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Eine Polemik für das basisdemokratische Selbstbestimmungsrecht / Selbstverwaltungsrecht der Menschen in Katalonien, Spanien u. überall.

Demonstration von Referendums­befürwortern vor dem katalanischen Wirtschafts­ministerium am 20. September 2017

Foto: Màrius Montón

Lizenz: Creative-Commons / „Namensnennung -“ Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international“.

Warum sollte eine antikapitalistische, linksradikale Bewegung die katalanische Unabhängigkeitsbewegung und die Gründung eines neuen bürgerlichen, kapitalistischen Staates unterstützen ??

Oder warum mit einer undifferenzierten antinationalen Kritik an der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung die aktuelle repressive spanische Regierungspolitik u. der staatlich verordnete Nationalismus der Rajoy-Regierung auf eine Stufe gestellt wird ??

Wenn diese spanische postfranquistische Regierungspartei Alianza Popular-Partido Popular (bis heute Nichtaufarbeitung, Nichtdistanzierung u. Straffreiheit der Verbrechen des Franco-Faschismus) und deren staatliche Strukturen offensichtlich nicht demokratisierbar/ reformierbar sind und nicht bereit sind seit Ende der Franco-Diktatur errungene demokratische u. soziale Fortschritte zurückzugeben, zuzugestehen, dann ist es nur logisch u. politisch konsequent für einen vor solchen Angriffen u. Abbau demokratischer u. sozialer Grundrechte geschützteren regionalen Lebens-u. Gestaltungsraum zu streiten u. anzustreben.

Es gab einmal die Chance u. Hoffnung vieler Menschen in Katalonien, aber auch im Baskenland, Galizien u. anderen Regionen Spaniens diese Demokratisierung des spanischen Staates durch förderale Autonomie-Abkommen mit der zentralistischen Madrider Regierung zu ermöglichen.

Dieser Traum, diese Hoffnung hat sich mit Rajoys PP seit 2005, seit der Suspendierung des katalanischen Autonomiestatuts u. der aktuellen Repressionpolitik, der Inhaftierung katalanischer Regierungsmitglieder u. außerparlamentarischer basispolitischer Aktivisten ausgeträumt.
Die aktuelle repressive Realität ist schlimmer als die meisten es erwartet haben.
Madrid u. EU-Brüxell haben ihre "demokratische" Maske fallengelassen.

Zu dieser Erkenntnis sind offentsichtlich in Katalonien immer mehr Menschen gekommen.
Dokumentiert in dutzenden kriminalisierten, illegalisierten verbotenen Wahlen, Abstimmungen, Referenden, Demos, Organisierungen, Stadtteilversammlungen e.t.c.
Hunderte Bürgermeister von Städten u. Dörfern haben sich in einem Bündnis für die Unabhängigkeit u. Selbstverwaltung zusammengeschlossen.

Das ist ein unübersehbarer demokratischer Aufbruch einer wachsenden fast-Mehrheit in der Bevölkerung.
(siehe Abstimmungsergebnisse u. Demo-Mobilisierungen)

Dabei ist nicht die zentrale Frage bist du Spanier oder Katalane, sondern willst du mehr Demokratie, Selbstverwaltung, mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Freiheit u. Vielfalt.

Wenn ein wachsender Teil der Bevölkerung in Katalonien für mehr Demokratie u. Selbstbestimmung kämpfen u. versuchen sich von den autoritär-repressiven Regierungsstrukturen zu emanziperen u. andere, bessere zu entwickeln u. auszuprobieren, dann trifft das Argument die Unabhängigkeitbewegung würde die Menschen in katalanische Seperatisten u. spanische Nationalisten spalten nicht.
Die nationalistischen Spalter sind die die das von Oben aufgezwungene Konzept der Einheit der (spanischen) Nation als staatlich sanktioniertes Repressionkonzept Andersdenkenden aufzwingen.

Demokratische Aufbrüche, Rebellionen entzünden sich seit Jahrhunderten immer wieder am Abbau u. Unterdrückung demokratischer u. sozialer Grundrechte.
Karl Marx hat mal gesagt die Philosophen (Ideologen, Politologen, Analysten) haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an sie zu verändern.
Fortschrittliche soziale Veränderungen kamen immer von Unten, demokratische Aufbrüche, soziale Rebellionen passieren, explodieren, sind auf einmal da wo kein politischer Analyst sie vorhergesagt hat. Sie lassen sich nicht in irgendwelche noch so gutgemeinten Theorien, Strategien, Ideologien pressen, organisieren, das ist oft genug in autotitären Konzepten geendet u. gescheitert.

Und so analysieren auch die heutigen Philosophen u. Analysten dem realen Leben, der von Menschen von Unten gemachten Geschichte wiedermal hinterher.

Zum Entsetzen u. zur Enttäuschung vieler linker politischer Analysten sind Menschen die sich in Katalonien, Spanien, Griechenland, e.t.c. u. auch hier in Berlin u. Doitschland gegen Zwangsräumungen, Kündigungen, Mieterhöhungen, Verdrängung, Sozialabbau, Militarisierung, Umweltzerstörung e.t.c wehren leider in der Mehrheit immer noch keine bekennenden u. anerkannten Anti-Kapitalisten, Kommunisten, Sozialisten, Anarchisten, sondern Menschen die sich aus ihrer existenziellen Not u. einem daraus resultierenden Gerechtigkeitsbewußtsein wehren u. für ein besseres Leben kämpfen.

Sollten wir, die sich als linksradikale Antikapitalisten verstehen, all den Widerstand leistenden Menschen die sich (noch) nicht als linksradikale Antikapitalisten definieren unsere praktische Solidarität aus ideologisch-theoretischer politischer, anti-nationaler Correctnis verweigern ??

Den Geflüchteten, den 150 Journalisten u. tausenden Gefangenen in der Türkei, Anti-Apartheits-Antirassistischen Bewegungen, Schwulen-Lesben-Transgender, e.t.c. sind nicht alle diese "Teilbereichskämpfe" für ein selbstbestimmtes Leben Puzzle-Teile einer Bewegung für das "große Ganze" ??
Sind nicht all diese "demokratischen Aufbrüche", Rebellionen, Versuche u. Experimente das scheinbar Unmögliche möglich zu machen ??

Oder wie die Zapatisten sagen : Fragend schreiten wir voran, - oder wie wir hier sagen könnten: scheiternd stolpern wir voran.
Oder wie Rosa Luxemburg auch mal von der Dialektik zwischen Reform u. Revolution philosophiert hatte.

Und so macht die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien auch gerade ihren Versuch ihren Beitrag für das "Große Ganze" zu geben.
Wir wissen nicht was noch passieren wird, was dabei rauskommt - the future is unwritten.

Klar, ganz "real-politisch-analytisch" gehe ich natürlich erstmal davon aus das Katalonien im Falle einer im Moment nicht sehr wahrscheinlichen eigenstaatlichen Unabhängigkeit weiterhin ein von kapitalistischen Eigentums-Macht-Staatsstrukturen dominiertes Gebilde bleiben wird.

Die im Regionalparlament vertretenen Parteien geben da wenig Anlaß zur Hoffnung das sie in nächster Zeit ernsthaft die "Soziale Frage" geschweige denn die "Eigentumsfrage" stellen werden.
Die PDeCAT, (Ex CDC) u. die ERC (republikanische Linke) die mit der UDC über 20 Jahre in wechselnden Konstellationen die Regierung im katalanischen Regionalparlament gestellt hatten, haben da wie im spanischen Parlament u. anderen europäischen Parlamenten nicht ernsthaft den Neoliberalismus, seine ökonomischen Krisen u. der damit einhergehenden sozialen Verelendung großer Teile auch der katalanischen Bevölkerung in Frage gestellt. (Eine erfreuliche sich selbst als antikapitalistische u. sehr basisdemokratische Bewegung erklärende Ausnahme u. Hoffnung scheint da doch die CUP zu sein.)
Erst als immer mehr Menschen in Katalonien, aber auch in ganz Spanien, insbesondere wegen der großen Krise 2008, anfingen sich außerparlamentarische u. eigenständig zu organisieren von der M15-Bewegung bis wieder in die parlamentarischen Sümpfe mit Podemos, versuchten die bürgerlichen katalanischen Regierungsparteien über die Instrumentalisierung der Unabhängigkeit von Oben die außerparlamentarische Unabhängigkeitsbewegung wieder einzufangen u. sich kontrollierend an deren Spitze zu stellen um die eigentliche Ursache der Bewegung nämlich die "soziale Frage", der massive Abbau demokratischer u. sozialer Rechte wieder unter ihre Kontrolle zu bekommen.
Das ist ihnen aber offensichtlich bisher nicht wirklich gelungen, im Gegenteil, die außerparlamentarische Unabhängigkeitsbewegung treibt die Parlamentaria vor sich her u. macht zunehmend Politik von Unten, von der Strasse, aus den Stadtteilen, Schulen, Betrieben, Dörfern u. Städten.

Wir hier in Berlin, in Doitschland sind anscheinend leider noch Lichtjahre von solch einer Basisbewegung entfernt, darum sollten wir uns hier auch erstmal an die "eigene Nase fassen" was wir hier nicht auf die Reihe kriegen, bevor wir die für demokratische Selbstbestimmung kämpfenden Menschen in Katalonien, Baskenland u. anderen Regionen des spanischen Staates undifferenziert in die seperatistische, nationalistische Schublade stecken u. ihnen deshalb unsere praktische Solidarität verweigern.

Freiheit für die politischen Gefangenen in Katalonien, Baskenland u. überall
Für das demokratische Selbstbestimmungs-u. Selbstverwaltungsrecht aller Menschen überall

Quelle: N.N.

Erich Kästner. Zur Erhöhung der HARTZ IV Sätze. Oder so.

Erich Kästner 1961
Foto: von Basch
Lizenz: [CC BY-SA 3.0 nl]

Die Zeitlosigkeit der Gedichte des heute leider meist als Kinderbuchautoren wahrgenommenen Erich Kästner ist unglaublich. Wir hatten darauf ja schon in "Das Führerproblem, genetisch betrachtet", Der Zweck und die Mittel und anderen Texten Kästners hingewiesen. Heute nun ein weiteres aktuelles Gedicht, das mir angesichts der gestern vom Bundeskabinett beschlossenen reichlichen Erhöhung der Hartz IV Regelsätze eingefallen ist:

Ansprache an Millionäre


Warum wollt ihr so lange warten,
bis sie euren geschminkten Frauen
und euch und den Marmorpuppen im Garten
eins über den Schädel hauen?

Warum wollt ihr euch denn nicht bessern?
Bald werden sie über die Freitreppen drängen
und euch erstechen mit Küchenmessern
und an die Fenster hängen.

Sie werden euch in die Flüsse jagen.
Sinnlos werden dann Schrei und Gebet sein.
Sie werden euch die Köpfe abschlagen.
Dann wird es zu spät sein.

Dann wird sich der Strahl der Springbrunnen röten.
Dann stellen sie euch an die Gartenmauern.
Sie werden kommen und schweigen und töten.
Niemand wird über euch trauern.

Wie lange wollt ihr euch weiter bereichern?
Wie lange wollt ihr aus Gold und Papieren
Rollen und Bündel und Barren speichern?
Ihr werdet alles verlieren.

Ihr seid die Herrn von Maschinen und Ländern.
Ihr habt das Geld und die Macht genommen.
Warum wollt ihr die Welt nicht ändern,
bevor sie kommen?

Ihr sollt ja gar nicht aus Güte handeln!
Ihr seid nicht gut. Und auch sie sind-™s nicht.
Nicht euch, aber die Welt zu verwandeln,
ist eure Pflicht!

Der Mensch ist schlecht. Er bleibt es künftig.
Ihr sollt euch keine Flügel anheften.
Ihr sollt nicht gut sein, sondern vernünftig.
Wir sprechen von Geschäften.

Ihr helft, wenn ihr halft, nicht etwa nur ihnen.
Man kann sich, auch wenn man gibt, beschenken.
Die Welt verbessern und dran verdienen -“
das lohnt, drüber nachzudenken.

Macht Steppen fruchtbar. Befehlt. Legt Gleise.
Organisiert den Umbau der Welt!
Ach, gäbe es nur ein Dutzend Weise
mit sehr viel Geld...

Ihr seid nicht klug. Ihr wollt noch warten.
Uns tut es leid. Ihr werdet-™s bereuen.
Schickt aus dem Himmel paar Ansichtskarten!
Es wird uns freuen.

Erich Kästner

(Aus: Wir haben der Welt in die Schnauze geguckt (Seiten 45/46). Via Horizontverschmelzung)

Was mir heute wichtig erscheint #419

Führungsanspruch: "Die letzten Tage haben einer breiten Öffentlichkeit Einblick in die Auseinandersetzungen in der Partei DIE LINKE. gewährt, aber so manchen Beobachter und auch viele Mitglieder ratlos zurückgelassen. Auch nach einem Kompromiss in der Bundestagsfraktion der Partei kehrt keine Ruhe ein, vielmehr gießt Sahra Wagenknecht weiter Öl ins Feuer. Ihre AnhängerInnen schießen sich derweil auf die beiden Parteivorsitzenden ein. Der LINKEN steht offenbar eine Zerreißprobe bevor. Es wird daher Zeit mit einigen kursierenden Irrtümern aufzuräumen." Edit Bartelmus-Scholich macht das recht gründlich und mißt die Vorgänge in der Partei an ihrem eigenen Anspruch. Siehe auch den ausführlichen Beitrag von Rosemarie Nünning zu Wagenknechts neuen Buch „Reichtum ohne Gier“.

Manosphere: "Die Pille für den Mann." Eve Massacre über ein reaktionäres Weltbild, in dem Männer ein Recht auf Sex haben, wenn sie die Spielzüge korrekt absolvieren und Frauen, die ihnen diesen trotzdem verweigern. Kein Wunder, daß nicht nur Neurechte kein Problem damit haben, dieses zu adaptieren und dort zu rekrutieren. Eine ausführliche Fassung ist in der Printausgabe der Analyse und Kritik Nr. 631 zu lesen.

Fallzahlen: "Der Anteil der Kinder in Deutschland, deren Eltern Hartz IV beziehen, hat einer Untersuchung zufolge einen neuen Höchststand erreicht. 14,6 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland erhalten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II, wie das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung am Mittwoch in Düsseldorf mitteilte. Insgesamt seien rund 1,95 Millionen Kinder und Jugendliche betroffen. Das seien über 110.000 Kinder oder 0,8 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. (...)" Mehr dazu im Neuen Deutschland

Renaissance: "Leben wir in einer Idiokratie? Wie kann man die Selbstsabotage des politischen Denkens, die Herrschaft der gemeinten Meinung, den kursierenden Bullshit und die Quatsch-Ideologien unserer Zeit sonst bezeichnen?" Die Renais­sance des Idio­ten. Wie die Meta­phern real werden und der Selbst­sa­bo­teur die Welt­bühne erobert. Lesenswerter Beitrag von Zoran Terzić.

Umgang: Die neue Rechte im Bundestag. Sebastian Friedrich in der Analyse & Kritik Nr. 631 über Straegien im Umgang mit der Partei. "Die Risse vertiefen".

Gegenkampagne: Rechte kündigen eine Demo gegen den Antifakongress in Münchern an. AfD Politiker fordern Beobachtung des DGB durch Verfassungsschutz. So weit, so schlecht. Dem ganzen setzt die im DGB vertretene Gewerkschaft der Pozilei (GdP, nein, nicht die Wendt Truppe) die Krone auf: Siehe das Dossier bei LabourNet.

Interessensvertretung: "Angesichts zunehmender Spannungen zwischen Berlin und Washington warnen Vertreter einflussreicher deutscher Think-Tanks vor einem Bruch zwischen den Hauptmächten des transatlantischen Bündnisses. Die engen Bindungen zu den USA lägen weiterhin "im nationalen Interesse" der Bundesrepublik - nicht nur wegen der militärischen Stärke der Vereinigten Staaten, sondern auch wegen der hohen Bedeutung des US-Geschäfts für die deutsche Wirtschaft, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme prominenter Experten, die der German Marshall Fund of the United States letzte Woche veröffentlicht hat. Die Wortmeldung erfolgt zu einer Zeit, zu der der transatlantische Streit auf stets neuen Feldern entbrennt - zuletzt in der Iran-Politik. Auf lange Sicht stehen dabei Milliardengeschäfte auf dem Spiel. Alternativen zum transatlantischen Bündnis seien aber ebenfalls "kostspielig oder gefährlich - oder beides", heißt es in der Stellungnahme im Hinblick auf Überlegungen, die EU von den USA abzukoppeln oder gar enger mit China und Russland zu kooperieren." Beitrag bei germann-foreign-policy

Empathieverlust: "Statt über Rassismus als ein Problem „ungebildeter Menschen“ würde ich gerne mehr darüber sprechen, wer für den Egoismus und den Nützlichkeitsrassismus in unserer Gesellschaft tatsächlich verantwortlich ist -“ schieben wir doch den schwarzen Peter dorthin zurück, wo er hingehört!" Mehr in „Deutschlands neue Asoziale“ -“ Rassismus ein Bildungsproblem? bei den Störenfriedas.

Misogynie: "So lange sexuelle Übergriffe und Gewalt auf augenzwinkerndes Verständnis treffen -“ es sei denn, sie werden von Migranten verübt -, so lange wird sich gar nichts ändern. Weder in Hollywood noch sonstwo." Der Fall Weinstein(s).

Nachforschung: Laut einer internationalen Expertengruppe ist der Schriftsteller Pablo Neruda wohl an einer Vergiftung gestorben. Nun soll geklärt werden, ob er ermordet wurde. Mehr dazu zum Beispiel in der "Zeit".

Bildstörung: "Vor Beginn des sechsmonatigen Testlaufs war der Protest laut. Überwachungskameras, die Gesichter erkennen -“ das sorgte bei Datenschützern für Sorgenfalten. Nun sind knapp drei Monate verstrichen. Von Widerstand ist nicht mehr viel zu bemerken." Mehr bei heise

Ver-Schleyer-te Vergangenheit

Hanns-Martin Schleyer auf dem 22. Bundesparteitag der CDU in Hamburg, 1973
Foto: Bundesarchiv 145 Bild-F041440-0014 / Reineke, Engelbert / CC-BY-SA 3.0
Aus gegebenem Anlass einige Bemerkungen zu Schleyers Nazi-Vergangenheit, die der deutschen Geschichtsvergessenheit anheim gefallen ist.

Hanns-Martin Schleyers Karriere in der NS-Zeit begann 1931 mit seinem Eintritt in die Hitler Jugend.

1932 Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg, 1933 Eintritt in die SS und Mitglied im Corps Suevia Heidelberg, einer schlagenden Verbindung. 1935 Austritt aus dem Corps, da das Corps sich weigerte, alle jüdischen „Alten Herren“ auszuschließen.

Schleyer: “Ich werde es nie verstehen können, dass ein Corps aus der Auflage, zwei Juden aus der Gemeinschaft zu entfernen, eine Existenzfrage macht.“

1937 Eintritt in die NSDAP, Leiter des NS-Studentenwerks, einer Tarnorganisation des Sicherheitsdienstes (SD). Als solcher Mitverfasser eines Denunziationsberichts über den Freiburger Rektor Metz, der seine Universität nicht vorschriftsmäßig Hakenkreuz-beflaggt, eine Teilnahme der theologischen Fakultät an der Fronleichnamsprozession geduldet, dagegen den Reichsstudentenführer Scheel, einen Förderer Schleyers, an einer Rede gehindert hatte.

Rektor Metz war kein Widerständler, sondern NSDAP-Mitglied. Deshalb wanderte er auch nicht ins KZ, sondern wurde nur von seinem Posten entfernt.

Nachdem Schleyer in Jura promoviert hatte, organisierte er in Prag ab 1943 Zwangsarbeiter für das Deutsche Reich und war mit der sogenannten Arisierung der tschechischen Wirtschaft beschäfigt

Prag, 5. Mai 1945, Aufstand gegen die Nazi-Besatzungsmacht. Im Schulgebäude des 4. Bezirks hat sich eine SS-Einheit verschanzt, die zwanzig Geiseln, Beschäftigte der Firma Janeceln, in ihrer Gewalt hat. Die tschechischen Aufständischen verhandeln mit dem SS-Kommandanten über die Freilassung der Geiseln. Dieser verlangt dafür im Gegenzug, dass seine Frau und sein Kind herbeigebracht werden sollen. Um Mitternacht wird die Frau, die ein kleines Kind auf dem Arm trägt, mit einem Auto zu dem Schulgebäude gebracht und gegen die Geiseln ausgetauscht. Die Aufständischen ziehen sich zurück. Einen Tag später richtet die SS in unmittelbarer Nähe des Schulgebäudes ein Massaker unter der Zivilbevölkerung an: Im Keller des Hauses 253 und im Garten des Hauses 254 werden 41 Menschen erschossen aufgefunden: unbewaffnete ältere Männer, Frauen und Kinder.

Am 8. Mai 1945, dem Tag der deutschen Kapitulation, bringt eine SS-Einheit Geiseln aus der Prager Zivilbevölkerung in ihre Gewalt, setzt sich aus Prag ab und erreicht abends die amerikanischen Linien, wo sie sich gefangen nehmen lässt.

Der Führer dieser SS-Einheit wird als gedrungener, breitgesichtiger Mann mit dicken Lippen und Mensurnarben auf der Wange beschrieben, dessen Namen auf „Meier oder so ähnlich“ endet. Der einzige SS - Führer in Prag, auf den diese Beschreibung passen könnte, ist Hanns-Martin Schleyer. Er ist zu diesem Zeitpunkt 30 Jahre alt, seine Frau hatte ihm am 1. November 1944 einen Sohn geboren.

Nachtrag:
Immer noch wird er von vielen Politikern als „Vorbild für die deutsche Jugend“ angepriesen. Die größte Veranstaltungshalle Stuttgarts trägt immer noch seinen Namen.

Unverschämt

Theodor W. Adorno, Heidelberg 1964
Foto: Jeremy J. Shapiro
Lizenz: CC BY-SA 3.0

"Die sie meinen. - Die Menschen haben den Begriff der Freiheit so manipuliert, daß er schließlich auf das Recht des Stärkeren und Reicheren herausläuft, dem Schwächeren und Ärmeren das wenige abzunehmen, was er noch hat. Der Versuch, daran etwas zu ändern, gilt als schmählicher Eingriff ins Bereich eben der Individualität, die aus der Konsequenz jener Freiheit in ein verwaltetes Nichts zergangen ist. Aber der objektive Geist der Sprache weiß es besser. Das Deutsche und Englische behält das Wort frei Dingen und Leistungen vor, die nichts kosten. Unabhängig von der Kritik der politischen Ökonomie wird damit Zeugnis abgelegt von der Unfreiheit, die im Tauschverhältnis selber gesetzt ist; es gibt keine Freiheit, solange ein jedes Ding seinen Preis hat, und in der verdinglichten Gesellschaft existieren als kümmerliche Rudimente der Freiheit nur Dinge, die vom Preismechanismus ausgenommen sind. Sieht man dann genauer hin, so findet sich freilich meist, daß auch sie ihren Preis haben und Zugaben sind zu den Waren oder wenigstens zur Herrschaft: die Parks machen denen die Gefängnisse erträglich, die nicht drin sind. Für Menschen von freiem, ungezwungenem, souveränem und legerem Wesen jedoch, für jene, die die Freiheit als Privileg von der Unfreiheit beziehen, hat die Sprache einen guten Namen bereit: den des Unverschämten."

Theodor W. Adorno - Minima Moralia

Theorie der Halbbildung

Theodor W. Adorno, Heidelberg 1964
Foto: Jeremy J. Shapiro
Lizenz: CC BY-SA 3.0

"Dem Halbgebildeten verzaubert alles Mittelbare sich in Unmittelbarkeit, noch das übermächtige Ferne. Daher die Tendenz zur Personalisierung: objektive Verhältnisse werden einzelnen Personen zur Last geschrieben oder von einzelnen Personen das Heil erwartet."

Theodor W. Adorno : Theodor W. Adorno: Theorie der Halbbildung. (1959) In: ders.: Gesammelte Schriften
Band 8. Soziologische Schriften I, S. 93 -“ 121.

Was mir heute wichtig erscheint #418

Vorbereitet: "Nach unseren Recherchen gehen wir davon aus, dass kommende Woche der dritte von mindestens fünf hochradioaktiven CASTOR-Transporten auf dem Neckar starten soll. Die Schiffe parken aktuell wie immer am AKW Neckarwestheim. Das Bündnis Neckar castorfrei erwartet, dass der Transporttag ("Tag X") der Mittwoch, 11. Oktober sein wird!" Mehr dazu. Vielleicht klappt's ja mal wie in Grohnau.

Squat: Am Samstag lief um 9:10 Uhr ein Beitrag im DFL-Kultur über Hausbesetzer, ab Minute 38:30 geht es um das AZ Köln. Die ersten 38 Minuten sind aber auch spannend, u.a. geht es um Rigaer Straße, dann Zülpicher Straße, und Hambacher Forst. Siehe dazu auch: "Die Häuser denen, die drin wohnen?"

Entscheidend: "Radikalfeministische Theorie nimmt in hohem Maße Bezug auf wissenschaftliche Erkenntnisse und empirische Befunde. So begründen sich abolitionistische Positionen (die auf die Abschaffung der Prostitution abzielen) insbesondere in wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Tatsache, dass vor allem marginalisierte (arme, ethnisch diskriminierte) Frauen in der Prostitution landen, und solche, die sexuelle (oder andere) Gewalterfahrungen machen mussten. Auch historisch-feministische Analysen bezüglich der gesellschaftlichen Position der Frau und der Reproduktion der Unterordnungsverhältnisse durch die Prostitution spielen eine bedeutende Rolle. Es ist sinnvoll und zielführend so vorzugehen, auch in Bezug auf andere gesellschaftliche Phänomene. (...)" "Kulturrelativismus vs. Universalismus. Oder: "Warum der Kontext immer eine Rolle spielt" bei den Störenfriedas

Erwacht: Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer sieht im Gespräch mit der Süddeutschen einen Zusammenhang zwischen dem Wahlerfolg der AfD und dem Kapitalismus und arbeitet heraus, wieso die AfD Fans einen "autoritären Nationalradikalismus" vertreten.

Überschritten: Wenn wir schon beim Kapitalismus sind: "Eine Hebamme kritisiert: „In München über 800 Frauen während Geburt verlegt“. Nicht nur, aber auch in München herrscht Hebammen-Notstand. Im Interview spricht eine Geburtenhelferin die Probleme offen an. Für sie grenzt es an Irrsinn." Es grenzt nicht nur an Irrsinn, die Grenzen sind schon lange überschritten: "Es werden Autokonzerne subventioniert, aber da, wo das Leben startet, drehen sie den Hahn zu." Kapitalismuskritik im Münchner Merkur.

Ungestört: "In Charlottesville im US-Bundesstaat Virginia haben Neonazis erneut einen Fackelmarsch abgehalten. Diesmal trafen sie nicht auf Gegenprotest, doch die Stadtverwaltung will nun härter gegen solche Aktionen vorgehen." Der Spiegel berichtet.

Aufgerüstet: Mindestens 3-‰000 Ermittlungsverfahren will die Hamburger Polizei wegen Straftaten während der Proteste gegen den G20-Gipfel eröffnen. Eine Sonderkommission sichtet umfangreiches Bildmaterial. Mehr in der jungle World

Frontstaat: Die Hessische Landesregierung kann Silvia Gingold weiter durch Geheimdienst beobachten lassen. Das Verwaltungsgericht Kassel wies die Klage der Tochter jüdischer Widerstandskämpfer auf Löschung der Verfassungsschutzakte ab. Mehr zu dem Skandalurteil bei der VVN-BdA NRW

Gedenken: Im Jahr 1901 wurde die Heilanstalt Dösen eröffnet. Die Klinik zur Behandlung psychisch kranker und behinderter Menschen diente weitgehend der psychiatrischen Versorgung von Leipzig. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden hier viele Patienten Opfer der „Euthanasie“-Morde. Ab 1934 wurden hier 604 Menschen zwangssterilisiert. 1939-1943 wurden hier 624 Kinder in der "Kinderfachabteilung" ermordet. Von Juni 1940 bis August 1941 wurden von hier 860 behindete Menschen "verlegt", das heißt ermordet in Pirna-Sonnenstein im Rahmen der "Aktion T4".

Trauerspiel: "Ende eines tragisch-komischen Schauspiels rechter Flüchtlingsgegner im Mittelmeer: Nach dem gescheiterten Einsatz von Defend Europe im Mittelmeer, hat die Gruppe offensichtlich die C-Star inklusive Besatzung fluchtartig verlassen. Ohne Proviant und Lohn." So sind sie, die "Identitären". Mehr dazu bei Nauteo - maritime News und Lifestyle

Bockmist: "Der Normenkontrollrat hat ein Gutachten veröffentlicht, wonach Datenbanken der öffentlichen Verwaltung wie das Melderegister für eine stärkere Digitalisierung von Dienstleistungen miteinander verknüpft werden sollen." Ausgerechnet McKinsey plant die nächste Volkszählung und eine neue Personenkennziffer

Schleppend: "Bis heute sind noch immer mehr als 114.000 Opfer der franquistischen Repression nicht exhumiert. Ende der 1990er Jahre kam die Untersuchung aber langsam in Gang." Der Schatten des Caudillo. Über die Aktualität des Spanischen Bürgerkriegs und der Franco-Diktatur. Beitrag von Georg Pichler in der Tageszeitung junge Welt

Marcuse über die Freiheit zu arbeiten oder zu verhungern

Herbert Marcuse in Newton, Massachusetts, 1955
Copyright: Marcuse family, represented by Harold Marcuse

„Von An­be­ginn war die Frei­heit des Un­ter­neh­mens kei­nes­wegs ein Segen. Als die Frei­heit zu ar­bei­ten oder zu ver­hun­gern be­deu­te­te sie für die über­wie­gen­de Mehr­heit der Be­völ­ke­rung Pla­cke­rei, Un­si­cher­heit und Angst. Wäre das In­di­vi­du­um nicht mehr ge­zwun­gen, sich auf dem Markt als frei­es öko­no­mi­sches Sub­jekt zu be­wäh­ren, so wäre das Ver­schwin­den die­ser Art von Frei­heit eine der größ­ten Er­run­gen­schaf­ten der Zi­vi­li­sa­ti­on. Die tech­no­lo­gi­schen Pro­zes­se der Me­cha­ni­sie­rung und Stan­dar­di­sie­rung könn­ten in­di­vi­du­el­le En­er­gie für ein noch un­be­kann­tes Reich der Frei­heit jen­seits der Not­wen­dig­keit frei­ge­ben. Die in­ne­re Struk­tur des mensch­li­chen Da­seins­wür­de ge­än­dert; das In­di­vi­du­um würde von den frem­den Be­dürf­nis­sen und Mög­lich­kei­ten be­freit, die die Ar­beits­welt ihm auf­er­legt. Das In­di­vi­du­um wäre frei, Au­to­no­mie über ein Leben aus­zu­üben, das sein ei­ge­nes wäre. Könn­te der Pro­duk­ti­ons­ap­pa­rat im Hin­blick auf die Be­frie­di­gung der not­wen­di­gen Be­dürf­nis­se or­ga­ni­siert und di­ri­giert wer­den, so könn­te er durch­aus zen­tra­li­siert sein; eine der­ar­ti­ge Kon­trol­le würde in­di­vi­du­el­le Au­to­no­mie nicht ver­hin­dern, son­dern er­mög­li­chen.

Das ist ein Ziel im Rah­men des­sen, wozu die fort­ge­schrit­te­ne in­dus­tri­el­le Zi­vi­li­sa­ti­on im­stan­de ist, der "Zweck" tech­no­lo­gi­scher Ra­tio­na­li­tät. Tat­säch­lich je­doch macht sich­die ent­ge­gen­ge­setz­te Ten­denz gel­tend: der Ap­pa­rat er­legt der Ar­beits­zeit und der Frei­zeit, der ma­te­ri­el­len und der geis­ti­gen Kul­tur die öko­no­mi­schen wie po­li­ti­schen Er­for­der­nis­se sei­ner Ver­tei­di­gung und Ex­pan­si­on auf. In­fol­ge der Art, wie sie ihre tech­ni­sche Basis or­ga­ni­siert hat, ten­diert die ge­gen­wär­ti­ge In­dustrie­ge­sell­schaft zum To­ta­li­tä­ren. Denn "to­ta­li­tär" ist nicht nur eine ter­ro­ris­ti­sche po­li­ti­sche Gleich­schal­tung der Ge­sell­schaft, son­dern auch eine nicht ter­ro­ris­ti­sche öko­no­misch-tech­ni­sche Gleich­schal­tung, die sich in der Ma­ni­pu­la­ti­on von Be­dürf­nis­sen durch alt­her­ge­brach­te In­ter­es­sen gel­tend macht. Sie beugt so dem Auf­kom­men einer wirk­sa­men Op­po­si­ti­on ge­gen das Ganze vor. Nicht nur eine be­son­de­re Re­gie­rungs­for­m o­der Par­tei­herr­schaft be­wirkt To­ta­li­ta­ris­mus, son­dern auch ein be­son­de­res Pro­duk­ti­ons- und Ver­tei­lungs­sys­tem, das sich mit einem "Plu­ra­lis­mus" von Par­tei­en, Zei­tun­gen, "aus­glei­chen­den Mäch­ten" etc. durch­aus ver­trägt.“

Herbert Marcuse. Aus: Der eindimensionale Mensch

Einigkeit und Recht und Freiheit...

Kurt Tucholsky in Paris, 1928 (Foto: Sonja Thomassen / WikiMedia)

Was die Freiheit ist bei den Germanen,
die bleibt meistens schwer inkognito.
Manche sind die ewigen Untertanen,
möchten gern und können bloß nicht so.

Denn schon hundert Jahr
trifft dich immerdar
ein geduldiger Schafsblick durch die Brillen.

Doof ist doof.
Da helfen keine Pillen.

Was Justitia ist bei den Teutonen,
die hat eine Binde obenrum.
Doch sie tut die Binde gerne schonen,
und da bindt sie sie nicht immer um.
Unten winseln die
wie das liebe Vieh.
Manche glauben noch an guten Willen ...

Doof ist doof.
Da helfen keine Pillen.

Was die Einigkeit ist bei den Hiesigen,
die ist vierundzwanzigfach verteilt.
Für die Länder hat man einen riesigen
Schreibeapparat gefeilt:
Hamburg schießt beinah
sich mit Altona;

Bayern zeigt sich barsch,
ruft: "Es lebe die Republik!"
Jeder denkt nur gleich
an sein privates Reich ...

Eine Republike wider Willen.

Deutsch ist deutsch.
Da helfen keine Pillen.

Theobald Tiger

Die Weltbühne, 15.03.1927, Nr. 11, S. 424.

Texte zur Oktoberrevolution

Bei infopartisan werden Texte zur Oktoberrevolution veröffentlicht, wodurch diese als erster Kulminationspunkt im Prozess der globalen Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise untersucht werden können. Schließlich geht es nach 100 Jahren Niederlagen für bewußte Aufhebungsversuche darum, aus der Geschichte mit der Perspektive "nach vorn" zu lernen.

Foto: Kundgebung der Arbeiter- und Soldatenräte auf dem Verkündigungsplatz in Nischni Nowgorod, Oktober 1917.

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