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"Wir sind Menschen - was seid ihr?"

Beinahe wie in Strasbourg: Terror in Erfurts Innenstadt: Hunderte Polizisten gegen wehrlose Bürger. Was war los?

In Erfurt wurde gestern das besetzte Haus auf dem ehemaligen Topf&Söhne Gelände geräumt. Die Filmpiraten haben die Räumung gefilmt. Heute um 19 Uhr findet in der Adlerstraße eine Solidemo gegen Repression und für Freiräume statt unter dem Motto: "Ihr reißt unsere Häuser ein und wir sollen die Chaoten sein?"



Strasbourg: "Today and tomorrow: no democracy"

Ein Leserbrief an die "Esslinger Zeitung" zum unter anderem dort verbreiteten Artikel: "Die friedlich gesinnten NATO-Gegner ziehen sich entsetzt zurück" vom 6. April 09

Gummigeschosse, Tränengas, Schockgranaten, Wasserwerfer -- das sind die Erfahrungen, die die französische Polizei mir bescherte am vergangenen Samstag. Ein durch einen Tränengasgranatentreffer geprelltes Handgelenk und eine beschädigte Jacke; andere hat es schlimmer getroffen.

Als eine bunte Menge Friedensbewegter aus den unterschiedlichsten Szenen standen wir auf dem Festplatz im Straßburger Hafen zusammen vor dem Podium, um den Beiträgen zuzuhören, als mitten in die Menge unzählige Tränengasgranaten verschossen wurden.

Panik entstand und wir mussten mangels anderer Auswege über steile Bahngleis-Böschungen flüchten und auch Gehbehinderte fanden in den Mitdemonstranten zum Glück freundliche Helfer. Zum Tränengas kamen Schockgranaten, die mit ihrem ohrenbetäubenden Lärm erst orientierungslos machen und dann durch ihren explodierenden Inhalt fiese kleine Wunden verursachen...

Schon Wochen vorher begann es: Das Protestcamp konnte nur unter Schwierigkeiten organisiert werden, die Volxküche zur Versorgung der Campbewohner wurde nicht über die Grenze gelassen. Die Brücke, um mit dem deutschen Ostermarsch zusammen zu treffen, blieb gesperrt. Eine akzeptable Demonstrationsroute wurde versagt. Der öffentliche Nahverkehr wurde komplett eingestellt und Autobahnen gesperrt. Unzählige Leute kamen überhaupt nicht am Demonstrationsort an wegen der Sperrungen. An jeder Ecke wurde man gefilzt, überprüft und eingeschüchtert. Die gesamte Stadt befand sich im Ausnahmezustand.

Nicht ein paar Steineschmeißer haben die Demonstration zerlegt, sondern ein repressiver Staatsapparat, der demokratische Grundrechte faktisch außer Kraft gesetzt hat und Protest nicht zulassen wollte.

Frei nach dem Motto: Wer nicht jubeln will, wenn kriegführende Großmächte sich feiern, soll am besten gar nicht zu hören und zu sehen sein!

Die Presse trägt ihren Part schön dazu bei. Warum überrennen sich die Fotografen gegenseitig fast, wenn ein Stein aufgenommen wird? Warum sind sie alle weg, wenn von der Polizei auf den 70jährigen Antikriegsaktivisten und die junge Frau im Rollstuhl unvermittelt Schockgranaten geschossen werden?

"Today and tomorrow: no democracy" - so hat es einer der Beamten am Freitag ausgedrückt.

Wenn Grundrechte für zwei Tage einfach außer Kraft gesetzt werden können, wie weit her ist es da mit Demokratie?

Bombenwetter in Strasbourg

Kaum in Strasbourg eingetrudelt, sind schon erste Bilder im Kasten. Ich werde mich bemühen, in den nächsten Tagen immer mal wieder ein paar aktuelle Aktionsfotos hier einzustellen. Das Wetter ist auf jeden Fall Demokompatibel ;-)

Nachtrag 21:45:

Seit wir heute morgen hier eingetroffen sind, wurde die Polizei und Militärpräsenz in Strasbourg massiv ausgebaut. Vor den Nobelhotels der "Petit France" an denen die "Gäste" bzw. ihre Helfer untergebracht sind, patroulliert Polizei, zum Teil mit Maschinenpistolen im Anschlag. Nescafe / Louis Vitton / Cartier und weitere Läden werden momentan verbarikadiert. Zahlreiche "PACE" Fahnen hängen in "Petit France" und Umgebung, in Gesprächen mit einigen älteren Bewohnern zeigten diese deutlich ihre Ablehnung gegenüber dem NATO Gipfel. Auch sonst sind Aktionen von Bewohnern nicht selten, zerstörte Werbeplakate für die NATO Veranstaltung, Wut über umfassende Fahr- und Parkverbote usw. sind öfters zu beobachten. Anscheinend freuen sich doch nicht alle BewohnerInnen auf Obama & Co.



Zur Bilderserie Strasbourg 02.04.2009




Zur Medienpropaganda und dem, was TeilnehmerInnen bei den Protesten tatsächlich erlebten, hier eine Mail mit Eindrücken aus London, 01.04.2009:

Ich habe heute heftigste Polizeiaggression erlebt, und lese jetzt in diversen Medien eine völlige falsche Berichterstattung.

Wir sind heute in vier vollkommen friedlichen Zügen ins Stadt-/Bankenzentrum gezogen um eine gerechte Weltordnung zu verlangen. Kaum waren wir am Platz vor der Bank of England wurden wir, etwa 4000-5000 friedliche Demonstranten, von der Polizei eingekesselt. Für mehrere Stunden konnte keiner den Platz verlassen. Die offensichtliche Strategie der Polizei, war es Aggression zu provozieren, indem man die Demonstranten hindert sich vom Schauplatz der Demonstration zu entfernen. Das galt für Kinder, ältere Leute, selbst die Presse und zunehmend verängstigte Demonstration. Von dieser Freiheitsberaubung lese ich nirgends ein Wort.
Bei Gesprächen mit den Polizisten bekam ich zumeist gesagt, es wäre meine eigene Schuld fest zu sitzen, denn es war ja klar "there would be trouble". Sie erteilten also eine nur angemessene Kollektivbestrafung.

Jetzt wird der Protest als gewalttätig dargestellt, aber nie habe ich deutlicher erlebt wie die Gewalt induziert wurde. Die Stimmung wurde künstlich hochgekocht: Leute wurden ohne Toiletten oder Zugang zu anderen Notwendigkeiten eingesperrt, von der Teilnahme an weiteren Veranstaltungen, wie zB der Friedensdemo am Trafalgar Square (von der sowieso kaum ein Wort berichtet wird) gehindert und ihr Recht auf Freizügigkeit gebrochen. Ich bin sehr erstaunt, wie wenig Gewalt trotz dieser aggressiven Strategie entstand - aber was kann man einer vermummten Armada in Kampfmontur auch entgegen setzen!

Nach diesen hoffnungslosen Erlebnissen, die bbc oder die deutsche Berichterstattung zu lesen, räumt meinen letzten naiven Glauben an europäische Demokratien aus.
cronjob