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Schrecklich: Die Amateure kommen...

... Bürgerjournalismus ist unter Medienprofis umstritten und legt zugleich Mängel des Medienbetriebes offen. Artikel auf heise.de

Zur Pressemitteilung der Initiative Qualität im Journalismus

Nur die Ängste eines Berufsstandes, der um seine Pfründe fürchtet? Oder berechtigte Kritik an der Sensationsmache am Beispiel des "Bild - Leserreporters?"

Die Studie "Journalismus in Deutschland" unter Leitung des Hamburger Kommunikationswissenschaftlers Siegfried Weischenberg wies jüngst nach, dass sich fast 90 Prozent der professionellen Medienmacher nur noch als neutrale "Informationsdienstleister" sehen. Kaum ein Viertel der rund 1.500 Befragten betrachten sich weiterhin als Kontrolleure gesellschaftlicher (Fehl-)Entwicklungen. Noch weniger haben einen politischen Anspruch.

Quelle

Zum Glück gibt es also immerhin noch 10 Prozent Journalisten, die engagiert berichten und dabei auch Partei ergreifen. Die Mär von einer angeblichen "Neutralität" der Berichterstattung glaubt meist nur noch der, der noch nie im Focus derselben stand oder der nicht an die Möglichkeiten einer Meinungsmanipulation durch die Massenmedien glaubt. Die Erfahrungen mit dem "eingebetteten Journalismus" zum Beispiel im Zusammenhang mit den Kriegen im Irak, Libanon usw. sprechen allerdings eine andere Sprache...

Einen plausiblen politisch - ökonomischen Hintergrund für diese Entwicklungen liefert das Buch "Die soziale Struktur der Globalisierung. Ökologie, Ökonomie, Gesellschaft" von Bernd Hamm, Professor für Soziologie an der Universität Trier. Eine Besprechung dieses Buches gab es in der “Jungen Welt” vom 9. März 2006. (Nur im Onlineabo) Darin werden die zugrundeliegenden Konzentrationsbestrebungen ebenso wie die Manipulation der "öffentlichen Meinung" durch PR Agenturen und Massenmedien untersucht.

Ein Problem besteht zusätzlich in der Frage, ob die 60 % der Journalisten die laut der Studie "Kritik üben an Missständen" wollen - bei allem subjektivem Anspruch - dies auch tatsächlich tun _können_. Das wird jeder persönlich entscheiden müssen, sofern es ihm möglich ist. "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing..."

Das hängt damit zusammen, dass die Medienlandschaft eben nur nicht das Ergebnis der Arbeit von Medienschaffenden ist, sondern geprägt ist von Lobbyismus und weiteren Interessenskonflikten:

"Nun rühmen sich die USA, die freiesten Medien der Welt zu haben -“ und in der Tat erinnert man sich anerkennend der wichtigen Rolle, die z.B. die Washington Post bei der Aufdeckung des Watergate-Skandals gespielt hat. Aber gegenwärtig ist man eher erstaunt, weshalb angesichts der zahlreichen und schwerwiegenden Verfehlungen der Bush-Regierung nicht eine größere kritische Öffentlichkeit protestiert und für ein Amtsenthebungsverfahren zu gewinnen ist. Die Wahlfälschung vom November 2000 wurde monatelang in den wichtigen Medien verschwiegen, den zahlreichen unbeantworteten Fragen rund um die Anschläge des 11. September 2001 wird nicht nachgegangen; das Downing-Street-Memorandum, von der Londoner Times Anfang Mai 2005 veröffentlicht, wird heruntergespielt; in diesem Geheimpapier, verfaßt im Sommer 2002, legte die Regierung Blair die Strategie fest, mit der der bereits beschlossene Irak-Krieg vor der eigenen Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit legitimiert werden sollte. Übrigens scheinen sich auch deutsche Medien, allen voran Der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung, auffallend wenig für die oben angeführten Vorfälle in den USA zu interessieren und sich für eine Bush-freundliche Haltung entschieden zu haben."

(jw, 9.3.2006)

Praktisch erfahren die Menschen das durch eine auffällige Einseitigkeit in der Medienberichterstattung, die eineseits eine gewisse Übereinstimmung mit den politischen Interessenssphären der USA aufweist, wenn zum Beispiel über ganze Kontinente / Länder wie Afrika, Süd- Lateinamerika, den pazifischen Raum, aber auch nationale, regionale oder lokale Ereignisse monatelang kaum, oder aber "gefärbt" berichtet wird. Gerade das ist ja auch eine Triebfeder für den im Heise Bericht angeführten "Bürgerjournalismus", Blogs usw.

Das unterstreicht auch die anfangs zitierte Studie:
"Journalisten sollen und wollen vor allem informieren und orientieren. Dabei versperren offenbar die eigenen Kollegen und die anderen Medien mit ihrer Eigenlogik den Blick auf die Welt. Die nervöse Berliner Luft und das rote Licht der Fernsehkameras haben eine journalistische Pseudoelite hervorgebracht, die durch Stimmungsmache aus der Rolle fällt und dazu beiträgt, dass die politische Kommunikation zum Gemischtwarenladen von Opportunisten verkommt. Sie sollte ihre Selbstdarstellung, deren Nachbereitung jetzt zum Nahkampf von Dünnhäutern eskaliert, durch berufliche Selbstreflexion kontrollieren. Die große Mehrheit der Journalistinnen und Journalisten hat diesen aktuellen Leidensdruck zum Glück nicht."

Daß Journalisten auch heutezutage in der Lage sind, dem entgegenzuwirken belegt eine am Montag den 9.10. in Berlin stattfindende Diskussion:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern, aber auch in Berlin bestätigten
unsere Befürchtungen: In Mecklenburg-Vorpommern schaffte die NPD locker
den Sprung in den Schweriner Landtag, in Berlin ist die Partei künftig
in den Bezirksparlamenten von Neukölln, Tretow-Köpenick,
Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg vertreten.

Besonders für Lokaljournalisten ergibt sich dadurch eine neue Situation:
Wie können sie berichten, ohne der Partei eine Plattform für ihre
Parolen zu bieten?

Über den „Journalistischen Umgang mit Rechtsextremismus“ wollen wir

am Montag, den 9. Oktober

ab 20 Uhr
im Restaurant Cum Laude, Universitätsstraße 4, Berlin-Mitte

diskutieren. Wir freuen uns, dass Toralf Staud (Freier Journalist u.a.
Die Zeit und Autor des Buches „Moderne Nazis. Die neuen Rechten und der
Aufstieg der NPD“) zugesagt hat.

Sabine Heins, Präsidiumsmitglied des ver.di-Landesbezirksvorstandes wird
die ver.di-Arbeitsgruppe gegen Rechtsextremismus (AGREXIVE) und ihre
Arbeit vorstellen.

Bitte mailt diese Einladung auch an interessierte Kolleginnen und
Kollegen weiter.
Jeder kann sich selbst in die Einladungsliste auf unserer
Internetseite unter der Rubrik Intern ein- und austragen.

Herzliche Grüße
Silke Leuckfeld


Eine interessante Untersuchung der Frage Exemplarische Wandlungen von NS-Journalisten

Zum Thema noch ein weiterer Buchtip, der sich mit dem Thema - Rolle der Massenmedien in der Meinungsbildung - kritisch auseinandersetzt:

Christoph Butterwegge/Gudrun Hentges (Hgg.): Massenmedien, Migration
und Integration.
VS - Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006,
260 Seiten, ISBN-Nr. 3-531-15047-2, 19,90 Euro


Die aktuelle Diskussion über Migration und über das Verhältnis des
Westens zum Islam wird infolge des Karikaturenstreits verschärft
geführt. Die Massenmedien spielen darin eine Schlüsselrolle. Sie
filtern für die Meinungsbildung wichtige Informationen und
beeinflussen so das Bewußtsein der Menschen. Einen Beitrag zur Analyse
dieser Zusammenhänge leistet der dieser Tage erscheinende, von
Christoph Butterwegge und Gudrun Hentges herausgegebene, Sammelband
»Massenmedien, Migration und Integration«. Im folgenden drucken wir
eine gekürzte und aktualisierte Version eines von Butterwegge
verfaßten Artikels. Der Autor leitet die Abteilung für
Politikwissenschaft und ist Mitglied der Forschungsstelle für
interkulturelle Studien (FiSt) an der Universität Köln.

Migration, (unzureichende) Integration und multikulturelles
Zusammenleben sind ein heftig diskutiertes Thema, das besonders in den
Massenmedien hohe Wellen schlägt, die Auflagenhöhen von Zeitungen und
die Einschaltquoten von Rundfunksendern steigert. Es ist nicht
übertrieben, wenn man feststellt, daß die Medien in der aktuellen
Zuwanderungsdiskussion eine Schlüsselrolle spielen. Sie filtern für
die Meinungsbildung wichtige Informationen und beeinflussen so das
Bewußtsein der Menschen, denen sich die gesellschaftliche Realität
zunehmend über die Rezeption von Massenmedien erschließt.

Am 30. September 2005 veröffentlichte die dänische Tageszeitung
Jyllands-Posten zwölf Mohammed-Karikaturen, die von mehreren anderen
westlichen Blättern nachgedruckt wurden, nachdem sie unter Muslimen in
aller Welt zum Teil gewaltsame Proteste und Massendemonstrationen
ausgelöst hatten. Dabei ging es nicht nur um die Grenzen der
Pressefreiheit und die Schutzwürdigkeit religiöser Gefühle, sondern
auch um die Möglichkeiten eines friedlichen Zusammenlebens von
Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, ethnischer Herkunft und Religion.
Mit dem Aufmacher »Jetzt droht Kampf der Kulturen« bedachte die
Rheinische Post am 4. Februar 2006 den Karikaturenstreit. Während der
Kölner Stadt-Anzeiger am 20. Februar 2006 im Aufmacher »Warnung vor
einem Kampf der Kulturen« die Gemüter im fortdauernden »Streit
zwischen westlicher und islamischer Welt« zu beschwichtigen suchte,
erklärte sein Chefredakteur Franz Sommerfeld im Titel des Leitartikels
auf Seite vier derselben Ausgabe: »Das ist der Krieg der Kulturen«.
Dieses weitverbreitete Deutungsmuster ökonomischer, politischer und
sozialer Konflikte lenkt von deren eigentlicher Ursache ab und trägt
zur Ethnisierung von innergesellschaftlichen wie zwischenstaatlichen
Beziehungen bei.

Formiertes Massenbewußtsein

Wenn ethnische Differenzierung als Voraussetzung der Diskriminierung
und dominanter Mechanismus einer sozialen Schließung gegenüber
Migrant(inn)en charakterisiert werden kann, treiben die Medien den
Ausgrenzungsprozeß voran, indem sie als Motoren und Multiplikatoren
der Ethnisierung wirken. »Ethnisierung« ist ein sozialer
Exklusionsmechanismus, der Minderheiten schafft, diese (fast immer
negativ) etikettiert und Privilegien einer dominanten Mehrheit
perpetuiert. Je mehr die Konkurrenz im Zuge der Globalisierung,
genauer: der neoliberalen Modernisierung bzw. der Umstrukturierung fast
aller Gesellschaftsbereiche nach dem Vorbild des Marktes, etwa durch
die von den Massenmedien stimulierte »Standortdebatte« ins Zentrum
zwischenstaatlicher wie -menschlicher Beziehungen rückt, desto
leichter läßt sich die ethnische bzw. Kulturdifferenz politisch
aufladen.

Medien fungieren dabei als Bindeglieder zwischen institutionellem
(strukturellem, staatlichem), intellektuellem
(pseudowissenschaftlichem) und individuellem bzw. Alltagsrassismus.
Sondergesetze für und behördliche Willkürmaßnahmen gegen
Migrant(inn)en, die man »institutionellen Rassismus« nennen kann,
kennen deutsche »Normalbürger/innen« hauptsächlich aus den
Massenmedien. Sie bestätigen meist eigene Klischeevorstellungen über
Ausländer/innen. Umgekehrt benutzt der Staat durch Medien verbreitete
Ressentiments gegenüber »den Ausländern«, um diese strukturell
benachteiligen zu können. Im Rahmen der von 1991 bis 1993 dauernden
Asyldebatte rechtfertigten Politiker die Änderung des Artikels 16
Grundgesetz mit der »Volksmeinung«. Schließlich erhalten
Rechtsextremismus und Rassismus durch die Medien ein öffentliches
Forum, was ihre hohe Massenwirksamkeit mit erklärt.

Migrant(inn)en und Allochthone werden in deutschen Medien vorwiegend
als »Ausländer/innen« bezeichnet. Schon in diesem Sprachgebrauch
manifestiert sich der Trend zur Aus- bzw. Abgrenzung von Menschen, die
den Einheimischen »fremd« erscheinen. Dadurch, wie Journalist(inn)en
über Ausländer/innen, Flüchtlinge und Zuwanderer berichten,
zementieren sie eine im Bewußtsein der Bundesbürger/innen
ausgebildete Hierarchie, wonach bestimmte Gruppen von Ausländer(inne)n
als »Fremde« betrachtet werden, andere - etwa prominente
Sportler/innen und Künstler/innen - hingegen hochwillkommene Gäste
sind. Besonders stark ausgeprägt ist dieser Dualismus in der Lokal-
und der Boulevardpresse: Beide bringen das »Ausländerproblem« oft
mit »Überfremdung« sowie mangelnder innerer Sicherheit in
Verbindung.

Produktion von Klischees

Aus den Zeitungen und anderen Medien ist selten Positives über
Ausländer/innen zu erfahren. Mord und Totschlag, (Banden-)Raub und
(Asyl-) Betrug sind Delikte, über die im Zusammenhang mit ethnischen
Minderheiten häufig berichtet wird. Ein angelsächsisches Bonmot
(»Only bad news are good news«) abwandelnd, kann man konstatieren:
Nur böse Ausländer sind für deutsche Medien gute Ausländer! Dadurch
wird einerseits die Ausbreitung des Rassismus in der
Mehrheitsgesellschaft, andererseits die Zunahme desintegrativer
Tendenzen bei ethnischen Minderheiten gefördert.

Seit der emotional aufgeladenen Asyldiskussion zu Beginn der 1990er
Jahre wird die Kriminalitätsfurcht der Mehrheitsgesellschaft auf die
ethnischen Minderheiten projiziert. Deutsche werden überwiegend als
»Einzeltäter« dargestellt, wohingegen Migrant(inn)en eher im
Kollektiv auftauchen, auch wenn nicht immer explizit von
»ausländischen Banden« die Rede ist. Ein gutes Beispiel dafür
lieferte die rheinische Boulevardzeitung Express am 21. Oktober 1999:
Ihr Aufmacher auf Seite eins lautete: »Balkan-Bande hops genommen.
Danke, Polizei! - Hunderte Einbrüche in und um Köln aufgeklärt«,
während ein »Burgenkönig vor Gericht: Wie oft hat er betrogen?«
überschriebener Artikel vergleichsweise klein war und erst auf Seite
28 stand, obwohl es dabei um einen Schaden in Millionenhöhe ging.
Über mehrere Jahre hinweg waren junge Taschendiebe aus Südosteuropa
ein Topthema der Boulevardpresse, die das Ausländerbild der Deutschen
maßgeblich prägt. Am 9. November 1999 machte der Kölner Express
beispielsweise mit der Schlagzeile »Passen Sie auf! Klau-Kinder in der
Stadt« auf, am 22. August 2002 veröffentlichte er unter der
Überschrift »Die Klau-Kids von Köln. Sie haben Hunderte von Menschen
überfallen und beklaut. Und sie laufen frei herum« nach Art eines
Fahndungsaufrufs die Bilder von 53 überwiegend dunkelhäutig
aussehenden Jugendlichen.

Problematisch ist schon die Nennung der nichtdeutschen Herkunft von
Tatverdächtigen und Straftätern in Berichten über Verbrechen, weil
dadurch der Eindruck vermittelt bzw. bestärkt wird, die Amoralität
eines Gesetzesbrechers hänge mit dessen Abstammung oder ethnischer
Herkunft zusammen. Neuerdings findet man häufiger den mysteriös
wirkenden Hinweis, ein (Gewalt-)Täter habe Deutsch gesprochen oder sei
Deutscher, ganz so, als sei dies ein besonderes Erkennungsmerkmal, weil
im Bereich der Kriminalität hierzulande eher selten. Am 5. Dezember
2005 erwähnte der Kölner Stadt-Anzeiger unter der Überschrift
»Neugeborenes im Müll. Mutter läßt kleinen Jungen auf der
Café-Toilette zurück« die erfolgreiche Suche nach einer jungen Frau,
deren Baby dort kurz nach seiner Entdeckung starb, mit dem Satz: »Die
Polizei nimmt eine 21jährige Deutsche (!?) in ihrer Wohnung fest.«

Identifizierende Hinweise auf Nationalität, Sprache und/oder Hautfarbe
sind höchstens dann zu rechtfertigen, wenn die aktuelle Fahndung sie
erfordert. Selbst eine Qualitätszeitung wie die Süddeutsche
verzichtet jedoch im Bericht über einen Münchner, der seine
zweijährige Tochter nach der von seiner Ehefrau betriebenen Trennung
auf brutale Weise umbringen wollte, nicht auf die Erwähnung der für
den Fall irrelevanten Tatsache, daß er aus Nigeria stammt und immerhin
vor knapp zehn Jahren nach Deutschland gekommen ist (vgl. Kind »wie
einen Ball« aus Fenster geschleudert, in: SZ v. 13.12.2005). Sie
verwendet auch noch immer den Begriff »Rasse« für Menschen, ohne ihn
in Anführungszeichen zu setzen oder kritisch zu hinterfragen (vgl.
»Rassismus aus Tradition. Die Unruhen in Sydney haben den Mythos eines
multikulturellen Australiens zerstört«, in: SZ v. 15.12.2005).

Allerdings bedarf es keiner Schlagzeile wie »Tod im Gemüseladen:
Türke erschoß Libanesen« (Weser-Kurier v. 22.5.1999, S. 1), um
rassistische Klischees in den Köpfen zu produzieren oder entsprechende
Einstellungsmuster zu stimulieren. Schon eine nüchterne und scheinbar
»objektive« Polizeistatistik zur Ausländerkriminalität, enthält -
sofern sie weder kommentiert noch richtig interpretiert wird - die
heimliche Botschaft, Menschen anderer Nationalität bzw. Herkunft seien
aufgrund ihrer biologischen und/oder kulturellen Disposition für
Straftaten anfälliger. In Wahrheit sind Ausländer/innen jedoch nicht
krimineller als Deutsche, und es gibt kaum ein rechtes »Argument«,
das durch kritische Reflexion und fundierte Analysen überzeugender zu
widerlegen wäre.

»Kampf der Kulturen«

Im Gefolge der Attentate auf das Word Trade Center und das Pentagon
feierte die Deutung der Weltpolitik als »Kampf der Kulturen« (Samuel
P. Huntington) bzw. »Krieg der Zivilisationen« (Bassam Tibi)
fröhliche Urständ. Der damalige Zeit-Mitherausgeber und
-Chefredakteur Josef Joffe schrieb für die am 13. September 2001
erscheinende Ausgabe, welche für das Blatt ungewohnt reißerisch und
mit roten Lettern »Krieg gegen die USA« verkündete, einen
Leitartikel unter dem Titel »Die Zielscheibe: unsere Zivilisation.
Terror total und global«. Dort hieß es: »In dieser Woche scheint der
Harvard-Politologe Samuel Huntington mit seinem viel gescholtenen
>Kampf der Kulturen< (1995) auf schrecklichste Weise recht zu bekommen.«

Obwohl Huntington die kulturellen bzw. religiösen Gegensätze zwischen
Abend- und Morgenland im Vergleich zu ökonomischen, politischen und
sozialen Faktoren überbewertet, die Unterschiede im Vergleich zu den
ideologischen Schnittmengen bzw. Gemeinsamkeiten jedoch signifikant
überzeichnet hatte, veröffentlichte die Zeit im Vorfeld des ersten Jahrestages
der Terroranschläge am 5. September 2002 ein Interview mit Huntington
unter dem Titel »Die blutigen Grenzen des Islam« und bescheinigte dem
prominenten Wissenschaftler: »Nine-eleven war (...) die perfekte Illustration
Ihrer These. Es war nicht ein Krieg zwischen Staaten wie im 19. Jahrhundert
oder Ideologien wie im 20., sondern der Angriff einer privat operierenden
islamistischen Gruppe gegen ein Sinnbild der westlichen Zivilisation, Amerika.«

Osama bin Laden und Al Qaida wurden zu Chiffren, welche die Feindschaft
gegenüber der westlichen Zivilisation symbolisieren. Terrorismus,
Fundamentalismus und Islamismus avancierten in vielen Medien zu einer
gleichermaßen omnipräsenten wie -potenten Gefahr, der man gemeinsam
mit US-Präsident George W. Bush in kriegerischer Manier entgegentrat,
wobei sich der Einwanderungs- und der Kriminalitätsdiskurs wieder
verschränkten. Teilweise gab es sogar einen Rückfall in Zerrbilder,
die während der Asyldiskussion in den frühen 90er Jahren dominiert
hatten. Die alten Klischees beherrschten Titelseiten großer deutscher
Nachrichtenmagazine wie auch Dokumentationen vieler Fernsehsender. Hier
seien nur das Stern-Titelbild vom 27. September 2001, wo ein
dunkelhäutiger Mann mit Vollbart und Sonnenbrille zu sehen ist, in
deren Gläsern sich unter der Überschrift »Terror-Gefahr in
Deutschland. Geheimdienste warnen vor Anschlägen radikaler Muslime«
die brennenden Türme des World Trade Center spiegeln, sowie das
Titelbild eines Spiegel special (2/2003) zum Thema »Allahs blutiges
Land. Der Islam und der Nahe Osten« genannt, wo von verschleierten
Musliminnen über einen bärtigen Fanatiker mit bluttriefendem
Krummdolch bis zum flammenden Inferno über Juden alle Stereotype
bedient werden.

Daß sich diese Form der Stimmungsmache auf die Migrationspolitik und
Integrationsbemühungen negativ auswirkte, ist offensichtlich. Nunmehr
werden Migrant(inn)en eher noch stärker als vorher mit
(Gewalt-)Kriminalität, Emotionalität und Irrationalität, wenn nicht
gar religiösem Fundamentalismus und politisch-ideologischem Fanatismus
in Verbindung gebracht. Noch lange nach den Attentaten dominierten in
deutschen Massenmedien die Bilder der brennenden Zwillingstürme,
militärische Metaphern und eine martialische Sprache. So schrieb der
konservative Historiker Michael Stürmer in der Welt (v. 27.10.2003)
unter dem Titel »Krieg der Welten« über globale Angriffsplanungen
der Terroristen: »Was in New York und Washington geschah, ist nicht
das Ende des großen Terrors, sondern nur der Anfang.« Da wundert es
nicht, wenn selbst die Wochenzeitung des Bundestages Das Parlament (v.
8./15.8.2005) einen Artikel des Berliner Islamwissenschaftlers Peter
Heine mit der reißerischen Überschrift »Terror - eine moderne
Seuche« versah, wodurch das Phänomen entpolitisiert, biologisiert
bzw. pathologisiert wird, und im Untertitel generalisierend behauptete:
»Islamisten wollen eine globale Scharia durchsetzen - mit allen
Mitteln«, umrahmt von einem Foto, das die Familie eines
Selbstmordattentäters beim Ansehen seines Abschiedsvideos zeigt.

Schleier und Kopftuch avancierten zu Symbolen für den Islamismus und
seine Unterdrückung der Frau. Im sogenannten Kopftuchstreit
kulminierten die weitgehend ungeklärten Fragen nach der Haltung zum
Islam wie zur Religion allgemein und nach der Einstellung zur Migration
wie zum weiblichen Geschlecht. Um nicht in den Verdacht religiöser
Intoleranz oder migrationspolitischer Ignoranz zu geraten, bedienten
sich Medienmacher im Kampf gegen das Kopftuch teilweise der
Zwischenrufe von Muslimen. So veröffentlichte die Zeit am 1. Oktober
2003 unter dem Titel »Weg mit dem Tuch!« eine beißende Kritik von
Namo Aziz am kurz zuvor ergangenen Urteil des
Bundesverfassungsgerichts, wonach das Land Baden-Württemberg die
klagende Lehrerin Fereshda Ludin nicht ohne gesetzliche Grundlage aus
dem Schuldienst entlassen durfte. In seinem polemischen Kommentar warf
der in Bonn lebende Publizist den Karlsruher Richtern vor, mit ihrer
Kopftuchentscheidung erneut Ahnungslosigkeit oder gar Gleichgültigkeit
gegenüber unterdrückten Frauen in islamischen Ländern bewiesen zu
haben: »Wer das Kopftuch in deutschen Schulen und Universitäten
toleriert, der sollte auch die Einführung der von der Scharia
vorgesehenen Strafen wie Auspeitschung, Amputation und Steinigungen in
Betracht ziehen.«

In der kampagnenartigen Berichterstattung über
»Zwangsverheiratungen« von Mädchen und Frauen sowie »Ehrenmorde«
blieben (kultur)rassistische Untertöne gleichfalls nicht aus. Nachdem
drei ihrer fünf Brüder die Kurdin Hatun Sürücü am 7. Februar 2005
in Berlin erschossen hatten, beschäftigte das Thema nicht nur die
lokalen Medien wochenlang. So berichtete die Süddeutsche Zeitung am
26. Februar 2005 unter dem Titel »In den Fängen einer türkischen
Familie. Muslimische Dorfmoral in der Berliner Moderne: Schon wieder
haben türkische Männer eine Frau mit dem Tod bestraft. Die Geschichte
eines brutalen Zusammenpralls der Kulturen« darüber. Gleichfalls in
der Bundeshauptstadt wurde am 4. Dezember 2005 ein schwangeres Mädchen
von seinem »15jährigen libanesisch-stämmigen Exfreund« und dessen
14jährigem türkischem Kumpel durch Fußtritte und Schläge schwer
verletzt, wie Jörg Lau in der Zeit (v. 15.12.2005) schrieb. Er wertete
solche Straftaten unter der Überschrift »Brutale Prinzen. Junge
Ausländer attackierten eine Schwangere, um ihr ungeborenes Kind zu
Tode zu treten - eine Folge männlicher Gewaltkultur« als Beweis
dafür, daß sich in manchen Stadtvierteln »abgeschottete
Parallelgesellschaften« herausgebildet hätten und eine schonungslose
Debatte über die Situation von Frauen und Mädchen, aber auch von
Jungen und Männern »in islamisch geprägten Migrantenmilieus« nötig
sei.

Christoph Butterwegge/Gudrun Hentges (Hgg.): Massenmedien, Migration
und Integration. VS - Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006,
260 Seiten, ISBN-Nr. 3-531-15047-2, 19,90 Euro

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