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kritisch-lesen.de Nr. 47: Neue Klassenpolitik

Quinn Norton | Flickr
Foto: Quinn Norton | Flickr
Trump gegen Clinton, Le Pen gegen Macron, Hofer gegen van der Bellen, Pegida gegen Pulse of Europe: Ein Blick auf die politischen Auseinandersetzungen in Europa und den USA der vergangenen Jahre offenbart einen Konflikt zwischen Establishment und der rechten, vermeintlichen Alternative. Der politische Spielraum, so scheint es, ist auf die sprichwörtliche Wahl zwischen Pest und Cholera zusammengeschrumpft: weltoffener Neoliberalismus auf der einen, autoritärer Kapitalismus auf der anderen Seite.

Diese Ausgangslage hat die seit über einem Vierteljahrhundert andauernde Krise der Linken vertieft. Die knifflige Frage lautet: Wie können sie am besten umgeworfen werden, die Verhältnisse, in denen „der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“? An Ansätzen mangelt es ja eigentlich nicht: Stadtteilpolitik, Linkspopulismus, Selbstorganisierungen, Gewerkschaftsarbeit, Hegemoniepolitik und vieles mehr. Doch was könnte eine gemeinsame Klammer sein? Seit einiger Zeit diskutieren Linke in Europa und den USA über Ansätze einer Neuen Klassenpolitik. Diese versucht, den falschen Entgegensetzungen von objektiven Bedingungen und subjektiven Möglichkeiten, von materiellen und kulturellen Kämpfen, von Klassenkampf und „Identitätspolitik“ etwas entgegen zu setzen.

Die Debatte um Neue Klassenpolitik (hier ein Überblick) lotet aus, wie eine Klassenpolitik „auf Höhe der Zeit“ aussehen könnte. Ein Minimalkonsens: Sie darf nicht hinter die Kämpfe der vergangenen Jahrzehnte zurückfallen. Das mag mit Blick auf lange vorhandene antirassistische, feministische wie auch antiimperialistische Klassenpolitiken nicht allen neu erscheinen. Das macht es aber nicht weniger notwendig, diese Leitplanken der Debatte auszuleuchten.

Davon ausgehend lauten die Fragen, die wir mit dieser Ausgabe stellen: Was bedeutet überhaupt Klasse? Wie hängen Klassenpolitik, Antirassismus und Feminismus zusammen? Was ist von einigen bisherigen Versuchen Neuer und alter Klassenpolitik zu halten? Wie kann Neue Klassenpolitik aussehen und wie kann sie gelingen?

In der Ausgabe #48 im Juli 2018 werden wir uns dem Thema „Kapitalismus digital“ widmen. Was ist digitaler Kapitalismus? Ist er überhaupt so neu wie er sich gibt? Wie sieht eigentlich Arbeit im digitalen Zeitalter aus und welche Rückschlüsse lassen sich daraus für linken Widerstand ziehen?

Zur Ausgabe Nr. 47

Adorno: Antithese



Theodor W. Adorno, Heidelberg 1964

Foto: Jeremy J. Shapiro

Lizenz: CC BY-SA 3.0

Für den, der nicht mitmacht, besteht die Gefahr, daß er sich für besser hält als die andern und seine Kritik der Gesellschaft mißbraucht als Ideologie für sein privates Interesse. Während er danach tastet, die eigene Existenz zum hinfälligen Bilde einer richtigen zu machen, sollte er dieser Hinfälligkeit eingedenk bleiben und wissen, wie wenig das Bild das richtige Leben ersetzt. Solchem Eingedenken aber widerstrebt die Schwerkraft des Bürgerlichen in ihm selber. Der Distanzierte bleibt so verstrickt wie der Betriebsame; vor diesem hat er nichts voraus als die Einsicht in seine Verstricktheit und das Glück der winzigen Freiheit, die im Erkennen als solchem liegt. Die eigene Distanz vom Betrieb ist ein Luxus, den einzig der Betrieb abwirft. Darum trägt gerade jede Regung des sich Entziehens Züge des Negierten. Die Kälte, die sie entwickeln muß, ist von der bürgerlichen nicht zu unterscheiden. Auch wo es protestiert, versteckt sich im monadologischen Prinzip das herrschende Allgemeine. Die Beobachtung Prousts, daß die Photographien der Großväter eines Herzogs und eines Juden aus dem Mittelstand einander so ähnlich sehen, daß keiner mehr an die soziale Rangordnung denkt, trifft einen weit umfassenderen Sachverhalt: objektiv verschwinden hinter der Einheit der Epoche alle jene Differenzen, die das Glück, ja die moralische Substanz der individuellen Existenz ausmachen. Wir stellen den Verfall der Bildung fest, und doch ist unsere Prosa, gemessen an der Jacob Grimms oder Bachofens, der Kulturindustrie in Wendungen ähnlich, von denen wir nichts ahnen. Überdies können auch wir längst nicht mehr Latein und Griechisch wie Wolf oder Kirchhoff. Wir deuten auf den Übergang der Zivilisation in den Analphabetismus und verlernen es selber, Briefe zu schreiben oder einen Text von Jean Paul zu lesen, wie er zu seiner Zeit muß gelesen worden sein. Es graut uns vor der Verrohung des Lebens, aber die Absenz einer jeden objektiv verbindlichen Sitte zwingt uns auf Schritt und Tritt zu Verhaltensweisen, Reden und Berechnungen, die nach dem Maß des Humanen barbarisch und selbst nach dem bedenklichen der guten Gesellschaft taktlos sind. Mit der Auflösung des Liberalismus ist das eigentlich bürgerliche Prinzip, das der Konkurrenz, nicht überwunden, sondern aus der Objektivität des gesellschaftlichen Prozesses in die Beschaffenheit der sich stoßenden und drängenden Atome, gleichsam in die Anthropologie übergegangen. Die Unterwerfung des Lebens unter den Produktionsprozeß zwingt erniedrigend einem jeglichen etwas von der Isolierung und Einsamkeit auf, die wir für die Sache unserer überlegenen Wahl zu halten versucht sind. Es ist ein so altes Bestandstück der bürgerlichen Ideologie, daß jeder Einzelne in seinem partikularen Interesse sich besser dünkt als alle anderen, wie daß er die anderen als Gemeinschaft aller Kunden für höher schätzt als sich selber. Seitdem die alte Bürgerklasse abgedankt hat, führt beides sein Nachleben im Geist der Intellektuellen, die die letzten Feinde der Bürger sind und die letzten Bürger zugleich. Indem sie überhaupt noch Denken gegenüber der nackten Reproduktion des Daseins sich gestatten, verhalten sie sich als Privilegierte; indem sie es beim Denken belassen, deklarieren sie die Nichtigkeit ihres Privilegs. Die private Existenz, die sich sehnt, der menschenwürdigen ähnlich zu sehen, verrät diese zugleich, indem die Ähnlichkeit der allgemeinen Verwirklichung entzogen wird, die doch mehr als je zuvor der unabhängigen Besinnung bedarf. Es gibt aus der Verstricktheit keinen Ausweg. Das einzige, was sich verantworten läßt, ist, den ideologischen Mißbrauch der eigenen Existenz sich zu versagen und im übrigen privat so bescheiden, unscheinbar und unprätentiös sich zu benehmen, wie es längst nicht mehr die gute Erziehung, wohl aber die Scham darüber gebietet, daß einem in der Hölle noch die Luft zum Atmen bleibt.

Theodor W. Adorno - Minima Moralia

Herr Doktor, das ist schön von Euch.

Theodor W. Adorno, Heidelberg 1964



Foto: Jeremy J. Shapiro



Lizenz: CC BY-SA 3.0

Es gibt nichts Harmloses mehr. Die kleinen Freuden, die Äußerungen des Lebens, die von der Verantwortung des Gedankens ausgenommen scheinen, haben nicht nur ein Moment der trotzigen Albernheit, des hartherzigen sich blind Machens, sondern treten unmittelbar in den Dienst ihres äußersten Gegensatzes. Noch der Baum, der blüht, lügt in dem Augenblick, in welchem man sein Blühen ohne den Schatten des Entsetzens wahrnimmt; noch das unschuldige Wie schön wird zur Ausrede für die Schmach des Daseins, das anders ist, und es ist keine Schönheit und kein Trost mehr außer in dem Blick, der aufs Grauen geht, ihm standhält und im ungemilderten Bewußtsein der Negativität die Möglichkeit des Besseren festhält. Mißtrauen ist geraten gegenüber allem Unbefangenen, Legeren, gegenüber allem sich Gehenlassen, das Nachgiebigkeit gegen die Übermacht des Existierenden einschließt. Der böse Hintersinn des Behagens, der früher einmal auf das Prosit der Gemütlichkeit beschränkt war, hat längst freundlichere Regungen ergriffen. Das Zufallsgespräch mit dem Mann in der Eisenbahn, dem man, damit es nicht zu einem Streit kommt, auf ein paar Sätze zustimmt, von denen man weiß, daß sie schließlich auf den Mord hinauslaufen müssen, ist schon ein Stück Verrat; kein Gedanke ist immun gegen seine Kommunikation, und es genügt bereits, ihn an falscher Stelle und in falschem Einverständnis zu sagen, um seine Wahrheit zu unterhöhlen. Aus jedem Besuch des Kinos komme ich bei aller Wachsamkeit dümmer und schlechter wieder heraus. Umgänglichkeit selber ist Teilhabe am Unrecht, indem sie die erkaltete Welt als eine vorspiegelt, in der man noch miteinander reden kann, und das lose, gesellige Wort trägt bei, das Schweigen zu perpetuieren, indem durch die Konzessionen an den Angeredeten dieser im Redenden nochmals erniedrigt wird.

Das böse Prinzip, das in der Leutseligkeit immer schon gesteckt hat, entfaltet sich im egalitären Geist zu seiner ganzen Bestialität. Herablassung und sich nicht besser Dünken sind das Gleiche. Durch die Anpassung an die Schwäche der Unterdrückten bestätigt man in solcher Schwäche die Voraussetzung der Herrschaft und entwickelt selber das Maß an Grobheit, Dumpfheit und Gewalttätigkeit, dessen man zur Ausübung der Herrschaft bedarf. Wenn dabei, in der jüngsten Phase, der Gestus der Herablassung entfällt und Angleichung allein sichtbar wird, so setzt gerade in solcher vollkommenen Abblendung der Macht das verleugnete Klassenverhältnis um so unversöhnlicher sich durch. Für den Intellektuellen ist unverbrüchliche Einsamkeit die einzige Gestalt, in der er Solidarität etwa noch zu bewähren vermag. Alles Mitmachen, alle Menschlichkeit von Umgang und Teilhabe ist bloße Maske fürs stillschweigende Akzeptieren des Unmenschlichen. Einig sein soll man mit dem Leiden der Menschen: der kleinste Schritt zu ihren Freuden hin ist einer zur Verhärtung des Leidens.

Novissimum Organum.

Theodor W. Adorno, Heidelberg 1964

Foto: Jeremy J. Shapiro

Lizenz: CC BY-SA 3.0

"Längst ward dargetan, daß die Lohnarbeit die neuzeitlichen Massen geformt, ja den Arbeiter selbst hervorgebracht hat. Allgemein ist das Individuum nicht bloß das biologische Substrat, sondern zugleich die Reflexionsform des gesellschaftlichen Prozesses, und sein Bewußtsein von sich selbst als einem an sich Seienden jener Schein, dessen es zur Steigerung der Leistungsfähigkeit bedarf, während der Individuierte in der modernen Wirtschaft als bloßer Agent des Wertgesetzes fungiert. Die innere Komposition des Individuums an sich, nicht bloß dessen gesellschaftliche Rolle wäre daraus abzuleiten. Entscheidend ist dabei in der gegenwärtigen Phase die Kategorie der organischen Zusammensetzung des Kapitals. Darunter verstand die Akkumulationstheorie "das Wachstum in der Masse der Produktionsmittel, verglichen mit der Masse der sie belebenden Arbeitskraft" (Marx, Kapital I, Wien 1932, Seite 655). Wenn die Integration der Gesellschaft, zumal in den totalitären Staaten, die Subjekte immer ausschließlicher als Teilmomente im Zusammenhang der materiellen Produktion bestimmt, dann setzt die "Veränderung in der technischen Zusammensetzung des Kapitals" in den durch die technologischen Anforderungen des Produktionsprozesses Erfaßten und eigentlich überhaupt erst Konstituierten sich fort. Es wächst die organische Zusammensetzung des Menschen an. Das, wodurch die Subjekte in sich selber als Produktionsmittel und nicht als lebende Zwecke bestimmt sind, steigt wie der Anteil der Maschinen gegenüber dem variablen Kapital. Die geläufige Rede von der "Mechanisierung" des Menschen ist trügend, weil sie diesen als ein Statisches denkt, das durch "Beeinflussung" von außen, Anpassung an ihm äußerliche Produktionsbedingungen gewissen Deformationen unterliege. Aber es gibt kein Substrat solcher "Deformationen", kein ontisch Innerliches, auf welches gesellschaftliche Mechanismen von außen bloß einwirkten: die Deformation ist keine Krankheit an den Menschen, sondern die der Gesellschaft, die ihre Kinder so zeugt, wie der Biologismus auf die Natur es projiziert: sie "erblich belastete. Nur indem der Prozeß, der mit der Verwandlung von Arbeitskraft in Ware einsetzt, die Menschen samt und sonders durchdringt und jede ihrer Regungen als eine Spielart des Tauschverhältnisses a priori zugleich kommensurabel macht und vergegenständlicht, wird es möglich, daß das Leben unter den herrschenden Produktionsverhältnissen sich reproduziert. Seine Durchorganisation verlangt den Zusammenschluß von Toten. Der Wille zum Leben sieht sich auf die Verneinung des Willens zum Leben verwiesen: Selbsterhaltung annulliert Leben an der Subjektivität. Demgegenüber sind alle die Leistungen von Anpassung, alle die Akte des Konformierens, welche Sozialpsychologie und kulturelle Anthropologie beschreiben, bloße Epiphänomene. Die organische Zusammensetzung des Menschen bezieht sich keineswegs nur auf die spezialistischen technischen Fähigkeiten, sondern - und das will die übliche Kulturkritik um keinen Preis worthaben - ebenso auf deren Gegensatz, die Momente des Naturhaften, die freilich ihrerseits schon in gesellschaftlicher Dialektik entsprangen und ihr nun verfallen. Noch was im Menschen von der Technik differiert, wird als eine Art von Lubrikation der Technik eingegliedert. Die psychologische Differenzierung, wie sie ursprünglich aus der Arbeitsteilung und der Zerlegung des Menschen nach Sektoren des Produktionsprozesses und der Freiheit sich ergab, tritt am Ende selbst noch in den Dienst der Produktion. "Der spezialistische 'Virtuose'", schrieb ein Dialektiker vor dreißig Jahren, "der Verkäufer seiner objektivierten und versachlichten geistigen Fähigkeiten ... gerät auch in eine kontemplative Attitude zu dem Funktionieren seiner eigenen, objektivierten und versachlichten Fähigkeiten. Am groteskesten zeigt sich diese Struktur im Journalismus, wo gerade die Subjektivität selbst, das Wissen, das Temperament, die Ausdrucksfähigkeit zu einem abstrakten, sowohl von der Persönlichkeit des 'Besitzers' wie von dem materiell-konkreten Wesen der behandelten Gegenstände unabhängigen und eigengesetzlich in Gang gebrachten Mechanismus wird. Die 'Gesinnungslosigkeit' der Journalisten, die Prostitution ihrer Erlebnisse und Überzeugungen ist nur als Gipfelpunkt der kapitalistischen Verdinglichung begreifbar." Was hier an den "Entartungserscheinungen" des Bürgertums festgestellt wird, die es selber noch denunzierte, ist mittlerweile als die gesellschaftliche Norm hervorgetreten, als Charakter der vollwertigen Existenz unterm späten Industrialismus. Längst handelt es sich nicht mehr um den bloßen Verkauf des Lebendigen. Unterm Apriori der Verkäuflichkeit hat das Lebendige als Lebendiges sich selber zum Ding gemacht, zur Equipierung. Das Ich nimmt den ganzen Menschen als seine Apparatur bewußt in den Dienst. Bei dieser Umorganisation gibt das Ich als Betriebsleiter so viel von sich an das Ich als Betriebsmittel ab, daß es ganz abstrakt, bloßer Bezugspunkt wird: Selbsterhaltung verliert ihr Selbst. Die Eigenschaften, von der echten Freundlichkeit bis zum hysterischen Wutanfall, werden bedienbar, bis sie schließlich ganz in ihrem situationsgerechten Einsatz aufgehen. Mit ihrer Mobilisierung verändern sie sich. Sie bleiben nur noch als leichte, starre und leere Hülsen von Regungen zurück, beliebig transportabler Stoff, eigenen Zuges bar. Sie sind nicht mehr Subjekt, sondern das Subjekt richtet sich auf sie als sein inwendiges Objekt. In ihrer grenzenlosen Gefügigkeit gegens Ich sind sie diesem zugleich entfremdet: als ganz passive nähren sie es nicht länger. Das ist die gesellschaftliche Pathogenese der Schizophrenie. Die Trennung der Eigenschaften vom Triebgrund sowohl wie vom Selbst, das sie kommandiert, wo es vormals bloß zusammenhielt, läßt den Menschen für seine anwachsende innere Organisation mit anwachsender Desintegration bezahlen. Die im Individuum vollendete Arbeitsteilung, seine radikale Objektivation, kommt auf seine kranke Aufspaltung heraus. Daher der "psychotische Charaktere, die anthropologische Voraussetzung aller totalitären Massenbewegungen. Gerade der Übergang fester Eigenschaften in einschnappende Verhaltensweisen - scheinbar Verlebendigung - ist Ausdruck der steigenden organischen Zusammensetzung. Quickes Reagieren, ledig der Vermittlung durchs Beschaffensein, stellt nicht Spontaneität wieder her, sondern etabliert die Person als Meßinstrument, disponibel und ablesbar für die Zentrale. Je unmittelbarer es seinen Ausschlag gibt, desto tiefer hat in Wahrheit Vermittlung sich niedergeschlagen: in den prompt antwortenden, widerstandslosen Reflexen ist das Subjekt ganz gelöscht. So sind denn auch die biologischen Reflexe, Modelle der gegenwärtigen gesellschaftlichen, gemessen an Subjektivität ein Gegenständliches, Fremdes: nicht umsonst heißen sie oft "mechanisch". Je näher Organismen dem Tod, um so mehr regredieren sie auf Zuckungen. Danach wären die Destruktionstendenzen der Massen, die in den totalitären Staaten beider Spielarten explodieren, nicht so sehr Todeswünsche wie Manifestationen dessen, wozu sie schon geworden sind. Sie morden, damit ihnen gleicht, was lebendig ihnen dünkt."

Theodor W. Adorno, Minima Moralia -“ Reflexionen aus dem beschädigten Leben

RiP, Steven Hawking

NASA StarChild Stephen Hawking
Foto: NASA Ausbildungszentrum
„Remember to look up at the stars and not down at your feet. Never give up work. Work gives you meaning and purpose and life is empty without it. If you are lucky enough to find love, remember it is there and don't throw it away.“

Steven Hawking
* 8. Januar 1942 in Oxford, Oxfordshire, England; -  14. März 2018 in Cambridge, Cambridgeshire, England

Zitat

Eigentumsvorbehalt

Theodor W. Adorno, Heidelberg 1964
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"Die Signatur des Zeitalters ist es, daß kein Mensch, ohne alle Ausnahme, sein Leben in einem einigermaßen durchsichtigen Sinn, wie er früher in der Abschätzung der Marktverhältnisse gegeben war, mehr selbst bestimmen kann. Im Prinzip sind alle, noch die Mächtigsten Objekte. Sogar der Beruf des Generals bietet keinen zureichenden Schutz mehr. Keine Abmachungen sind in der faschistischen Ära bindend genug, um die Hauptquartiere vor Fliegerangriffen zu schützen, und Kommandanten, die es mit der traditionellen Vorsicht halten, werden von Hitler gehängt und von Chiang Kai-Shek geköpft. Daraus folgt unmittelbar, daß jeder, der versucht durchzukommen - und das Weiterleben selbst hat etwas Widersinniges wie die Träume, in denen man den Weltuntergang mitmacht und nach dessen Ende aus einem Kellerloch herauskriecht -, zugleich so leben sollte, daß er in jedem Augenblick fähig ist, sein Leben auszulöschen. Das ist als triste Wahrheit aus Zarathustras überschwenglicher Lehre vom freien Tode hervorgetreten. Freiheit hat sich in die reine Negativität zusammengezogen, und was zur Zeit des Jugendstils in Schönheit sterben hieß, hat sich reduziert auf den Wunsch, die unendliche Erniedrigung des Daseins wie die unendliche Qual des Sterbens abzukürzen in einer Welt, in der es längst Schlimmeres zu fürchten gibt als den Tod. - Das objektive Ende der Humanität ist nur ein anderer Ausdruck fürs Gleiche. Es besagt, daß der Einzelne als Einzelner, wie er das Gattungswesen Mensch repräsentiert, die Autonomie verloren hat, durch die er die Gattung verwirklichen könnte. "

Theodor W. Adorno, Minima Moralia -“ Reflexionen aus dem beschädigten Leben S. 41ff

Nicht Anklopfen.

Theodor W. Adorno, Heidelberg 1964
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"Die Technisierung macht einstweilen die Gesten präzis und roh und damit die Menschen. Sie treibt aus den Gebärden alles Zögern aus, allen Bedacht, alle Gesittung. Sie unterstellt sie den unversöhnlichen, gleichsam geschichtslosen Anforderungen der Dinge. So wird etwa verlernt, leise, behutsam und doch fest eine Tür zu schließen. Die von Autos und Frigidaires muß man zuwerfen, andere haben die Tendenz, von selber einzuschnappen und so die Eintretenden zu der Unmanier anzuhalten, nicht hinter sich zu blicken, nicht das Hausinnere zu wahren, das sie aufnimmt. Man wird dem neuen Menschentypus nicht gerecht ohne das Bewußtsein davon, was ihm unablässig, bis in die geheimsten Innervationen hinein, von den Dingen der Umwelt widerfährt. Was bedeutet es fürs Subjekt, daß es keine Fensterflügel mehr gibt, die sich öffnen ließen, sondern nur noch grob aufzuschiebende Scheiben, keine sachten Türklinken sondern drehbare Knöpfe, keinen Vorplatz, keine Schwelle gegen die Straße, keine Mauer um den Garten? Und welchen Chauffierenden hätten nicht schon die Kräfte seines Motors in Versuchung geführt, das Ungeziefer der Straße, Passanten, Kinder und Radfahrer, zuschanden zu fahren? In den Bewegungen, welche die Maschinen von den sie Bedienenden verlangen, liegt schon das Gewaltsame, Zuschlagende, stoßweis Unaufhörliche der faschistischen Mißhandlungen. Am Absterben der Erfahrung trägt Schuld nicht zum letzten, daß die Dinge unterm Gesetz ihrer reinen Zweckmäßigkeit eine Form annehmen, die den Umgang mit ihnen auf bloße Handhabung beschränkt, ohne einen Überschuß, sei's an Freiheit des Verhaltens, sei's an Selbständigkeit des Dinges zu dulden, der als Erfahrungskern überlebt, weil er nicht verzehrt wird vom Augenblick der Aktion."

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Was mir heute wichtig erscheint #420

Kriegsprofiteure: "Die Türkei nutzt bei ihrem Überfall auf die nordsyrische Region Afrin deutsche Panzer. Dies geht aus übereinstimmenden Berichten türkischer und kurdischer Medien hervor. Demnach handelt es sich um Kampfpanzer vom Typ Leopard 2A4, die Berlin zwischen 2006 und 2014 aus Beständen der Bundeswehr an die Türkei geliefert hat, ohne - wie bei früheren Panzerverkäufen - ihre Nutzung strikt auf Einsätze gemäß Artikel 5 des NATO-Vertrags zu beschränken. Unmittelbar vor dem Beginn des Überfalls hat die Bundesregierung durchsickern lassen, sie werde die Aufrüstung der Leopard 2A4 mit modernster Schutzausrüstung genehmigen. Der Auftrag soll von Rheinmetall durchgeführt werden und gilt als Einstieg in den Bau einer Panzerfabrik in Karasu an der Schwarzmeerküste östlich von Istanbul, in der ein Rheinmetall-Joint Venture den neuen türkischen Kampfpanzer Altay bauen will. Der Rheinmetall-Konzern hofft, von Karasu aus weitere Länder der Region beliefern zu können, ohne Rücksichten auf deutsche Rüstungsexportvorschriften nehmen zu müssen. Berlin schaut wohlwollend zu. (...)" Mehr zu den Hintergründen bei Informationen zur deutschen Außenpolitik

Anfang: Ein erster Klagetermin auf Equal Pay findet heute, am 24. Januar 2018 in Gießen gegen Randstad New statt, berichtet LabourNet: "Die Klage auf Gleichbehandlung mit Stammarbeitskräften (Equal Pay) gegen den großen Verleiher Randstad wird am Mittwoch, den 24.1. ab 9:00 Uhr vor dem Arbeitsgericht Gießen (35392 Gießen, Aulweg 45) verhandelt. Kollege S. freut sich auf Unterstützung und wird sie auf jeden Fall durch Mag Wompel bekommen (wir werden per twitter berichten (@labournet_de)!"

Strukturell: Das neue Internetprojekt des Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin e.V. (apabiz) ist online gegangen: rechtesland.de ist ein Atlas über rechte Strukturen und Aktivitäten in Deutschland. Kartiert darin sind Orte von Neonazis und anderer extrem Rechter, ihre Verbände, ihre Morde, ihre Überfälle und Aufmärsche. Darüber hinaus werden auch Information und Engagement gegen Rechts verzeichnet. Und nicht zuletzt geht es darum, Orte des Erinnerns an die Nazivergangenheit zu zeigen. (Via InfoNordOst)

Kundenbindung: VW, Scout, der Automobilclub von Deutschland und weitere Unternehmen wollen Schulwege sicherer machen. Aber nicht für alle Kinder, sondern nur für die, die sich mit einem Tracking-System namens „Schutzranzen“ digital überwachen lassen. Das soll an Grundschulen in Ludwigsburg und Wolfsburg getestet werden. Mehr zu diesem Überwachungsprojekt bei Digitalcourage e.V.

Wiederholungstäter: "In Wurzen nahe Leipzig gibt es seit Jahren rassistische Attacken. Laut Kritikern liegt das an organisierten Neonazi-Strukturen -“ und Behörden, die das Geschehen verharmlosen. Derweil stellen sich Einheimische nach der jüngsten Attacke als Opfer dar." Mehr bei Migazin

Mobilitätswende:
Der SUV-Boom ist ungebrochen WDR 5 "Das ist Wettrüsten im Straßenverkehr statt Miteinander. Anstelle eines Kontakts auf Augenhöhe -“ auch zu Radfahrern und Fußgängern -“ stehen Geländewagen für Überlegenheit und Abschottung."

Immer wieder Montags. Oder: Die Tretmühle.

Erich Kästner 1961
Foto: von Basch
Lizenz: [CC BY-SA 3.0 nl]

Die Tretmühle

Rumpf vorwärts beugt! Es will dich einer treten!
Und wenn du dich nicht bückst, trifft er den Bauch.
Du sollst nicht fragen, was die andern täten!
Im übrigen: die andern tun es auch.

So bück dich, Mensch! Er tritt ja nicht zum Spaße!
Er wird dafür bezahlt. Es ist ihm ernst.
Tief! Tiefer! Auf die Knie mit deiner Nase!
Das Vaterland erwartet, dass du-™s lernst.

Zunächst bist du noch etwas steif im Rücken.
Sei guten Muts! Es ist nicht deine Schuld.
Gib acht, wie prächtig sich die andern bücken!
Das ist nur eine Frage der Geduld.

Und muss so sein. Und ist der Sinn der Erde.
Der eine tritt -“ wie die Erfahrung lehrt -“
Damit ein anderer getreten werde.
Das ist Gesetz. Und gilt auch umgekehrt.

Du sollst für Laut- und Leisetreter beten:
„Gib Himmel, jedem Stiefel seinen Knecht!
Beliefre uns mit Not! Denn Not lehrt treten!“
Wer nicht getreten wird, kommt nie zurecht.

Geh vor den Spiegel! Freu dich an den Farben,
die man dir kunstvoll in die Rippen schlug!
Die Besten waren-™s, die an Tritten starben. -“
Rumpf vorwärts beugt! Genug ist nicht genug!

Erich Kästner, 1929

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