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"Um zu sein, muß der Mensch revoltieren, doch muß seine Revolte die Grenzen wahren, die sie in sich selbst findet und wo die Menschen, wenn sie sich zusammenschließen, zu sein beginnen." A. Camus

Heute vor 58 Jahren starb Albert Camus mit nur 46 Jahren bei einem Autounfall. 1957 erhielt das ehemalige Mitglied der Rèsistance Gruppe Combat und maßgebliche Mitarbeiter der gleichnamigen Zeitschrift den Literaturnobelpreis. "Camus wandte sich in seinen Reden und Schriften gegen alle autoritären Staatsformen, insbesondere gegen den stalinistischen Sozialismus. Es ist jedoch keineswegs so, dass er Befürworter einer parlamentarischen Demokratie war. Vielmehr vertrat Camus einen Anarchosyndikalismus, bei dem die Produktionsmittel in den Händen der Gewerkschaften liegen. Bereits 1944 wünschte er sich eine „internationalistische Ökonomie, in der die Rohstoffe verstaatlicht werden, der Handel kooperativ organisiert und die kolonialen Absatzmärkte allen zugänglich gemacht werden und das Geld selbst Kollektivstatus erhält.“ Wenig später forderte er die „Vereinigten Staaten der Welt“, die „Abschaffung der Lohnarbeit“ und, „die Gewerkschaften an der Verwaltung des Volkseinkommens zu beteiligen“. 1951 betonte er zusammenfassend: „Meine Sympathien gelten den libertären Formen des Syndikalismus.“[19]"



Januar

Erich Mühsam kurz vor seinem 50. Geburtstag.
Quelle: Deutsches Bundesarchiv (German Federal Archive), Bild 146-1981-003-08

Anno 1913 schuf Erich Mühsam einen im Grunde noch heute gültigen Kalender. Die Tage, in denen diese Zustände auf dem Müllhaufen der Geschichte landen werden, rücken näher. Anlässlich dessen 105. Jahrestages beginnen wir jeden Monat in diesem Jahr mit dem entsprechenden Text.

Januar:

Der Reiche klappt den Pelz empor,
und mollig glüht das Ofenrohr.
Der Arme klebt, daß er nicht frier,
sein Fenster zu mit Packpapier.

Erich Mühsam, 1878-1934

Umtausch nicht gestattet

Theodor W. Adorno, Heidelberg 1964

Foto: Jeremy J. Shapiro

Lizenz: CC BY-SA 3.0

"(...) Die Menschen verlernen das Schenken. Der Verletzung des Tauschprinzips haftet etwas Widersinniges und Unglaubwürdiges an; da und dort mustern selbst Kinder mißtrauisch den Geber, als wäre das Geschenk nur ein Trick, um ihnen Bürsten oder Seife zu verkaufen. Dafür übt man charity, verwaltete Wohltätigkeit, die sichtbare Wundstellen der Gesellschaft planmäßig zuklebt. In ihrem organisierten Betrieb hat die menschliche Regung schon keinen Raum mehr, ja die Spende ist mit Demütigung durch Einteilen, gerechtes Abwägen, kurz durch die Behandlung des Beschenkten als Objekt notwendig verbunden. Noch das private Schenken ist auf eine soziale Funktion heruntergekommen, die man mit widerwilliger Vernunft, unter sorgfältiger Innehaltung des ausgesetzten Budgets, skeptischer Abschätzung des anderen und mit möglichst geringer Anstrengung ausführt. Wirkliches Schenken hatte sein Glück in der Imagination des Glücks des Beschenkten. Es heißt wählen, Zeit aufwenden, aus seinem Weg gehen, den anderen als Subjekt denken: das Gegenteil von Vergeßlichkeit. Eben dazu ist kaum einer mehr fähig. Günstigenfalls schenken sie, was sie sich selber wünschten, nur ein paar Nuancen schlechter. Der Verfall des Schenkens spiegelt sich in der peinlichen Erfindung der Geschenkartikel, die bereits darauf angelegt sind, daß man nicht weiß, was man schenken soll, weil man es eigentlich gar nicht will. Diese Waren sind beziehungslos wie ihre Käufer. Sie waren Ladenhüter schon am ersten Tag. Ähnlich der Vorbehalt des Umtauschs, der dem Beschenkten bedeutet: hier hast du deinen Kram, fang damit an, was du willst, wenn dir's nicht paßt, ist es mir einerlei, nimm dir etwas anderes dafür. Dabei stellt gegenüber der Verlegenheit der üblichen Geschenke ihre reine Fungibilität auch noch das Menschlichere dar, weil sie dem Beschenkten wenigstens erlaubt, sich selber etwas zu schenken, worin freilich zugleich der absolute Widerspruch zum Schenken gelegen ist.

Gegenüber der größeren Fülle von Gütern, die selbst dem Armen erreichbar sind, könnte der Verfall des Schenkens gleichgültig, die Betrachtung darüber sentimental scheinen. Selbst wenn es jedoch im Überfluß überflüssig wäre - und das ist Lüge, privat so gut wie gesellschaftlich, denn es gibt keinen heute, für den Phantasie nicht genau das finden könnte, was ihn durch und durch beglückt -, so blieben des Schenkens jene bedürftig, die nicht mehr schenken. Ihnen verkümmern jene unersetzlichen Fähigkeiten, die nicht in der Isolierzelle der reinen Innerlichkeit, sondern nur in Fühlung mit der Wärme der Dinge gedeihen können. Kälte ergreift alles, was sie tun, das freundliche Wort, das ungesprochen, die Rücksicht, die ungeübt bleibt. Solche Kälte schlägt endlich zurück auf jene, von denen sie ausgeht. Alle nicht entstellte Beziehung, ja vielleicht das Versöhnende am organischen Leben selber, ist ein Schenken. Wer dazu durch die Logik der Konsequenz unfähig wird, macht sich zum Ding und erfriert. (...)"

Theodor W. Adorno - Minima Moralia

"Die Behauptung, daß die Zwecke der Polizeigewalt mit denen des übrigen Rechts stets identisch oder auch nur verbunden wären, ist durchaus unwahr"

Walter Benjamin, 1928
"In einer weit widernatürlicheren Verbindung als in der Todesstrafe, in einer gleichsam gespenstischen Vermischung, sind diese beiden Arten der Gewalt in einer andern Institution des modernen Staats, der Polizei, gegenwärtig. Diese ist zwar eine Gewalt zu Rechtszwecken (mit Verfügungsrecht), aber mit der gleichzeitigen Befugnis, diese in weiten Grenzen selbst zu setzen (mit Verordnungsrecht). Das Schmachvolle einer solchen Behörde, das nur deshalb von wenigen gefühlt wird, weil ihre Befugnisse zu den gröblichsten Eingriffen nur selten ausreichen, desto blinder freilich in den verletzbarsten Bezirken und gegen Besonnene, vor denen den Staat nicht die Gesetze schützen, schalten dürfen, liegt darin, daß in ihr die Trennung von rechtsetzender und rechtserhaltender Gewalt aufgehoben ist.

Wird von der ersten verlangt, daß sie im Siege sich ausweise, so unterliegt die zweite der Einschränkung, daß sie nicht neue Zwecke sich setze. Von beiden Bedingungen ist die Polizeigewalt emanzipiert. Sie ist rechtsetzende - denn deren charakteristische Funktion ist ja nicht die Promulgation von Gesetzen, sondern jedweder Erlaß, den sie mit Rechtsanspruch ergehen läßt -, und sie ist rechtserhaltende, weil sie sich jenen Zwecken zur Verfügung stellt.

Die Behauptung, daß die Zwecke der Polizeigewalt mit denen des übrigen Rechts stets identisch oder auch nur verbunden wären, ist durchaus unwahr. Vielmehr bezeichnet das "Recht" der Polizei im Grunde den Punkt, an welchem der Staat, sei es aus Ohnmacht, sei es wegen der immanenten Zusammenhänge jeder Rechtsordnung, seine empirischen Zwecke, die er um jeden Preis zu erreichen wünscht, nicht mehr durch die Rechtsordnung sich garantieren kann. Daher greift" der Sicherheit wegen" die Polizei in zahllosen Fällen ein, wo keine klare Rechtslage vorliegt, wenn sie nicht ohne jegliche Beziehung auf Rechtszwecke den Bürger als eine brutale Belästigung durch das von Verordnungen geregelte Leben begleitet oder ihn schlechtweg überwacht.

Im Gegensatz zum Recht, welches in der nach Ort und Zeit fixierten "Entscheidung" eine metaphysische Kategorie anerkennt, durch die es Anspruch auf Kritik erhebt, trifft die Betrachtung des Polizeiinstituts auf nichts Wesenhaftes. Seine Gewalt ist gestaltlos wie seine nirgends faßbare, allverbreitete gespenstische Erscheinung im Leben der zivilisierten Staaten. Und mag Polizei auch im einzelnen sich überall gleichsehen, so ist zuletzt doch nicht zu verkennen, daß ihr Geist weniger verheerend ist, wo sie in der absoluten Monarchie die Gewalt des Herrschers, in welcher sich legislative und exekutive Machtvollkommenheit vereinigt, repräsentiert, als in Demokratien, wo ihr Bestehen, durch keine derartige Beziehung gehoben, die denkbar größte Entartung der Gewalt bezeugt."

Walter Benjamin, Zur Kritik der Gewalt, Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik, Bd. 48, Berlin 1921

Über die Logik der Zeit

"Im 13. Jahrhundert hing ein Drittel der ökonomisch aktiven Bevölkerung von Löhnen ab, ab dem 14. Jahrhundert hielt mit der Textilmanufaktur aber ein zeitlich neues Modell Einzug, mit dem die Arbeiter sich nicht mehr mit dem Fluss oder den Aktivitäten des Saisonalen konfrontiert sahen, sondern mit einer neuen Zeit, die linear, repetitiv und abstrakt war. Ab dem 16.Jahrhundert wurde die Zeit durch das gleichförmige Ticken in Minuten und Sekunden gemessen. Diese abstrakte Zeit gestaltet jetzt fast alles -“ die Arbeit, das Spiel und die Freizeit, den Schlaf und den Tag, den Kredit und das Geld, die Landwirtschaft und die Industrie etc. Im zwanzigsten Jahrhundert, als das Fließband eingeführt wurde, maßen dann Wissenschaftler Arbeitseinheiten in Tausendstel von Sekunden. Die Kontrolle der Zeit wurde für den Kapitalismus unerlässlich. Wie Edward Thompson formuliert, folgt die Zeit einer speziellen Logik, denn alle Zeit muss konsumiert, vermarktet oder produktiv angewandt werden, und auch dies wurde durch Gewalt auf dem ganzen Planeten verbreitet und etabliert."

Achim Szepanski, Bemerkungen zu: A History of the World in Seven Cheap Things (Moore / Patel)

Einmal richtig erben...

„Die Spitzenverdiener von heute standen bereit vor sechs Jahrhunderten an der Spitze der sozioökonomischen Leiter.“

"Selbst gewaltige Umbrüche wie die beiden Weltkriege, das Ende der Monarchie, der Nationalsozialismus und die Teilung Deutschlands hatten nur geringe Auswirkungen auf die deutsche Elite. Der Soziologe Hervé Joly zeigt in einer Untersuchung von Vorstandsmitgliedern der 26 größten Industriekonzerne des „Dritten Reichs“, dass die personellen und familiären Kontinuitäten in der Wirtschaftselite selbst während und nach der NS-Zeit nicht abbrachen. Ob Eigentümer oder Vorstandsmitglieder -“ sie kamen immer aus den gleichen Familien."

Via kontraste: Reich wird man nicht, reich bleibt man

Reichtum, Schönheit und Geistreiches

Karl Marx als Student in Bonn 1836, Ausschnitt aus der Lithographie von D. Levy

"Was durch das Geld für mich ist, was ich zahlen, d. h., was das Geld kaufen kann, das bin ich, der Besitzer des Geldes selbst ... Die Eigenschaften des Geldes sind meine - seines Besitzers - Eigenschaften und Wesenskräfte. Das, was ich bin und vermag, ist also keineswegs durch meine Individualität bestimmt. Ich bin hässlich, aber ich kann mir die schönste Frau kaufen. Also bin ich nicht hässlich ... ich bin ein schlechter, unehrlicher, gewissenloser, geistloser Mensch, aber das Geld ist geehrt, also auch sein Besitzer. Das Geld ist das höchste Gut, also ist sein Besitzer gut ... ich bin geistlos, aber das Geld ist der wirkliche Geist aller Dinge, wie sollte sein Besitzer geistlos sein? Zudem kann er sich die geistreichen Leute kaufen, und wer die Macht über die Geistreichen hat, ist der nicht geistreicher als der Geistreiche?"

Karl Marx, 1844 - Philosophische und Ökonomische Manuskripte

Über das Wegsehen

Horkheimer (links) mit Theodor W. Adorno (vorne rechts) und Jürgen Habermas (hinten rechts) in Heidelberg, 1964
Foto: Jeremy J. Shapiro / CC-BY-SA-3.0

"Der bürgerliche Antisemitismus hat einen spezifischen ökonomischen Grund: die Verkleidung der Herrschaft in Produktion. Waren in früheren Epochen die Herrschenden unmittelbar repressiv, so daß sie den Unteren nicht nur die Arbeit ausschließlich überließen, sondern die Arbeit als die Schmach deklarierten, die sie unter der Herrschaft immer war, so verwandelt sich im Merkantilismus der absolute Monarch in den größten Manufakturherrn. Produktion wird hoffähig. Die Herren als Bürger haben schließlich den bunten Rock ganz ausgezogen und Zivil angelegt. Arbeit schändet nicht, sagten sie, um der der andern rationaler sich zu bemächtigen. Sie selbst reihten sich unter die Schaffenden ein, während sie doch die Raffenden blieben wie ehedem. Der Fabrikant wagte und strich ein wie Handelsherr und Bankier. Er kalkulierte, disponierte, kaufte, verkaufte. Am Markt konkurrierte er mit jenen um den Profit, der seinem Kapital entsprach. Nur raffte er nicht bloß am Markt sondern an der Quelle ein: als Funktionär der Klasse sorgte er dafür, daß er bei der Arbeit seiner Leute nicht zu kurz kam. Die Arbeiter hatten so viel wie möglich abzuliefern. Als der wahre Shylock bestand er auf seinem Schein. Auf Grund des Besitzes der Maschinen und des Materials erzwang er, daß die andern produzierten. Er nannte sich den Produzenten, aber er wie jeder wußte insgeheim die Wahrheit. Die produktive Arbeit des Kapitalisten, ob er seinen Profit mit dem Unternehmerlohn wie im Liberalismus oder dem Direktorengehalt wie heute rechtfertigte, war die Ideologie, die das Wesen des Arbeitsvertrags und die raffende Natur des Wirtschaftssystems überhaupt zudeckte.

Darum schreit man: haltet den Dieb! und zeigt auf den Juden. Er ist in der Tat der Sündenbock, nicht bloß für einzelne Manöver und Machinationen, sondern in dem umfassenden Sinn, daß ihm das ökonomische Unrecht der ganzen Klasse aufgebürdet wird. Der Fabrikant hat seine Schuldner, die Arbeiter, in der Fabrik unter den Augen und kontrolliert ihre Gegenleistung, ehe er noch das Geld vorstreckt. Was in Wirklichkeit vorging, bekommen sie erst zu spüren, wenn sie sehen, was sie dafür kaufen können: der kleinste Magnat kann über ein Quantum von Diensten und Gütern verfügen wie kein Herrscher zuvor; die Arbeiter jedoch erhalten das sogenannte kulturelle Minimum. Nicht genug daran, daß sie am Markt erfahren, wie wenig Güter auf sie entfallen, preist der Verkäufer noch an, was sie sich nicht leisten können. Im Verhältnis des Lohns zu den Preisen erst drückt sich aus, was den Arbeitern vorenthalten wird. Mit ihrem Lohn nahmen sie zugleich das Prinzip der Entlöhnung an. Der Kaufmann präsentiert ihnen den Wechsel, den sie dem Fabrikanten unterschrieben haben. Jener ist der Gerichtsvollzieher fürs ganze System und nimmt das Odium für die andern auf sich. Die Verantwortlichkeit der Zirkulationssphäre für die Ausbeutung ist gesellschaftlich notwendiger Schein."

Max Horkheimer - Theodor W. Adorno, Elemente des Antisemitismus - Grenzen der Aufklärung

Über Hautkrankheiten

Erich Kästner 1961
Foto: von Basch
Lizenz: [CC BY-SA 3.0 nl]

Die Zeitlosigkeit der Gedichte des heute leider meist als Kinderbuchautoren wahrgenommenen Erich Kästner ist unglaublich. Wir hatten darauf ja schon in "Das Führerproblem, genetisch betrachtet", Der Zweck und die Mittel und anderen Texten Kästners hingewiesen. Heute nun ein weiteres aktuelles Gedicht:

Misanthropologie

Schöne Dinge gibt es dutzendfach.
Aber keines ist so schön wie diese:
eine ausgesprochen grüne Wiese
und ein paar Meter veilchenblauer Bach.

Und man kneift sich. Doch das ist kein Traum.
Mit der edlen Absicht, sich zu läutern,
kniet man zwischen Blumen, Gras und Kräutern.
Und der Bach schlägt einen Purzelbaum.

Also das, denkt man, ist die Natur?
Man beschließt, in Anbetracht des Schönen,
mit der Welt sich endlich zu versöhnen.
Und ist froh, dass man ins Grüne fuhr.

Doch man bleibt nicht lange so naiv.
Plötzlich tauchen Menschen auf und schreien.
Und schon wieder ist die Welt zum Speien.
Und das Gras legt sich vor Abscheu schief.

Eben war die Landschaft noch so stumm.
Und der Wiesenteppich war so samten.
Und schon trampeln diese gottverdammten
Menschen wie in Sauerkraut herum.

Und man kommt, geschult durch das Erlebnis,
wieder mal zu folgendem Ergebnis:
Diese Menschheit ist nichts weiter als
eine Hautkrankheit das Erdenballs.

Erich Kästner

(Aus: Erich Kästner -“ Die Gedichte. Haffmansverlag bei Zweitausendeins, 5. Auflage 2012, S. 190. Via Horizontverschmelzung)

Eine Polemik für das basisdemokratische Selbstbestimmungsrecht / Selbstverwaltungsrecht der Menschen in Katalonien, Spanien u. überall.

Demonstration von Referendums­befürwortern vor dem katalanischen Wirtschafts­ministerium am 20. September 2017

Foto: Màrius Montón

Lizenz: Creative-Commons / „Namensnennung -“ Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international“.

Warum sollte eine antikapitalistische, linksradikale Bewegung die katalanische Unabhängigkeitsbewegung und die Gründung eines neuen bürgerlichen, kapitalistischen Staates unterstützen ??

Oder warum mit einer undifferenzierten antinationalen Kritik an der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung die aktuelle repressive spanische Regierungspolitik u. der staatlich verordnete Nationalismus der Rajoy-Regierung auf eine Stufe gestellt wird ??

Wenn diese spanische postfranquistische Regierungspartei Alianza Popular-Partido Popular (bis heute Nichtaufarbeitung, Nichtdistanzierung u. Straffreiheit der Verbrechen des Franco-Faschismus) und deren staatliche Strukturen offensichtlich nicht demokratisierbar/ reformierbar sind und nicht bereit sind seit Ende der Franco-Diktatur errungene demokratische u. soziale Fortschritte zurückzugeben, zuzugestehen, dann ist es nur logisch u. politisch konsequent für einen vor solchen Angriffen u. Abbau demokratischer u. sozialer Grundrechte geschützteren regionalen Lebens-u. Gestaltungsraum zu streiten u. anzustreben.

Es gab einmal die Chance u. Hoffnung vieler Menschen in Katalonien, aber auch im Baskenland, Galizien u. anderen Regionen Spaniens diese Demokratisierung des spanischen Staates durch förderale Autonomie-Abkommen mit der zentralistischen Madrider Regierung zu ermöglichen.

Dieser Traum, diese Hoffnung hat sich mit Rajoys PP seit 2005, seit der Suspendierung des katalanischen Autonomiestatuts u. der aktuellen Repressionpolitik, der Inhaftierung katalanischer Regierungsmitglieder u. außerparlamentarischer basispolitischer Aktivisten ausgeträumt.
Die aktuelle repressive Realität ist schlimmer als die meisten es erwartet haben.
Madrid u. EU-Brüxell haben ihre "demokratische" Maske fallengelassen.

Zu dieser Erkenntnis sind offentsichtlich in Katalonien immer mehr Menschen gekommen.
Dokumentiert in dutzenden kriminalisierten, illegalisierten verbotenen Wahlen, Abstimmungen, Referenden, Demos, Organisierungen, Stadtteilversammlungen e.t.c.
Hunderte Bürgermeister von Städten u. Dörfern haben sich in einem Bündnis für die Unabhängigkeit u. Selbstverwaltung zusammengeschlossen.

Das ist ein unübersehbarer demokratischer Aufbruch einer wachsenden fast-Mehrheit in der Bevölkerung.
(siehe Abstimmungsergebnisse u. Demo-Mobilisierungen)

Dabei ist nicht die zentrale Frage bist du Spanier oder Katalane, sondern willst du mehr Demokratie, Selbstverwaltung, mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Freiheit u. Vielfalt.

Wenn ein wachsender Teil der Bevölkerung in Katalonien für mehr Demokratie u. Selbstbestimmung kämpfen u. versuchen sich von den autoritär-repressiven Regierungsstrukturen zu emanziperen u. andere, bessere zu entwickeln u. auszuprobieren, dann trifft das Argument die Unabhängigkeitbewegung würde die Menschen in katalanische Seperatisten u. spanische Nationalisten spalten nicht.
Die nationalistischen Spalter sind die die das von Oben aufgezwungene Konzept der Einheit der (spanischen) Nation als staatlich sanktioniertes Repressionkonzept Andersdenkenden aufzwingen.

Demokratische Aufbrüche, Rebellionen entzünden sich seit Jahrhunderten immer wieder am Abbau u. Unterdrückung demokratischer u. sozialer Grundrechte.
Karl Marx hat mal gesagt die Philosophen (Ideologen, Politologen, Analysten) haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an sie zu verändern.
Fortschrittliche soziale Veränderungen kamen immer von Unten, demokratische Aufbrüche, soziale Rebellionen passieren, explodieren, sind auf einmal da wo kein politischer Analyst sie vorhergesagt hat. Sie lassen sich nicht in irgendwelche noch so gutgemeinten Theorien, Strategien, Ideologien pressen, organisieren, das ist oft genug in autotitären Konzepten geendet u. gescheitert.

Und so analysieren auch die heutigen Philosophen u. Analysten dem realen Leben, der von Menschen von Unten gemachten Geschichte wiedermal hinterher.

Zum Entsetzen u. zur Enttäuschung vieler linker politischer Analysten sind Menschen die sich in Katalonien, Spanien, Griechenland, e.t.c. u. auch hier in Berlin u. Doitschland gegen Zwangsräumungen, Kündigungen, Mieterhöhungen, Verdrängung, Sozialabbau, Militarisierung, Umweltzerstörung e.t.c wehren leider in der Mehrheit immer noch keine bekennenden u. anerkannten Anti-Kapitalisten, Kommunisten, Sozialisten, Anarchisten, sondern Menschen die sich aus ihrer existenziellen Not u. einem daraus resultierenden Gerechtigkeitsbewußtsein wehren u. für ein besseres Leben kämpfen.

Sollten wir, die sich als linksradikale Antikapitalisten verstehen, all den Widerstand leistenden Menschen die sich (noch) nicht als linksradikale Antikapitalisten definieren unsere praktische Solidarität aus ideologisch-theoretischer politischer, anti-nationaler Correctnis verweigern ??

Den Geflüchteten, den 150 Journalisten u. tausenden Gefangenen in der Türkei, Anti-Apartheits-Antirassistischen Bewegungen, Schwulen-Lesben-Transgender, e.t.c. sind nicht alle diese "Teilbereichskämpfe" für ein selbstbestimmtes Leben Puzzle-Teile einer Bewegung für das "große Ganze" ??
Sind nicht all diese "demokratischen Aufbrüche", Rebellionen, Versuche u. Experimente das scheinbar Unmögliche möglich zu machen ??

Oder wie die Zapatisten sagen : Fragend schreiten wir voran, - oder wie wir hier sagen könnten: scheiternd stolpern wir voran.
Oder wie Rosa Luxemburg auch mal von der Dialektik zwischen Reform u. Revolution philosophiert hatte.

Und so macht die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien auch gerade ihren Versuch ihren Beitrag für das "Große Ganze" zu geben.
Wir wissen nicht was noch passieren wird, was dabei rauskommt - the future is unwritten.

Klar, ganz "real-politisch-analytisch" gehe ich natürlich erstmal davon aus das Katalonien im Falle einer im Moment nicht sehr wahrscheinlichen eigenstaatlichen Unabhängigkeit weiterhin ein von kapitalistischen Eigentums-Macht-Staatsstrukturen dominiertes Gebilde bleiben wird.

Die im Regionalparlament vertretenen Parteien geben da wenig Anlaß zur Hoffnung das sie in nächster Zeit ernsthaft die "Soziale Frage" geschweige denn die "Eigentumsfrage" stellen werden.
Die PDeCAT, (Ex CDC) u. die ERC (republikanische Linke) die mit der UDC über 20 Jahre in wechselnden Konstellationen die Regierung im katalanischen Regionalparlament gestellt hatten, haben da wie im spanischen Parlament u. anderen europäischen Parlamenten nicht ernsthaft den Neoliberalismus, seine ökonomischen Krisen u. der damit einhergehenden sozialen Verelendung großer Teile auch der katalanischen Bevölkerung in Frage gestellt. (Eine erfreuliche sich selbst als antikapitalistische u. sehr basisdemokratische Bewegung erklärende Ausnahme u. Hoffnung scheint da doch die CUP zu sein.)
Erst als immer mehr Menschen in Katalonien, aber auch in ganz Spanien, insbesondere wegen der großen Krise 2008, anfingen sich außerparlamentarische u. eigenständig zu organisieren von der M15-Bewegung bis wieder in die parlamentarischen Sümpfe mit Podemos, versuchten die bürgerlichen katalanischen Regierungsparteien über die Instrumentalisierung der Unabhängigkeit von Oben die außerparlamentarische Unabhängigkeitsbewegung wieder einzufangen u. sich kontrollierend an deren Spitze zu stellen um die eigentliche Ursache der Bewegung nämlich die "soziale Frage", der massive Abbau demokratischer u. sozialer Rechte wieder unter ihre Kontrolle zu bekommen.
Das ist ihnen aber offensichtlich bisher nicht wirklich gelungen, im Gegenteil, die außerparlamentarische Unabhängigkeitsbewegung treibt die Parlamentaria vor sich her u. macht zunehmend Politik von Unten, von der Strasse, aus den Stadtteilen, Schulen, Betrieben, Dörfern u. Städten.

Wir hier in Berlin, in Doitschland sind anscheinend leider noch Lichtjahre von solch einer Basisbewegung entfernt, darum sollten wir uns hier auch erstmal an die "eigene Nase fassen" was wir hier nicht auf die Reihe kriegen, bevor wir die für demokratische Selbstbestimmung kämpfenden Menschen in Katalonien, Baskenland u. anderen Regionen des spanischen Staates undifferenziert in die seperatistische, nationalistische Schublade stecken u. ihnen deshalb unsere praktische Solidarität verweigern.

Freiheit für die politischen Gefangenen in Katalonien, Baskenland u. überall
Für das demokratische Selbstbestimmungs-u. Selbstverwaltungsrecht aller Menschen überall

Quelle: N.N.

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