auf die Sozialsysteme

Gegenforderungen und Bündelung der Gegenwehr

AG 7: Vernetzung lokaler Bündnisse

AG 8: Kampagnen und Aktionsideen

19:00 Uhr: Abendessen

19.30 Uhr: Offenes Treffen der Bundeskoordination

Aktionsplanentwurf zur Diskussion am Sonntag (bis 21.00 Uhr)

19:30 Uhr (parallel): Workshop zur Einführung in das Konzept des Webrings (lokale Unterseiten der Bündniswebseite), den Aufbau der Seite und wie sie zu bedienen ist (mit dem Webmaster der Bündnisseite)

20 Uhr: Gemeinsames Kulturprogramm im Gewerkschaftshaus

Mit dem Freien Chor, dem Theater Rosso und der Salsaband „sangre nueva“, Tischgespräche

Sonntag, 15. November

9.30 Uhr: Plenum der Aktionskonferenz

Kräfte Bündeln - Perspektiven entwickeln -“ Verabredungen treffen

12.00 Uhr: Pause

12.30 Uhr: Gemeinsame (Aktions-) Beratung mit der internationalen Tagung „Die Rolle Europas in der globalen Krise“

Vorstellung der Ergebnisse, Verabredungen, Austausch

13.30 Uhr: voraussichtliches Ende

13.30 Uhr: Pressekonferenz des Bündnisses „Wir zahlen nicht für eure Krise“

„Bildung“ - eine ideologische Rettungsfantasie - Anmerkungen zur DGB-Studie über die Arbeitslosigkeit

In Göttingen kursiert seit einiger Zeit ein Witz: wenn man in ein Taxi steige, solle man den Fahrer oder die Fahrerin auf jeden Fall mit Herr oder Frau „Doktor“ begrüßen. Grund: die massenhafte Akademikerarbeitslosigkeit in dieser südniedersächsischen Universitätsstadt.

Nun, die Nachdenklicheren wußten es seit längerem schon: durch mehr Bildung gibt es kei-nen einzigen Erwerbslosen weniger. Bildung erhöht die Qualifikation der Arbeitsplatzbewerber, sie schafft aber keine einzige neue Stelle für sie. Und Logik wie Wahrheitsgehalt dieser Erkenntnis sind ja auch von denkbar schlichter Natur: wenn mit einem Schlag sämtliche Einhundert-Meter-Läufer eine Sekunde schneller rennen, gibt es auch nicht mehr Sieger als vor dieser Qualifikationssteigerung aller. Zwar trifft zu: das Leistungsniveau der Wettbewerber erhöht sich, nicht aber die Zahl der Gewinner. Heißt, zum Beispiel, für den Bereich Arbeitswelt: die „Generation Praktikum“ läßt grüßen! Die könnte Endlos-Geschichten erzählen über ihre Weiterqualifikationen. „Fortbildung“ im Sinne von „Wegbildung“ wäre wohl zutreffen-der ausgedrückt.

Was die soeben vorgelegte Studie des DGB zur Arbeitslosigkeit auf erschreckende Weise zutage gefördert hat, das ist also weniger der -“ durchaus überflüssige - wissenschaftliche Nachweis für diese banale Erkenntnis. Diese Studie belegt vielmehr etwas anderes auf überaus deutliche Art: es gibt einen Strukturwandel innerhalb der Arbeitslosigkeit, empirisch zweifelsfrei nachgewiesen durch diese Studie des DGB. Und dieser Strukturwandel ist gekennzeichnet durch die Tatsache, daß der bundesdeutsche Arbeitsmarkt anteilig immer weniger qualifizierte Arbeitskräfte benötigt bzw. Arbeitsstellen für Qualifizierte schafft und stattdessen anteilig immer mehr Arbeitsplätze für Geringqualifizierte produziert. Das bedeutet:

Die Wirtschaft organisiert sich in der Weise um, daß sie in immer stärkerem Maße nur noch Mindestlöhner braucht. Die Rettungsfantasie „Bildung“, wieder und wieder vorgetragen von den Hartz-IV-Parteien (mit deutlicher Beschuldigung an die Adresse der arbeitswilligen Zwangsuntätigen in der Bundesrepublik, nämlich mit dem Vorwurf versehen, zu wenig für ihre „Wiedereingliederung in das Arbeitsleben“ zu tun!), dieses „Bildungs“-Gequatsche ist nichts anderes als ungebildeter Blödsinn, eine ideologisch-motivierte Diffamierung der ALG-II-BezieherInnen. Und: dieses „Bildungs“-Gerede ist nichts anderes als der zynische Selbst-entlastungsversuch des nach wie vor alltäglich praktizierten Neoliberalismus-™ in diesem Land, Vertuschung der Tatsache nämlich, daß es immer noch der Marktradikalismus ist, der verantwortlich zeichnet für die Massenarbeitslosigkeit und das millionenfache Massenelend. Schließlich: im Suggestionsbereich dieser Talkshow-These, Mangel an „Bildung“ sei schuld am Fortbestehen der Arbeitslosigkeit, geistert auch noch der diffamierende Umkehrschluß herum, es sei überhaupt der Mangel an „Bildung“ gewesen, auf Seiten der arbeitenden Menschen, der zu dieser immensen Erwerbslosigkeit in diesem unseren Wirtschaftswunderland geführt habe, ein weiterer Vorwurf also an die Adresse der Zwangsarbeitslosen. Kurz:

Die führenden Politiker in unserem Land plappern unwissend oder willentlich nur die Propagandaformeln der Wirtschaftsführer in unserem Arbeitsparadies nach. Vom Ablehnungsgrund „überqualifiziert“, den schon so mancher Arbeitsplatzbewerber in den Personalbüros der Firmen entgegennehmen mußte, scheinen diese Damen und Herren auf den Talkshow-Sesseln der Illner und Will noch nie etwas gehört zu haben. Sie erweisen sich, diese Hartz-IV-Apologeten, als willfährige Handlanger einer rechts- und sozialstaatsfeindlichen Einstellungspraxis seitens der bundesdeutschen Wirtschaft. Sie quatschen mit ihrem Medien-Gebrabbel einen in-humanen Massenskandal aus dem allgemeinen Bewußtsein und versehen ihn mit einer Pseudolegitimation: die „ungebildeten“ Arbeitssuchenden seien selber schuld an ihrem Schicksal, nicht das Wirtschaftssystem. Mit anderen Worten: diese Politiker stellen sich auf die Seite einer ökonomischen Praxis, die eines der wichtigsten Menschenrechtserfordernisse schon seit langem nicht mehr erfüllt: das Recht der arbeitswilligen und arbeitsfähigen Menschen auf Arbeit -“ nebenbei: auf menschenwürdige Arbeit! -“ und auf ein menschenwürdiges Leben!

Wenn hier jemand „Bildung“ benötigt, dann sind es diese Beschwörer der „Bildung“. Vielleicht würde ihnen ja helfen, wenn sie einmal für ein ganzes Jahr lang Taxi fahren müßten, zum Beispiel in Göttingen, dieser niedlichen alten Universitätsstadt.

Holdger Platta ©
cronjob