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6000 auf Demonstration für Versammlungsfreiheit in Stuttgart

Weit über 6000 Menschen sind nach Veranstalterangaben gestern in Stuttgart gegen die Pläne zur Verschärfung des Versammlungsgesetzes in Baden - Württemberg auf die Straße gegangen. Aufgerufen zur Demonstration hatte ein breites Bündnis von weit über einhundert Organisationen und Einzelpersonen.

Schon im Vorfeld der Demonstration wurde es den Organisatoren durch das Stuttgarter Ordnungsamt nicht einfach gemacht. Mit dem "gewichtigen" Argument des Weihnachtsmarktes, der die halbe Stuttgarter Innenstadt für sich in Anpruch nimmt, wurde dem Bündnis der Weg durch und an zentrale Punkte der Innenstadt, wie dem Innenministerium oder zum Denkmal für die Opfer von Faschismus und Krieg verwehrt. Das Bündnis musste sich notgedrungen mit einer Demonstrationsroute begnügen, die die Öffentlichkeit nur am Rande auf sich aufmerksam macht.

Trotz dieser Umstände und auch dem schlechten Wetter zum Trotz übertraf die Zahl der Teilnehmer die Erwartungen der Organisatoren bei weitem: Ausgegangen war das Bündnis von ca. 3000 Teilnehmern.



Größte eigenständige Gruppe war mit ungefähr 800 Teilnehmern der antikapitalistische Block. Unter dem Motto: "Eure Ordnung ist auf Sand gebaut... Gegen Repression und Überwachungsstaat, für Solidarität und Klassenkampf" hatten unter anderem antifaschistische und antikapitalistische Gruppen aus Süddeutschland nach Stuttgart mobilisiert.

Die bürgerliche Presse läßt weder in ihrer bisherigen Berichterstattung noch in ihrem Interesse an den einzelnen Standpunkten des Bündisses - zu einer im Vorfeld anberaumten Pressekonferenz kam lediglich 1 (!) Pressevertreter - vermuten, daß es sich bei den geplanten Verschärfungen des Versammlungsgesetzes um einen umfassenden Angriff auf ein Grundrecht handelt.

Sie lenkt mit ihren Meldungen - wie auch die Polizeiberichterstattung - davon ab, daß die Demonstration und insbesondere der antikapitalistische Block durchgehend durch ein massives Polizeiaufgebot begleitet wurde. Sollen so diejenigen, die sich um ein Grundrecht sorgen, zu den Verursachern der Verschärfungen erklärt werden? Getreu etwa dem Motto: "Der Dieb ruft: Haltet den Dieb?"

Michael Csaszkóczy vom Bundesvorstand der Roten Hilfe und Redner auf der Abschlußkundgebung, stellte in seiner Rede fest, daß die Demonstration sich im "wahrsten Sinne des Wortes bis hierher zur Abschlusskundgebung durchkämpfen" mußte, womit er den Kern traf: Von Anfang sahen sich vor allem jüngere Demonstrationsteilnehmer mit Vorkontrollen, Durchsuchungen und ähnlichem konfrontiert. Diese Erfahrungen machten eine Woche zuvor auch die Teilnehmer an einer Demonstration gegen das Versammlungsgesetz in Mannheim. Dort, so Michael Csaszkóczy in seiner Rede, bekam die Öffentlichkeit durch das Polizeiverhalten vor allem folgendes von der Demonstration zu sehen: "ein vierfaches Spalier von vielfach gepanzerten Robocops; ein voraus- und hinterherfahrender Fuhrpark an Polizeifahrzeugen, der die gesamte Innenstadt lahmlegte; uniformierte Pferdestafffeln; Kameras, die alle fünf bis zehn Meter auf die Insassen eines wandernden Polizeikessels gerichtet waren. Dass es sich bei den Menschen im Innern des Kessels irgendwie um Demonstranten handeln musste, konnte ein Außenstehender nur erahnen."

Auch in Stuttgart kam es bereits vor Demonstrationsbeginn zu Verzögerungen:

Die Polizeieinsatzleitung forderte bereits bei der Aufstellung des Blocks einen "deutlichen" Abstand zwischen den Seitentransparenten von bis zu 5 Metern. Eigens aus Frankfurt angereiste Aktivisten, die mit einem zu einem symbolischen Wasserwerfer umgebauten Wagen an der Demonstration teilnehmen wollten, wurde dies von der Orndungsamt untersagt. "Was hat der Wagen mit dem Thema des Umzugs zu tun?" war die lapidare Entgegnung des Vertreters des Ordnungsamtes auf die Forderung der Demonstrationsleitung, den Wagen als Bestandteil der Demonstration mitfahren zu lassen. Sorge um die Demonstrationsteilnehmer, die "unter die Räder geraten" könnten, werden ihn nicht wirklich getrieben haben, besteht doch jeder Faschingsumzug in der Landeshauptstadt aus mehreren Dutzend Wägen...

Die Nerven der Teilnehmer des Blocks wurden auch nach dem Start der Demonstration belastet. So kam es mehrfach zu Angriffen auf den antikapitalistischen Block durch die Polizei, die, wie ein Sprecher kommentierte, deutlich gezeigt hat "das ihr Demonstrationen ein Dorn im Auge sind. Eine legale und angemeldete Demonstration an der sich Tausende beteiligten, wurde einmal mehr durch teilweise vermummte und äußerst aggressiv auftretende Hundertschaften der Polizei eingeschränkt. Der Versuch einer Einschüchterung wird aber nicht glücken, die Demonstration war erst der Auftakt um die Verschärfung des Versammlungsgesetzes zu verhindern."

Eines hat der repressive Kurs der Einsatzleitung mit Sicherheit erreicht: Zahlreiche Demonstrationsteilnehmer konnten Erfahrungen mit dem bereits heute nicht fortschrittlichen Versammlungs"recht" machen. Dies unterstrich der Redebeitrag, den Ilkem Sakar als Vertreterin migrantischer Organisationen in deren Namen hielt: "Obwohl in Deutschland mehr als 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben" bezieht sich bekanntlich das geltende Versammlungsgesetz nur auf deutsche Bürger. Wenn sich Migranten politisch engagieren, haben sie eher und öfter mit Repressionen und schweren Sanktionen als Deutsche zu rechnen.

Leni Breymaier, ver.di Landesbezirksvorsitzende, ging in ihrer Rede auf die Gefahr der Sanktionierung gewerkschaftlicher Arbeit durch das neue Versammlungsgesetz ein. Die ursprünglich für Anfang 2009 geplante Gültigkeit des Gesetzes wird noch auf sich warten lassen, was ihrer Ansicht nach auch mit dem entstandenen Protest zu tun hat.

Die Frage, welche Rechte antifaschistische und demokratische Menschen und ihre Organsiationen brauchen, wie der Protest gegen das Versammlungsgesetz weitergeführt werden und sich mit Protesten in anderen Bundesländern wie in Bayern und Niedersachsen vernetzen kann, sind einige der Themen, die bei dem nächsten Plenum des Bündnisses, das am 16.12.2008 um 19 Uhr im DGB Haus Stuttgart stattfindet beraten werden sollen. Dazu sind Interessierte herzlich eingeladen.
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