Skip to content

Stattzeitung für Südbaden und für Widerstand von unten #74 erschienen

Die aktuelle Ausgabe Stattzeitung für Südbaden 74 ist erschienen und ab sofort auch auf der Webseite der Webseite der StattZeitung, sowie diversen Verkaufsstellen, zum Beispiel im sozialen Zentrum Subversiv Stuttgart, zu finden.

Die Ausgabe enthält 14 Artikel. Hier eine kurze Inhaltsübersicht:

---
Friedrich, Sebastian:
Aus der Niederlage lernen!
Ein Vorschlag nach den enttäuschenden Protesten gegen den NATO-Gipfel

Die Erfahrungen aus den Protesten gegen den NATO-Gipfel zwingen die Bewegung, grundsätzlich über die aktuellen Protestformen nachzudenken. Waren die Protesttage nicht mehr als ein Schlag ins Wasser? Wenn ja, warum war dies so? Und welche Schlüsse sind daraus zu ziehen?
Proteste waren enttäuschend
Zu den Protesten in Baden-Baden, Kehl und Strasbourg kamen weit weniger Menschen als angenommen. [...]

http://www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1132&lat=2405CS

---

Diverse:
regio kurz


Zusatzfragebogen Arbeitsgelegenheiten der Arge Freiburg

In der letzten Ausgabe der SZ berichteten wir über einen höchst ominösen „Zusatzfragebogen Arbeitsgelegenheiten 2 Euro –“ Basis (AGH)“, in welchem u.a. nach „chronischen Erkrankungen, körperlichen Behinderungen, Suchterkrankungen, Vorstrafen und Schulden“ abgefragt wird. Inzwischen hat sich der Landesdatenschutzbeauftragte der Sache angenommen und dazu Stellung bezogen (die der Red. [...]

http://www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1151&lat=2405CS

---

rf-online:
Daimler: Zetsche erklärt der Belegschaft den Krieg

Gestern fanden "außerordentliche Betriebsversammlungen" in zahlreichen Daimler-Werken statt. Ihre Regie war geprägt von der Angst vor den kampferprobten Belegschaften. An mehreren Standorten war es überhaupt nicht vorgesehen, dass diese selbst zu Wort kommen. Doch die Kollegen verschafften sich auf andere Weise Gehör. So berichtet ein Korrespondent von der Versammlung in Sindelfingen, dem größten Montagewerk des Konzerns: "Rainer Schmückle vom Vorstand, bei der Belegschaft als 'Super-Rationalisierer' bekannt und unbeliebt, musste erst mal ein Pfeifkonzert über sich ergehen lassen, bevor er seine Rede beginnen konnte. [...]

http://www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1150&lat=2405CS

---

Trüten, Thomas:
Vor wem hatten die NATO-Verteter eigentlich Fracksausen?
Bericht direkt nach der Strasbourger Demo am 4.4.


Nachdem ich mir das "heute journal" angesehen habe, um das offebar bereits vorher feststehende Urteil über die Proteste gegen den NATO Gipfel in Strasbourg zu vernehmen, war bereits alles klar. Der Sprecher Kleber formulierte das schon geschickt. Sinngemäß: Die NATO müsse Kritik auch aushalten können (...) aber der Verlauf der Proteste in Strasbourg habe gezeigt, daß das Polizeikonzept seine Berechtigung hatte, weil in Strasbourg "Chaos und Anarchie", d.h. [...]

http://www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1149&lat=2405CS

---

Redaktionell zusammengestellt:
Stimmen und Überlegungen nach den Protesten gegen die NATO

Wir befragten unterschiedliche Gruppen und Einzelpersonen nach ihren Einschätzungen der Proteste gegen den NATO-Gipfel in Baden-Baden, Kehl und Strasbourg. Die Resonanz war so groß, dass wir leider nicht alle Beiträge in der Printausgabe veröffentlichen können und uns auch gezwungen sehen, an einigen Stellen zu kürzen. Alle Mitteilungen sind aber in voller Länge bei stattweb.de nachzulesen. Dort finden sich auch die Artikel, die es aus Platzgründen nicht in diese Ausgabe schafften.
Wolf Wetzel (Autor, ehemals Lupus-Gruppe)
Einige Überlegungen und Anregungen zu den Aktionen gegen den Nato-Gipfel in Strasbourg und Baden-Baden 2009.
1. Die radikale Kritik an der NATO als ein Kriegsbündnis darf sich nicht an den Möglichkeiten messen, für deren Auflösung einzutreten, sondern an der Fähigkeit, genau und nachvollziehbar zu beschreiben, welchen Frieden die NATO verteidigt, wem und was sie den Krieg erklärt. [...]

http://www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1148&lat=2405CS

---

Wagner, Jürgen:
Effektivierung von Krieg und Besatzung und Kollisionskurs mit Russland
"Highlights" des NATO-Gipfels


Angesichts der wichtigen Beschäftigung mit der französischen und deutschen Polizeistrategie, die offensichtlich auf eine bewusste Eskalation der Situation hinarbeitete, um die Proteste gegen den NATO-Gipfel in Straßburg zu zerschlagen, droht die inhaltliche Aufarbeitung des Gipfels ein wenig unterzugehen. Deshalb hier eine erste vorläufige Analyse der Kernelemente.
Neue Macht- und Arbeitsteilung
Eine wichtige Rolle spielte auf dem Gipfel der Versuch, eine neue transatlantische Macht –“ und Arbeitsteilung auf den Weg zu bringen. [...]

http://www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1147&lat=2405CS

---

Schenk, Barbara:
Wenn eine demonstrieren geht, dann kann sie was erleben
Ostermarsch 2009 Kehl

Der Ostermarsch, traditionell geht die Friedensbewegung an Ostern auf die Straße. Kennzeichnend in den letzten Jahren, man ist friedlich und in der Regel unter sich. Nicht so dieses Jahr. Im Zeichen des Nato Geburtstages sollte der Ostermarsch 2009 ein machtvolles Zeichen setzten gegen Krieg und Militarismus. Also nichts wie los am 4.April nach Kehl.
So, Kehl liegt am Rhein ein beschauliches Städtchen mit einer Brückenverbindung nach Strasbourg. [...]

http://www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1146&lat=2405CS

---

Quarti, Adi:
Raul Teitelbaum: Die biologische Lösung
Eine differenzierte Analyse der Skandale der Entschädigunsverhandlungen


Raul Teitelbaum, selbst Überlebender des Holocaust im Lager Bergen-Belsen, israelischer Journalist und langjähriger Korrespondent der israelischen Tageszeitung Tedioth Acharonoth in Deutschland, der also beide Seiten sehr gut kennt, hat in einer akribischen Untersuchungsarbeit die jahrzehntelang verzögerte Wiedergutmachung bzw. die Entschädigung der Überlebenden des Hollocaust aufgearbeitet. Er kommt zu erstaunlichen Ergebnissen: Die von Deutschland geleisteten Entschädigungszahlungen flossen nur zum geringsten Teil an die Überlebenden, sondern hauptsächlich an den Staat Israel und an die Claims Conference in New York, in deren Reihen bei der Gründung 1951 kein einziger Überlebender des Nationalsozialismus saß. [...]

http://www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1145&lat=2405CS

---

Ditfurth, Jutta:
Zehn Jahre Überfall auf Jugoslawien mit deutscher Beteiligung
Der Weg der GRÜNEN in die NATO


Vor zehn Jahren beteiligte sich Deutschland an seinem ersten Krieg seit 1945. Niemand hatte sich vorstellen können, daß ausgerechnet eine vormals pazifistische und antimilitaristische Partei wie die Grünen diesem NATO-Krieg gegen Jugoslawien den Weg ebnen würde. Ab 24. März 1999 fielen die ersten Bomben. Menschen starben auf Wiesen, in Häusern, in Zügen, auf der Flucht, in Krankenhäusern, Fabriken, Studentenwohnheimen und Schulen. [...]

http://www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1144&lat=2405CS

---

Güde, Fritz:
Thälmann und die KPD: Kampf um die Erinnerung in und an Ziegenhals
"Ziegenhalser Reden 1+2"- Dokumente der Vergewisserung

Diejenigen, denen es vergönnt ist, sich zeitweise für die Sieger der Geschichte zu halten, empfinden eines als dringendstes Bedürfnis: nicht nur auszuposaunen, dass ihre Gegner verloren haben. Sogar die Erinnerung muss restlos gelöscht werden., dass einmal gekämpft worden ist.
Das lässt sich an der Gestalt Thälmanns am besten dokumentieren. Noch in den späteren sechziger Jahren stießen wir neuhinzugestoßenen "Linken" immer wieder auf Arbeiter, die freiheraus behaupteten, in genau der Kneipe, schräg über den Tisch, dem Teddy gegenüber gesessen zu haben. [...]

http://www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1143&lat=2405CS

---

Quarti, Adi:
Typisches und atypisches in Politik und Popkultur aus der Perspektive von links
kukuli

In Shakespeares Mcbeth trugen die Hexen, welche die Zukunft orakelten, noch Bärte. Heute dagegen eher Nadelstreifen und Hosenanzüge. Doch das Atypische im Typischen (Zizek) läßt nicht immer einen Umkehrschluss zu. Macbeth jedenfalls, der sich in seiner Phantasie alles vorstellen konnte, also auch alles machen wollte, will sich nicht von Schicksalhaftem aufhalten lassen. Der schottische König und Tyrann erlebte einen kometenhaften Aufstieg und einen tiefen Fall, als das Orakel sich erfüllte und die Wälder an sein Schloss heranwuchsen. [...]

http://www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1142&lat=2405CS

---

Friedrich, Sebastian:
Soziale Arbeit zwischen Armutspolizei und kritischer Wissenschaft
Buchbesprechung: "Zurück zur Armutspolizey? Soziale Arbeit zwischen Hilfe und Kontrolle"


Buchbesprechung: „Zurück zur Armutspolizey? Soziale Arbeit zwischen Hilfe und Kontrolle“
In den 1970ern war der Hörsaal während des Studiums der Sozialarbeit noch ein Sammelbecken politischer AktivistInnen. Und was ist heute, wo doch die gesellschaftlichen Widersprüche größer denn je scheinen? Was ist aus der Profession geworden, die im gesellschaftlichen Bereich wie keine andere die Verknüpfung zwischen Theorie und Praxis herstellt und sich dadurch bestens für politische Arbeit eignet? Kaum hörbar war und ist der Protest gegen die allmähliche Vernichtung des Sozialstaats und Degradierung der KlientInnen durch menschenunwürdige „Reformen“ wie Hartz IV. [...]

http://www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1134&lat=2405CS

---

Friedrich, Sebastian:
“Polizei trägt Verantwortung für Eskalation–
Interview mit Hans-Christian Ströbele zum NATO-Gipfel

Stattzeitung für Südbaden:
Du hast am 4.4. an der Demonstration gegen den NATO-Gipfel in Kehl teilgenommen. War es deiner Meinung nach eine erfolgreiche Demonstration?
Hans-Christian Ströbele: Die Demonstration war bis zu dem Zeitpunkt ein Erfolg, an dem sie an der Brücke angehalten und nicht nach Strasbourg gelassen wurde. Ich habe mich, auch in Gesprächen mit dem Einsatzleiter der Bundespolizei, dafür eingesetzt, dass die Demonstration auf die französische Seite gelassen wird. [...]

http://www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1131&lat=2405CS

---

Quarti, Adi:
„Die Hemmschwellen für den nuklearen Ersteinsatz wurden immer mehr herunter gefahren“
Interview mit Rainer Rupp

Der Journalist Rainer Rupp war ab 1977 als Referent in der „Politischen Abteilung“ im NATO-Hauptquartier in Brüssel tätig, aber insgeheim arbeitete er für die Auslandsaufklärung der DDR. 1993 wurde er enttarnt und zu 12 Jahren Haft verurteilt, von denen er 7 absaß. Aus dem Gefängnis heraus veröffentlichte er Artikel. Seit seiner Entlassung im Juli 2000 hat er sich als Autor und Journalist in geopolitischen Fragen einen Namen gemacht. [...]

http://www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1121&lat=2405CS

---

Interview für Stattweb zur Stuttgarter Kommunalwahl mit Ariane Raad

Auf Platz drei der offenen Liste der Linkspartei für den Stuttgarter Gemeinderat kandidiert die Studentin Ariane Raad. Sie kommt aus antikapitalistischen und außerparlamentarischen linken Strukturen in Stuttgart und ist nicht Mitglied der Linkspartei. Bekannt wurde sie durch ihr Tortenattentat auf Ministerpräsident Oettinger.


Du kandidierst für einen Sitz im Stuttgarter Gemeinderat, obwohl Du sonst in explizit außerparlamentarischen Zusammenhängen wie der „Initiative Sozialproteste Stuttgart“ aktiv bist. Kann aus deiner Kandidatur geschlossen werden, dass Du nun davon ausgehst, dass über den parlamentarischen Weg mehr zu erreichen ist als über Engagement außerhalb der Parlamente?


Nein. Ich beteilige mich auch weiterhin in erster Linie an Organisierungen und Kampagnen, die von unten organisiert werden und nicht Teil dieses politischen Systems sind, sondern es in Frage stellen.

Gerade heute wird der Irrsinn dieses Systems durch die kapitalistische Krise besonders deutlich: Die Möglichkeit einer Welt in der es genug Nahrung für alle gibt, in der die notwendige Arbeit auf einen Bruchteil dessen beschränkt wird, was heute durch das kapitalistische Chaos von vielen geleistet werden muss, in der Umweltschutz und nachhaltige Energiegewinnung Vorrang haben, ist längst gegeben. Statt einer Entwicklung in diese Richtung erleben wir aber das genaue Gegenteil –“ alle gesellschaftlichen Bereiche werden nach Profitinteressen umstrukturiert, die Umwelt immer weiter zerstört, Kriege geführt und die Armut vergrößert. Von denen die von diesem System profitieren wird stets behauptet, es ginge nun mal nicht anders, viele glauben das oder geben sich mit dem bisschen Wohlstand das sie ergattern konnten zufrieden, viele sind aber auch einfach frustriert und denken sie könnten ohnehin nichts ändern.

Für mich steht fest, dass es in dieser Situation nicht lediglich um kleine Verbesserung gehen kann. Es muss darum gehen, dass ein grundlegend anderes Gesellschaftssystem entwickelt wird, in dem nicht wenige über viele bestimmen, ein Teil andere für sich arbeiten lässt und über ihre Arbeits- und Lebensbedingungen entscheidet, sowie Profite wichtiger sind als die Interessen der Menschen. Es versteht sich von selbst, dass die Grundlage hin zu einer solchen befreiten Gesellschaft auf Strukturen und Aktivitäten außerhalb der Institutionen, die das jetzige System verwalten und aufrechterhalten basieren muss. Es muss in erster Linie darum gehen, dass die Menschen sich trotz aller Schwierigkeiten zusammenschließen und selbstständig handeln statt sich auf die bürgerlichen Parteien zu verlassen. Ansätze dazu gibt es selbst in der dahingehend sehr rückständigen BRD ja schon einige –“ von den Leuten an der Gewerkschaftsbasis und in Erwerbslosenvereinigungen über Bürgerinitiativen, Umweltschutzgruppen oder Organisationen für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen bis zu antifaschistischen und linken Organisierungen.

Meine Kandidatur ist nicht der Versuch einen alternativen Weg dazu einzuschlagen, sie soll einen kleinen Beitrag zur Unterstützung dieser Initiativen außerhalb des politischen Mainstreams liefern.

Wie stellst Du dir das genau vor, was willst Du von dort aus tun?


Die Möglichkeiten werden natürlich beschränkt sein, auch weil die Parteien von Grünen bis CDU sich in den wichtigsten Fragen einig sind und die GenossInnen der Linkspartei und ich in der Minderheit sein werden –“ sollte die Liste überhaupt Fraktionsstärke erreichen. Aber auch unabhängig der Sitzverteilungen bieten die Institutionen die direkt zum Kapitalismus gehören nur beschränkt Möglichkeiten für wirklich oppositionelle Initiativen –“ sie sind schließlich in erster Linie für das Gegenteil geschaffen worden.

Ich gehe aber davon aus, dass es zumindest in ein paar Bereichen Möglichkeiten gibt, von einer Stellung im Gemeinderat aus etwas zu erreichen. Als meine Aufgaben sehe ich es vor allem an, eigenständige Aktivitäten der Menschen außerhalb der gängigen politischen Institutionen zu unterstützen. Konkret werde ich versuchen regelmäßig über die Debatten und Beschlüsse im Gemeinderat zu informieren. Das nicht nur in der Art wie alles auch der Presse oder den Bekanntmachungen zu entnehmen ist, sondern kritisch, detailliert, mit einer Darstellung der Bedeutung und wo notwendig auch mit der Aufforderung dagegen aktiv zu werden.

Dazu werde ich versuchen über meine Stellung mehr Öffentlichkeit für Initiativen zu schaffen, die in den Medien keine Erwähnung finden oder dort diffamiert werden. Das können Streikaktionen und soziale Proteste ebenso sein wie Volksentscheide oder politische Kampagnen –“ von allen wird es in den nächsten Jahren ja hoffentlich viele geben.

Natürlich werde ich aber auch der Arbeit, die in diesem System dem Gemeinderat zugedacht ist, nachkommen. Ich werde dafür eintreten, dass die dort zu fassenden Beschlüsse sich möglichst weitgehend nach den Interessen der Menschen richten, nicht nach Profitinteressen. Auch hier gibt es in Stuttgart ja einiges zu tun: Viele soziale Projekte stehen durch mangelnde Förderung vor großen Problemen, die Stadt verpulvert Millionen für mehr als fragwürdige Prestigeprojekte wie Stuttgart 21, das Verkehrsnetz ist viel zu stark auf den PKW-Verkehr ausgelegt, Öffentliche Verkehrsmittel und Radwege kommen viel zu kurz usw. Erfolge in dieser Hinsicht werden aber nicht zuletzt davon abhängen, wie stark der Druck von Bewegungen auf der Straße ist.

Grundsätzlich hat das Ganze für mich aber auch den Charakter eines Versuchs. Die konkrete Praxis kann erst zeigen was möglich ist und was nicht, ob die positiven oder die negativen Folgen überwiegen. Während die bürgerlichen Parteien im Wahlkampf das Blaue vom Himmel versprechen, ohne auch nur daran zu denken ihren Versprechungen später nachzukommen, will ich die Sache anders angehen: Ich werde keine großen Wahlversprechungen in die Welt posaunen, sondern lege lediglich dar was ich mir vorgenommen habe. Sollte ich in den Gemeinderat gewählt werden, werde ich versuchen dem nachzukommen, aber die Situation immer wieder auch selbstkritisch reflektieren.

Gibt es keinen Widerspruch zu linken oder antikapitalistischen Gruppen in Stuttgart, mit denen Du sonst vielleicht viel zu tun hast, die aber zu einem Wahlboykott oder zur Wahlsabotage, also dem Abgeben von ungültigen Wahlzetteln, aufrufen?


Widersprüche in dieser Hinsicht gibt es und ich kenne die Positionen die jegliche Beteiligung an Wahlen ablehnen. Argumente sind z.B. die generelle Ablehnung der parlamentarischen Demokratie, die tatsächlich ja nicht wirklich demokratisch ist, weil sich die Mitbestimmung auf ein Kreuz auf dem Wahlzettel beschränkt und obendrein die Parteienlandschaft davon bestimmt ist wer wieviele Wahlspenden bekommt, überhaupt in den Medien erwähnt wird usw. Ein weiteres Argument das gegen jegliche Wahlbeteiligung spricht, ist die damit verbundene symbolische Akzeptanz des Kapitalismus, an dessen Spielregeln man sich mit der Abgabe der Stimme erstmal hält. Auch die Betonung, dass ohnehin alle politischen Parteien in diesem System mehr oder weniger für die gleiche Politik stehen, zumindest was deren konkrete Umsetzung in den Parlamenten angeht, ist natürlich von Bedeutung.

Ich halte diese Argumente zunächst durchaus für richtiger als z.B. die Position von denjenigen die die Bedeutung von Wahlen überbewerten oder sie gar als wichtiger erachten als Selbstorganisierung und außerparlamentarische Aktivitäten –“ ganz zu schweigen von denen die sich tatsächlich darauf beschränken wollen über den Parlamentarismus nur ein paar Nuancen zu verändern.

Es hat sich aber in vielen politischen Kreisen die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine generelle und grundsätzliche Ablehnung der Wahlen nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Ich denke, dass es durchaus möglich ist, in konkreten Fällen zur Beteiligung an den Wahlen aufzurufen, ohne damit die grundlegende Haltung gegen mangelnde demokratische Mitbestimmungsmöglichkeiten und allgemein gegen das kapitalistische Ausbeutungs- und Unterdrückungssystem aufzugeben.

Kannst Du deine genauen Gründe dafür, dass Du dich dafür entschieden hast, bei den Gemeinderatswahlen zu kandidieren und damit zur Wahlbeteiligung aufzurufen noch etwas konkretisieren?

Ich denke, dass es auf verschiedene Faktoren und die konkrete Situation ankommt was bei den Wahlen zu tun ist. In ein paar Stichpunkten zusammengefasst ist meine Position im konkreten Fall folgende: Ich halte es für richtig, wenn die politischen Kräfte die langfristig eine Perspektive jenseits des Kapitalismus anstreben, in möglichst vielen Bereichen sichtbar und aktiv sind –“ nicht zuletzt dort wo sie ausgeschlossen werden sollen und die bürgerlichen Parteien lieber unter sich bleiben. Gerade in Zeiten, in denen Positionen die sich grundsätzlich gegen den Kapitalismus und für eine befreite Gesellschaftsordnung aussprechen durch die weitgehende Gleichschaltung der bürgerlichen Medien kaum oder völlig verfälscht in der öffentlichen Wahrnehmung präsent sind, ist es wichtig sie mehr in die Öffentlichkeit zu bringen. Eine klare Positionierung und das wirkliche Eintreten für soziale Fortschritte und echte Veränderungen von einem Sitz im Gemeinderat aus, bewerte ich im konkreten Fall höher als den Symbolcharakter einer Ablehnung der Beteiligung.

Auch sind viele der GenossInnen der Linkspartei in Stuttgart vor allem außerhalb des Parlamentarismus aktiv, sind langjährige und aktive Gewerkschaftsaktivisten die sich auch in Opposition zur Linie der Gewerkschaftsspitze befinden, Aktive aus der Antikriegsbewegung und aus anderen fortschrittlichen Zusammenhängen. Ich habe durchaus das Vertrauen, dass es ihnen ebenfalls um wirkliche Veränderungen geht, sie die parlamentarische Arbeit nicht als Allheilmittel betrachten und so fest verankert sind, dass sie wirklich versuchen im Interesse der Menschen zu handeln. Mit ihnen zusammenzuarbeiten und dazu beizutragen, dass die Linke mit möglichst vielen Abgeordneten in den Gemeinderat einzieht, halte ich daher erstmal für sinnvoll.

Die konkreten, sich mir hoffentlich mehr oder weniger bietenden Möglichkeiten die ich oben bei meinen Plänen im Fall eines Einzuges in den Gemeinderat benannt habe, spielen natürlich auch eine Rolle. Ich gehe davon aus, dass es aktuell fortschrittlichen und linken Bewegungen durchaus nutzt hier und da einen Fuß in den Parlamenten zu haben und diesen Raum nicht den bürgerlichen Parteien zu überlassen.

Positionen, die sich auch im konkreten Fall grundsätzlich gegen Wahlbeteiligungen aussprechen, resultieren meiner Meinung nach vielfach aus einer verkürzten Analyse oder einer Herangehensweise die es sich sehr einfach macht und nicht aus einem sinnvollen politischen Konzept. Es ist bekanntlich recht einfach eine besonders radikale Kritik zu äußern ohne zu versuchen durch das eigene Handeln gerade in schwierigen Bereichen auf Veränderungen hinzuwirken. Komplizierter aber eben auch sinnvoller ist es beides miteinander zu entwickeln.

Wie schon gesagt, werde ich die Erfahrungen immer wieder reflektieren und wenn mich die Praxis eines besseren belehrt natürlich auch die Konsequenzen ziehen.

Quelle: StattWeb Interview
AutorIn: Trueten, Thomas

http://www.stattweb.de/baseportal/NewsDetail&db=News&Id=5195
cronjob