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Das verlorene Versprechen der Sowjets oder: Wie die russische Revolution an die Bolschewiki verloren ging

Das Foto zeigt die Versammlung des Petrograder Sowjets 1917 mit einer großen Zahl Deputierter Soldaten, Matrosen und Arbeitern
Versammlung des Petrograder Sowjets, 1917
In den ersten fünfzehn Jahren meines politischen Lebens waren die autoritären Sozialisten in den USA ein Witz. Wir haben uns nicht einmal die Mühe gemacht, sie als "Tankies" (Panzerknacker) zu verhöhnen, weil sie nicht einflussreich genug waren, um sie zu verunglimpfen. Die International Socialist Organization und ähnliche Organisationen waren nur die Leute mit den gleichen Schildern, die bei Protesten auftauchten und versuchten, sie zu übernehmen, die an der Straßenecke standen und versuchten, Zeitungen für einen Dollar zu verkaufen, während alle anderen von uns ihre Literatur kostenlos verteilten.

Die Protestbewegung in den USA im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts wurde nicht von einer einzigen ideologischen Kraft dominiert. Natürlich ist meine Perspektive durch meine eigene Position verzerrt, aber im Allgemeinen sah ich zwei primäre Positionen: Es gab die "Radikalen", die Progressiven und Linken, die sich keinem bestimmten ideologischen Etikett verpflichtet fühlten, und es gab die Anarchisten. Zwischen diesen beiden gab es eine Art Spektrum, und der Anarchismus war der Pol, an dem sich die Leute orientierten.

Das machte in gewissem Maße Sinn - anarchistische Organisationsstrukturen sind von Natur aus pluralistisch. Wenn eine große Anzahl von Menschen mit einer Vielzahl politischer und kultureller Hintergründe zusammenkommt, um gemeinsam etwas zu erreichen (z. B. neoliberale Handelsgipfel zu verhindern oder direkte Massenaktionen durchzuführen, um die US-Kriegsmaschinerie zu stören), müssen sie sich so organisieren, dass keine Gruppe dominant ist und keine Gruppe den anderen vorschreiben kann, was sie zu tun haben. Die Gruppen müssen sich gemeinsam koordinieren und herausfinden, wie ihre individuellen Strategien und Ziele andere Gruppen unterstützen und von ihnen unterstützt werden können.

Hier glänzen anarchistische und anarchistische Organisationsmodelle: Sie respektieren den politischen Pluralismus und die Vielfalt der taktischen, strategischen, ideologischen und moralischen Rahmenbedingungen.

Das ist, soweit ich das beurteilen kann, der Grund, warum wir eine Art ideologischen Pol der Bewegung bildeten. Es hat nicht geschadet, dass wir einen großen Teil der Organisation hinter den Kulissen geleistet haben, auch wenn wir dafür selten Anerkennung bekommen haben.

Im Jahr 1905 führten einige Leute in Russland eine Revolution durch. Die meisten von ihnen wussten nicht, dass sie eine Revolution machten. Die meisten von ihnen dachten, sie würden, nun ja, revoltieren. Generalstreiks fegten über das russische Reich. Die Menschen hatten es satt, in schmutzigen Häusern auf dem Lande zu hungern oder in den Städten mit vier Familien in einer Wohnung zu leben. Sie waren es leid, in ihrem Leben kein Mitspracherecht zu haben, weder zu Hause, noch bei der Arbeit, noch im Krieg. Sie waren der jahrzehntelangen "Russifizierung" überdrüssig, einer Apartheidpolitik, die darauf abzielte, die ethnische Vielfalt in einem Land zu zerstören, das zweifellos das größte und möglicherweise das ethnisch (und religiös) vielfältigste Land der Welt war.

Es gab einen Teil des Landes, der "Pale of Settlement" genannt wurde, das einzige Gebiet, in dem Juden leben durften und in dem sie immer noch einer unglaublichen ethnischen und religiösen Unterdrückung ausgesetzt waren. "Pale" ist ein archaischer Begriff für ein eingezäuntes Gebiet. Interessanterweise und nebenbei bemerkt, kommt der Ausdruck "jenseits des Pale" nicht von "außerhalb des Pale of Settlement wie in Russland". Es gab noch ein anderes "the Pale", das viel näher an England und damit an der englischen Sprache lag, nämlich ein Gebiet um Dublin in den frühen Tagen der britischen Kolonisierung Irlands. Dieser "Pale" war das Gebiet, das einigermaßen sicher vor den barbarischen irischen Horden in den Hügeln war. "Beyond the Pale" bedeutete außerhalb dieses sicheren, kolonisierten Gebiets. Daran sollte man denken, wenn das nächste Mal jemand radikale Politik als "beyond the pale" bezeichnet.

Aber Russland.

Die Pale of Settlement war eine der revolutionärsten Gegenden des Landes. Sie erstreckte sich über das heutige Weißrussland, Polen, die Ukraine, Litauen und einige andere Gebiete. Jüdische Menschen schlossen sich Ende des 19. Jahrhunderts zu einer endlosen Reihe linker Organisationen zusammen und begannen, die Macht des Zaren ernsthaft zu bekämpfen. Das taten sie natürlich nicht allein, aber ihre Beiträge sind es wert, hervorgehoben zu werden.

Bemerkenswert an dieser Geschichte ist, dass jüdische Linke einen Kernbestandteil der anarchistischen Bewegung in Russland bildeten. Da der Anarchismus immer ein internationales Projekt war und ist, ist die Art und Weise, wie der Anarchismus diese speziellen Bauern und Arbeiter erreichte, interessant: Da der Anarchismus immer ein internationales Projekt war und ist, ist die Art und Weise, wie der Anarchismus diese speziellen Bauern und Arbeiter erreichte, interessant: Ein Großteil der anarchistischen Ideen wurde von russischen Theoretikern im 19. Jahrhundert entwickelt, die oft mit einheimischen sibirischen Gruppen studiert und gearbeitet hatten, um zu sehen, wie Kulturen der gegenseitigen Hilfe und Solidarität ohne staatliche Autorität funktionieren können. Diese Ideen verbreiteten sich in Westeuropa und vermischten sich mit dem sich dort entwickelnden Anarchismus, der vor allem in den Enklaven der ethnischen Einwanderer Wurzeln schlug. Jiddisch sprechende Anarchisten in London zum Beispiel gaben viele radikale Zeitungen heraus, die dann in die Palästinensische Autonomiezone geschmuggelt wurden, wo sie in der Arbeiterklasse und der Bauernschaft auf fruchtbaren Boden fielen.

In Bialystok, einer Stadt im heutigen Polen, entstand eine Gruppe namens Black Banner. Sie boten eine wirklich einfache Lösung für das Problem der Unterdrückung an, die Art von einfacher Lösung, für die Russland wahrscheinlich berühmt war: Unterdrücker haben es besonders schwer, einen zu unterdrücken, wenn sie tot sind. Die Anarchisten schlossen sich zu "Kampforganisationen" zusammen, die jeweils autonom, aber ihrer Gemeinschaft gegenüber verantwortlich waren und sich an einer größeren Koordinierungsstruktur beteiligten.

Diese Kampforganisationen gingen hinaus und taten, was sie bewusst als Terrorismus bezeichneten: Sie raubten die Reichen aus, sie töteten streikbrechende Bosse. Sie bauten Bomben und sammelten Waffen. Sie hielten auch endlose Treffen ab, oft auf Friedhöfen. Auf diesen Versammlungen diskutierten sie Strategien und Ziele, aber auch Theorie und Kultur. Sie glaubten, dass die Arbeiterklasse selbst die Revolution anführen würde, und nicht eine bürgerliche Avantgarde. Sie waren "anti-intellektuell", aber dieses Wort bedeutete für sie nicht das, was es für uns heute bedeuten mag: Sie gaben der Aktion den Vorrang vor der Theorie, und sie waren gegen die Abschottung des Wissens durch aristokratische Institutionen wie die Akademie, so dass sie untereinander diskutierten und lehrten. Die Verbreitung von politischer Bildung schien genauso viel Zeit in Anspruch zu nehmen wie alles andere.

Das Schwarze Banner hat die Revolution von 1905 nicht ausgelöst. Diese Revolution war im Grunde genommen spontan und entstand aus dem allgemeinen Unmut über Armut und Autokratie. Keine der verschiedenen linken Ideologien hat die Revolution ausgelöst (oder erfolgreich angeführt). Nicht die SR (die "Sozialrevolutionäre"), die eine einheimische russische linke Ideologie waren, die sich auf die Verbesserung der Lebensbedingungen der Landbevölkerung konzentrierte. Nicht die Sozialdemokraten, die die Marxisten waren. Und auch nicht die Anarchisten.

Black Banner und seine Kampforganisationen beteiligten sich jedoch mit Begeisterung. Streikende Arbeiter konnten zu einer der Kampforganisationen kommen und sagen: "Unser Chef unterdrückt unseren Streik gewaltsam", und plötzlich hatte dieser Chef vielleicht ein paar zusätzliche Löcher in seinem Körper. Als sich die Gruppe ausbreitete, "wie Pilze nach dem Regen", wie es ein Teilnehmer später ausdrückte, schuf sie eine horizontale Organisations- und Koordinierungsstruktur.

Während der Revolution von 1905 beschloss ein großer Teil des rechten Flügels, den gesamten Aufstand auf "die Juden" als ethnische Gruppe zu schieben, und es kam zu Pogromen. Einem Teilnehmer von Black Banner zufolge gab es zumindest einen Ort, der vor den Pogromen sicher war: das anarchistische Viertel in Bialystock. Rechte Schläger, die Polizei und sogar die Armee hatten Angst, dorthin zu gehen. Diese Anarchisten (viele, aber nicht alle von ihnen waren Juden) hatten ganze Bombenfabriken, und es war kein guter Ort für Antisemiten.

Während der Revolution verbreitete sich in ganz Russland eine neue Idee, deren Name von der Geschichte völlig entstellt wurde. Der Sowjet. Ein Sowjet ist ein von unten nach oben organisiertes Koordinationsgremium. Der erste Sowjet entstand in der Stadt Iwanowna: Ein Streikkomitee bei einem Textilstreik wurde zu einem gewählten Gremium aller Arbeiter der Stadt. Bald darauf bildeten sich Sowjets in 60 verschiedenen Städten und Gemeinden. An diesen Räten nahmen Delegierte teil, die von den verschiedenen Fabriken und Arbeitsplätzen gewählt wurden, und diese Delegierten konnten sofort abberufen werden, wenn sie nicht das taten, wozu sie beauftragt worden waren.

Die Menschen erkannten, dass dies die Struktur einer neuen, einer besseren Gesellschaft war. Horizontale Entscheidungsgremien, die den Menschen mehr Freiheit gaben und ihnen mehr Kontrolle über ihr Leben zu Hause und am Arbeitsplatz ermöglichten. Diese Sowjets konnten sich koordinieren. Sie könnten, Sie wissen schon, eine Union der Sowjets bilden. Wenn sie nur die Macht dazu hätten. Dieses Modell wurde, so wie ich es verstehe, nicht von dieser oder jener revolutionären Ideologie entwickelt, sondern ist aus der Arbeiterbewegung selbst entstanden. Es widerspricht jedoch in keiner Weise dem Anarchismus. Es ist ein staatenloser Sozialismus.

Die Revolution von 1905 scheiterte im Großen und Ganzen. Der Zar versprach, zu einer konstitutionellen Monarchie überzugehen, und die Streiks gingen zurück. Nur die hartgesottenen Revolutionäre machten weiter - die SR, die Marxisten und die Anarchisten versuchten es eine Zeit lang weiter, verstärkten ihre "Enteignungen" (Raub der Reichen) und Attentate. Die Repression nahm daraufhin zu, und bald waren die meisten Linken tot, im Gefängnis oder im Exil.

Die westliche Demokratie hört bekanntlich an der Tür zu Ihrem Arbeitsplatz auf. Fast jeder Arbeitsplatz ist ein kleines Lehen, in dem man nur auf einen "guten Chef" hoffen kann, so wie ein mittelalterlicher Bauer auf einen "guten König" hofft.

Die meiste Zeit des 20. Jahrhunderts wurde der Kommunismus im Westen praktisch als Synonym für Tyrannei angesehen. Wenn man bedenkt, was am Ende mit der russischen Revolution passiert (Spoiler: die Bolschewiki ergreifen die Macht von den restlichen Linken und Lenin erfüllt sein ausdrücklich gegebenes Versprechen, die Sowjets zu nutzen, um die Autorität zu zentralisieren und dann jeden Anschein von Arbeiterkontrolle aufzulösen), ist es verständlich, dass das Wort "Kommunismus" in so vielen Mündern einen schlechten Geschmack hinterlässt.

Die Ironie besteht darin, dass das sowjetische Projekt, das eigentliche sowjetische Projekt, den Menschen unglaublich viel mehr Freiheit, mehr Würde, mehr Selbstbestimmung und mehr Schönheit bot als alles, was der Kapitalismus je in Betracht gezogen hat. Die Sowjets boten den Menschen die Kontrolle über ihr eigenes Leben, sie boten den Menschen ein Mitspracherecht in der größeren Gesellschaft. Sie boten an, Ketten zu sprengen. Stattdessen wurden sie bekanntlich dazu benutzt, neue Ketten zu schmieden.

Zwischen 1905 und 1917 wurde Russland nicht viel stabiler, und die Lebensbedingungen für die meisten Menschen wurden auch nicht besser. Der Zar stürzte Russland kopfüber in den Ersten Weltkrieg. Das Land verfügte über die größte Armee der Welt, fünf Millionen Menschen, die größtenteils aus der bäuerlichen Schicht eingezogen wurden. Sie hatten mehr Männer als Gewehre. Die russische Militärstrategie hat sich scheinbar nie geändert: Man wirft Bauern in den Fleischwolf, schlecht ausgerüstet und schlecht ausgebildet, und hofft auf das Beste.

Dann, eines kalten Morgens, am 8. März 1917 (zu dieser Zeit wurde ein anderer Kalender verwendet, so dass dies für sie die "Februarrevolution" war), führten Frauen einen Streik an. Es war der internationale Frauentag, ein neuer Feiertag, der von sozialistischen Feministinnen ins Leben gerufen wurde. Dieser Streik weitete sich aus, und in acht Tagen beendete das russische Volk eine 300-jährige Dynastie. Nur 1300 Menschen starben. Das sind zwar meistens zu viele Tote, aber wenn es um eine Revolution im größten Land der Erde geht, sind es wirklich nicht sehr viele Tote.

Plötzlich entstand ein Machtvakuum, und es bildete sich ein unsicheres Bündnis zwischen der provisorischen Regierung und den Sowjets, um es zu füllen. Die provisorische Regierung bestand aus den Überresten der Duma, dem repräsentativen Wahlgremium, das unter dem Zaren keine wirkliche Macht besaß. Die provisorische Regierung war zunächst hauptsächlich mit Liberalen besetzt - Menschen, die eine Republik wollten, aber vor allem die Interessen der Mittelschicht und des Kapitalismus vertraten. In den Sowjets hingegen saßen Sozialisten aller Couleur.

Die provisorische Regierung wollte im Ersten Weltkrieg bleiben, während die Sowjets im Allgemeinen aussteigen wollten. Die provisorische Regierung kontrollierte mehr Institutionen und Machtsymbole, während die Sowjets die praktische Macht hatten, da sie die Arbeiter, die Bauern und die Soldaten vertraten. Die provisorische Regierung erkannte schnell, dass sie in Schwierigkeiten steckte, und rekrutierte so schnell wie möglich Sozialisten, was ihr auch gelang. Bald schlug diese neue Regierung selbst linke Aufstände nieder.

In der Zwischenzeit lebte ein gewisser Wladimir Lenin in der Schweiz im Exil. Er war ein Führer der Bolschewiki, der radikaleren Marxisten (aber insgesamt eine relativ kleine Partei. Nicht winzig, aber auch nicht annähernd so groß oder so einflussreich wie die SR). Das Deutsche Reich wollte unbedingt, dass Russland aus dem Ersten Weltkrieg aussteigt, und schloss daher einen Pakt mit Lenin: Sie würden ihn mit einem Haufen Geld nach Russland zurückschicken, wenn er die provisorische Regierung stürzen und Russland aus dem Krieg herausholen würde.

Und genau das geschah dann auch.

Die Februarrevolution war ein spontaner Aufstand der Arbeiterklasse und der Bauernschaft, aber sie hinterließ eine unruhige Allianz, die versuchte, die Macht zu teilen. Die radikaleren Leute, darunter Anarchisten, Bolschewiki und einige SR, wollten, was sich am besten in dem einfachen Slogan zusammenfassen lässt: "Alle Macht den Sowjets".

Die verschiedenen Gruppen wollten dies natürlich aus unterschiedlichen Gründen. Lenin hatte bereits 1907 geschrieben, dass die Bolschewiki die Sowjets "zur Entwicklung der sozialdemokratischen Bewegung" einsetzen könnten, dass sie aber bald "überflüssig" sein würden. Lenin war bereit, jeden Hebel in Bewegung zu setzen, der ihm Macht verschaffen konnte.

Die übrigen Sozialisten, zu denen wahrscheinlich auch der größte Teil der bolschewistischen Basis gehörte, wollten die gesamte Macht den Sowjets übertragen, weil sie, nun ja, den Kommunismus wollten. Sie wollten eine horizontale, staatenlose Gesellschaft, in der die Menschen ihre eigenen Arbeitsplätze und ihr eigenes Leben kontrollierten, sich aber zusammenschlossen, um die Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft zu erfüllen.

Es ist verständlich, dass man das will.

Ich will es auch.

Im November 1917 (die Oktoberrevolution, wieder wegen der kalendarischen Unterschiede) arbeiteten die verschiedenen linken Fraktionen zusammen, um die Provisorische Regierung mit Waffengewalt aufzulösen. Das war kein Staatsstreich. Dies war der erste Schritt zur Übertragung der gesamten Macht an die Sowjets.

Aber allen waren Wahlen für eine "konstituierende Versammlung" versprochen worden, im Grunde eine Version der provisorischen Regierung, die im Vergleich zur provisorischen Regierung tatsächlich gewählt werden würde. Die Bolschewiki waren anfangs voll und ganz damit einverstanden. Sie hatten kein besonderes moralisches Interesse an den Sowjets, sondern nur an der Macht. Was auch immer ihnen Zugang zur Macht verschaffte, war es wert. 60 % der Wahlberechtigten gingen zur Wahl, 40 Millionen Stimmzettel. Die SR gewannen die Wahl, während die Bolschewiki nur ein knappes Viertel der Sitze errangen.

Die verfassungsgebende Versammlung war natürlich eine grundsätzlich weniger demokratische Regierungsform als die Sowjets: Es war eine repräsentative Demokratie, wie wir sie im Westen kennen. (Nun, es war kein Zweiparteiensystem wie in den USA, aber es war vergleichbar mit den Republiken in Europa). Die Sowjets dagegen setzten sich aus direkten, abwählbaren Delegierten zusammen, die von dem Volk, das sie vertraten, jeweils ein bestimmtes Mandat erhielten.

Die verfassungsgebende Versammlung trat insgesamt nur 13 Stunden lang zusammen, bevor sie von den prosowjetischen Kräften (vor allem Bolschewiki und Anarchisten) gewaltsam aufgelöst wurde. Die Bolschewiki taten es, weil sie nicht die Kontrolle darüber hatten. Die Anarchisten taten es, weil sie die bereits existierenden sozialistischen Entscheidungsgremien, die Sowjets, unterstützten.

In der Zwischenzeit übernahmen die Bolschewiki die Kontrolle über die Sowjets, verliehen dem Exekutivrat neue Macht und verwandelten das Ganze in eine Organisation von oben nach unten und in ein Einparteiensystem. Innerhalb weniger Monate wandten sie sich gegen ihre anarchistischen Verbündeten und begannen mit Razzien in anarchistischen Räumen, bei denen Hunderte von Menschen getötet wurden. Anarchisten und Bolschewiki kämpften bald Seite an Seite gegen die reaktionären Weißen Armeen, aber sobald diese Armeen besiegt waren, wurden die Anarchisten getötet.

Im März 1918 sprach sich Lenin offen gegen die Arbeiterkontrolle aus, die er als "kleinbürgerlich" und "anarcho-syndikalistische Abweichung" verspottete. Er sagte, die Revolution erfordere "zur unbedingten Unterordnung unter die persönlichen Anordnungen der Vertreter der Sowjetmacht während der Arbeit." (Lenin: „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht“ in Lenin Werke, Band 27, S. 261ff)

In der späteren Sowjetunion gab es nie eine bedeutende Sowjetmacht. Es gab auch nichts, was man vernünftigerweise als Sozialismus oder Kommunismus bezeichnen könnte. Die frühen Sowjets wollten zum Beispiel Land "sozialisieren": es aus der Hand reicher Großgrundbesitzer nehmen und an bäuerliche Kollektive verteilen. Der Bolschewismus verstaatlichte stattdessen das Land, und die Bauern arbeiteten als Lohnarbeiter mit dem Staat als ihrem Chef. Dieses System wird allgemein als "Staatskapitalismus" bezeichnet. So nannte es Lenin, und wer bin ich, der Autorität der UdSSR zu widersprechen.

Seit der Wahl von Donald Trump im Jahr 2016 beobachte ich einen Anstieg der autoritären kommunistischen Organisationen auf der Linken in den USA. Ich habe immer gesagt, dass dies geschieht, weil die Leute einfache Antworten wollen. Wenn man Anarchist wird, sagt einem niemand, was man zu tun hat. Es gibt keinen konkreten Plan, wie man eine Revolution machen kann. Es ist ein Projekt, das wir alle kollektiv zusammen bestimmen. Wenn du einer autoritären Organisation beitrittst, kannst du einfach deinen Anführern folgen und darauf vertrauen, dass sie das Richtige tun werden. Sie werden dich an einer Ecke mit ein paar Zeitungen zum Verkaufen aufstellen und dir genau erklären, wie der Sozialismus unweigerlich triumphieren wird. Sie müssen ihnen nur noch glauben.

Was die Frage angeht, "was wir tun sollten", sind einfache Antworten eine Illusion. Marx versprach, dass seine sozialistische Methode wissenschaftlich sei. Wenn das der Fall ist, dann ist die von Lenin aufgestellte Hypothese, dass die Ergreifung der Staatsmacht und die Schaffung eines staatskapitalistischen Systems schließlich zur Arbeiterkontrolle führen wird, im Laufe des 20. Jahrhunderts immer wieder widerlegt worden. Es ist Zeit für neue Hypothesen.

Nur... ich bin mir nicht sicher, ob diese Hypothesen wirklich neu sein müssen. Es gibt eine andere Hypothese, die während der russischen Revolution entstanden ist und von den Arbeitern selbst organisch entwickelt wurde. Interessanterweise ist sie auch einfacher zu beantworten als die von den marxistischen Revolutionären vorgetragenen. Die Antwort auf die Frage, wie man eine Gesellschaft der Gleichheit und Freiheit schaffen kann, eine Gesellschaft, die auf der Kontrolle der Arbeiter über ihr eigenes Leben und ihre Arbeitsplätze aufbaut, könnte einfach darin bestehen, dass wir es auf den Punkt bringen und eine Gesellschaft aufbauen, die auf der Kontrolle der Arbeiter über ihr eigenes Leben und ihre Arbeitsplätze beruht. So wie es in den Sowjets der Fall war.

Um es klar zu sagen: Ich bezweifle ehrlich gesagt, dass das Wort "Sowjet" es wert ist, beibehalten zu werden, und ich habe kein persönliches Interesse daran, den Slogan "Alle Macht den Sowjets" wieder einzuführen oder zu versuchen, Hammer und Sichel zurückzuerobern. Die Idee, die hinter den Sowjets steht, ist jedoch direkt und klar.

Die größte anarchistische Formation während der russischen Revolution und des Bürgerkriegs war in der anarchistischen Ukraine zu finden, wo sieben Millionen Menschen jahrelang in einer von unten nach oben aufgebauten Struktur lebten, in der sich verschiedene Versammlungen untereinander koordinierten, aber ihre eigene regionale Autonomie behielten. Diese Struktur wurde ausdrücklich von Anarchisten und nach anarchistischen Grundsätzen entworfen, aber das System selbst bezeichnete sich nicht als anarchistisch. Es blieb politisch pluralistisch - selbst den Bolschewiken, die versuchten, die Macht zu übernehmen, wurde in der anarchistischen Ukraine Redefreiheit gewährt.

Die ukrainischen Anarchisten bezeichneten ihre Ziele wie folgt:

„Die Werktätigen [ein Wort, mit dem sowohl die Bauern auf dem Land als auch die Industriearbeiter gemeint sind] müssen ihre Sowjets selbst frei wählen, die den Willen und die Wünsche der Werktätigen umsetzen - also Verwaltungssowjets, keine Staatsowjets. Das Land, die Fabriken, die Mühlen, die Bergwerke, die Eisenbahnen und die anderen Reichtümer des Volkes müssen den Werktätigen gehören, die in ihnen arbeiten, das heißt, sie müssen vergesellschaftet werden.“

Und wie würden sie das tun?

„Eine kompromisslose Revolution und ein direkter Kampf gegen alle Willkür, Lüge und Unterdrückung, woher sie auch kommen mögen; ein Kampf auf Leben und Tod, ein Kampf für die freie Rede und für die gerechte Sache, ein Kampf mit der Waffe in der Hand. Nur durch die Abschaffung aller Machthaber, durch die Zerstörung der gesamten Grundlage ihrer Lügen, sowohl in staatlichen als auch in politischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten, nur durch die Zerstörung des Staates mittels einer sozialen Revolution können wir eine echte Arbeiter-Bauern-Rowjetordnung erreichen und zum Sozialismus gelangen.“

Dieses Projekt hat jahrelang jeden Versuch, es zu stoppen, erfolgreich abgewehrt und die Weiße Armee in ihrem Lauf gestoppt. Es wurde erst durch den Einmarsch und die gewaltsame Annexion des Gebiets durch seine ehemaligen Verbündeten, die Rote Armee, zum Erliegen gebracht.

Es gibt moderne Beispiele von Menschen, die an Projekten arbeiten, die dem Versprechen der Sowjets ähneln, und die größten von ihnen bezeichnen sich nicht als anarchistisch. Die demokratischen Konföderalisten im Nordosten Syriens experimentieren mit Demokratie von unten nach oben, und die Zapatisten in Chiapas, Mexiko, machen etwas Ähnliches.

Wahrscheinlich können wir von ihnen, unseren lebenden Zeitgenossen, viel mehr lernen als von Anarchisten, die gestorben sind, bevor unsere Großeltern geboren wurden. Aber ich sehe das nicht als ein Entweder-Oder, und je mehr ich die Geschichte lese, desto mehr sehe ich ihren Widerhall in der Gegenwart, und desto klarer und wertvoller erscheinen mir ihre Lehren.

Die eine Lehre, die ich immer wieder sehe, ist, dass diejenigen, die nach Macht streben, diese nicht haben sollten. Wir müssen uns selbst und unsere Systeme gegen diejenigen abhärten, die nach autoritärer Kontrolle streben, egal welche Ausreden sie vorbringen, warum man ihnen die Macht anvertrauen sollte.

Das Ziel ist immer, dass wir uns selbst kontrollieren, dass wir gleichberechtigt miteinander arbeiten. Ich werde dieses Projekt Anarchismus nennen und eine schwarze Fahne hissen.

Wie Sie Ihre Version davon nennen, geht mich nichts an.


Quelle: © Margaret Killjoy, "The Lost Promise of the Soviets or: How the Russian Revolution Was Lost to the Bolsheviks"

Autorisierte Übersetzung: © Thomas Trueten / thomas@trueten.de

Erklärung des Bundesauschusses Friedensratschlag zum Verbot des Palästina Kongresses in Berlin

Logo des Bundesausschusses: Eine gezeichnete Friedenstaube neben einem GesichtDer vom 12.-14.4. geplante Palästina-Kongress in Berlin unter dem Motto: „Wir klagen an“ wurde nach im Vorfeld bereits stattgefundenen massiven Diffamierungen aus Politik und Medien am Freitag nur kurze Zeit nach Beginn aufgelöst und verboten. Mehrere Menschen, darunter auch Personen jüdischer Herkunft, wurden verhaftet. Das Vorgehen von Politik und Polizei - obwohl es weder vor, noch während noch nach dem Kongress zu keinerlei strafbaren Äußerungen gekommen ist - darf nicht hingenommen werden.

Bereits im Vorfeld wurde alles versucht, um die friedliche Konferenz zu verhindern, auf der insbesondere eine Koexistenz von Israelis und Palästinensern praktiziert wurde. Die Schikanen gingen von Kontensperrungen und dem Versuch, mithilfe des Bauamts und der Feuerwehr unüberwindbare Hürden aufzubauen sowie willkürliche Auflagen zu erlassen, über Betätigungsverbote bis hin zur Verhinderung von Einreisen.

Neben ihren völlig haltlosen Anschuldigungen gegen den Kongress, seine Organisator:innen, Teilnehmer:innen und Redner:innen machen sich deutsche Politik und Medien der Verharmlosung israelischer Kriegsverbrechen an der Bevölkerung des Gazastreifens, der Westbank und Ostjerusalems schuldig. Selbst Zahlen der im Gazastreifen Getöteten sowie die von Israel verursachte Hungerkatastrophe in der Küstenenklave werden in Zweifel gezogen. Über die deutsche Mitverantwortung spricht man lieber nicht. Und das, während Deutschland als zweitgrößter Waffenlieferant Israels und wegen seiner Streichung der Gelder für das UN-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge UNRWA bereits vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag steht.

Die Bundesregierung isoliert mit ihrer Politik Deutschland in der gesamten Welt und handelt ohne jeden moralischen Kompass und Werte. Sie muss sich stattdessen für Deeskalation und diplomatische Lösungen im Israel-Palästina-Konflikt einsetzen.

Das Verbot des Kongresses ist ein riesiger Skandal und stellt eine weitere bedrohliche Eskalation bei der Aushebelung demokratischer Rechte dar. Die fortschreitende Einengung jeglicher Meinungskorridore in Deutschland ist brandgefährlich für alle, weil es das demokratisch verbriefte Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit einschränkt. Die zunehmende Unterdrückung von Meinungsäußerungen sowie die Repression aller kritischen Stimmen zum israelischen Krieg im Gazastreifen und dem absolut unverhältnismäßigen Vorgehen der israelischen Regierung und Armee geht uns alle an.

Kassel, den 14.4.2024
Frieden- und Zukunftswerkstatt e. V. c/o Frankfurter Gewerkschaftshaus

Quelle: Bundesausschuss Friedensratschlag

Soziale Ungleichheit spaltet! So gewollt?

Erwerbslosenausschuss ver.di Stuttgart

Der Erwerbslosenausschuss ver.di Stuttgart erklärt sich solidarisch mit den Streikenden der SSB.
Allerdings müssen wir leider auf Grund des Streiks unsere geplante Veranstaltung am 19.4.2024 „Soziale Ungleichheit spaltet - so gewollt?“ verschieben.
Das Gewerkschaftshaus ist ohne Stadtbahnen und Busse für viele Menschen nicht erreichbar, sodass es wenig Sinn macht, die Veranstaltung durchzuführen.

Wir bitten um Verständnis für die Verschiebung. Die Veranstaltung wird zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt. Den neuen Termin geben wir rechtzeitig bekannt.

i.A. des Erwerbslosenausschusses ver.di
G. Vomhof-Hänisch



Vorderseite des Einladungsflyers mit den Eckdaten zur VeranstaltungSuperreiche besitzen 1,4 Billionen Euro! Die 40 deutschen Dax-Konzerne machen 171 Milliarden Gewinne!
Und gleichzeitig sind Millionen von Menschen auf Bürgergeld und Grundsicherung angewiesen!
Viel zu viele Erwerbstätige können von ihrem Lohn nicht leben!
Ist Ungleichheit ein Naturgesetz?
Wir laden Euch zu einem kurzen Film und anschließender Diskussion ein:

am Freitag, den 19.4.2024, 19.00 h.
Wir treffen uns im Raum 3 & 4, 1.Stock, Gewerkschaftshaus, Stuttgart, Willi-Bleicher-Str. 20 (Eintritt frei)

Noch mag es sie geben, die Lohn- und Gehaltsempfänger*innen mit bisher sicherem Einkommen. Aber Insolvenzen wie bei Galeria Kaufhof oder angekündigte Entlassungen bei Bosch lassen ahnen, dass kein Arbeitsplatz mehr sicher ist.
Die Verarmung nimmt zu, während die Profite der Konzerne immer weiter steigen. Das soziale Netz droht zu zerreißen - Rüstungsausgaben erreichen einen (un)geahnten Höhenflug - Löhne sinken real - die medizinische Breitenversorgung wird zunehmend zu einem profitablen Bezahlgeschäft für die Phamakonzerne und ausbaden müssen es die Ärmsten der Armen:
Erwerbslose und Sozialhilfeempfänger*innen, Bürgergeldaufstocker*innen und Prekärbeschäftigte.

Ein gesichertes Leben für alle - statt viel zu viel für wenige!

Das müsste möglich sein - doch wie soll das erreicht werden?
Wir - das ist der Erwerbslosenauschuss (ELA) Stuttgart der Einzelgewerkschaft ver.di. Seit vielen Jahren ist der ELA ein fester Bestandteil der politischen Szene Stuttgart. Immer dort, wo es gilt sozialpolitische Akzente zu setzen, sind wir vor Ort.
Wir laden euch ein, uns zu besuchen!
Anfragen unter: hans-g.schwabe@gmx.de


k9 - combatiente zeigt geschichtsbewußt: Der Große Diktator

Vorderseite des Einladungsflyers mit dem Text aus dem Beitrag und einem Filmstill, das Chaplin mit Hitlergruß vor seiner Rede zeigt.DER GROßE DIKTATOR
Ein Spielfilm von Charlie Chaplin von 1940

Chaplin spielt eine Doppelrolle: den Diktator Adenoid Hynkel von Tomanien sowie den kleinen jüdischen Friseur aus dem Getto und zeigt das Hohle der faschistischen Ästetisierungen, persifliert die Sprache und Rhetorik Hitlers.
Der Film endet mit einer 6 minuten Rede des Frisörs, in der er die Menschheit zu Frieden aufruft und ihnen eine hoffnungsvolle Zukunft prophezeit, wenn sie einander nur mit Respekt und nicht mehr mit Krieg und Terror behandeln.
Chaplins erster Tonfilm ist eine vernichtende Satire über den zynischen Demagogen, zugleich ne pointierte Slapstickrevue gegen Nazifaschismus.

Sonntag, 21. April 2024 19 Uhr

Kurz nach dem Deutschen Einmarsch In Polen begann ChaplIn mit den Dreharbeiten für den „Großen Diktator“: In der Satire spielt Chaplin in einer Doppelrolle den Diktator Adenoid Hynkel von Tomanien und den kleinen jüdischen Friseur aus dem Getto. Es war der erste US-Film, der gegen Nazi-Deutschland unmißverständlich Position bezog. Chaplin ließ sich weder von ablehnender Haltung Hollywoods noch von den Protesten aus England, wo man an das Münchner Abkommen glaubte, von seinem Vorhaben abbringen. Der Film wäre nie entstanden, wenn er ihn nicht selbst produziert und finanziert hätte. Nach der Machtergreifung wurden in Dt. alle Chaplin-Filme verboten. In Italien wurde der Film noch lange gekürzt, um die Gefühle von Mussolinis Witwe nicht zu verletzen. In dem Spanien General Francos blieb er bis zu dessen Tod 1975 verboten.

Im Machtbereich des Deutschen Reiches gab es allerdings verschiedene Kopien unterschiedlicher Sprachen. Josip Broz Titos Partisanen gelang es, einen deutschen Propaganda-Film in einem Wehrmachtskino gegen eine dieser Kopien auszutauschen.

Diesen Anti-Hitler-Film wollte die US-amerikanische Zensurbehörde zuerst nicht genehmigen. Grund, die Deutschen hätten mit Wirtschaftssanktionen gedroht. Die Konservativen Amerikas unterschätzten anfangs Hitlers Machtwahn und sahen ihn als großartigen Politiker, als Verbündeten in Europa gegen Stalin. Chaplins Film passte ihnen nicht ins Konzept.

combatiente zeigt geschichtsbewußt: revolucion muß sein! filme aus aktivem widerstand & revolutionären kämpfen

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Esslingen: Cuba Connection aufgeflogen!

Mit Paypal kann mensch unkompliziert und sicher Zahlungen im Internet begleichen. Wie immer gibt es mehr oder weniger berechtigte Kritiken an diesem Dienst und mehr oder weniger verbreitete und geeignete Alternativen. Doch darum soll es hier nicht gehen, denn: Das Global Privacy Compliance-Team von Paypal ist nämlich einer ganz großen Sache auf der Spur.

Ich habe 25€ via Paypal an eines meiner Kinder geschickt. Kurze Zeit später bekomme ich folgende Benachrichtigung auf dem Handy:

Bildbeschreibung
Screenshot, anonymisiert


Erstmal dachte ich mir nichts Böses dabei. Bis dann folgende Mail bei mir aufschlug:

Der Screenshot der Mail enthält den Text: " Wir benötigen noch einige Informationen von Ihnen.  Warum benötigen wir diese Informationen?  Wir benötigen einige Informationen von Ihnen, um Ihre Kontodetails oder einige Ihrer letzten Transaktionen zu verifizieren.  Wir haben vorübergehend bestimmte Funktionen in Ihrem PayPal-Konto eingeschränkt.  Was sollten Sie tun?  Loggen Sie sich in Ihr PayPal-Konto ein und geben Sie die Informationen an, die wir angefordert haben. Wie geht es weiter?  Nachdem Sie die Informationen gesendet haben, überprüfen wir diese und melden uns zu Ihrem Kontostatus innerhalb von 2 Werktagen.  Vielen Dank, dass Sie sich um diese Angelegenheit kümmern."
Screenshot der Mail


Dem Wunsch wollte ich gerne entsprechen, ich hatte ja - bis dahin - ein gutes Gewissen.

Screenshot: Paypal wünscht weitere Informationen, damit mein Konto nicht eingeschänkt wird
Screenshot


Es folgte die Aufforderung zur Klärung, die ich natürlich wollte. Ich bin sowieso eher der Typ für klare Verhältnisse.
Der Screenshot zeigt die Fallnummer und die Aufforderung zur Klärung.
Screenshot

Abgebrüht, wie ich bekanntlich bin, traf mich bei der dann eingegangenen Mail dann doch der Schlag:
Der Screenshot zeigt folgenden Text: "Hallo Thomas Trüten!   Aus Sicherheitsgründen werden die Kontoaktivitäten in unserem System regelmäßig überprüft. Bei einer Überprüfung haben wir kürzlich ein Problem mit einer Ihrer Transaktionen festgestellt.  Im Zusammenhang mit diesem Problem hat die Compliance-Abteilung von PayPal Ihr Konto überprüft und Aktivitäten festgestellt, zu denen wir weitere Informationen von Ihnen benötigen.        Am 04. April 2024 haben Sie eine Zahlung in Höhe von 25 € für "Havanna Club" gesendet. Bitte machen Sie folgende Angaben:           • Eine Erläuterung der Bezugnahme auf "Havanna".        Sie können diese Angaben auf der Seite "Konfliktlösungen" machen. Um die Seite "Konfliktlösungen" aufzurufen, loggen Sie sich in Ihr Konto ein und klicken Sie im oberen Bereich einer beliebigen Seite auf "Hilfe" und klicken Sie auf "Konfliktlösungen".  Wir bedanken uns im Voraus für Ihre schnelle Antwort. Für eventuelle Unannehmlichkeiten möchten wir uns entschuldigen.        Viele Grüße  (Name, anonymisiert) PayPal-Compliance-Abteilung"
Screenshot


Ertappt. Ich habe dann sogleich eine zerknirschte Antwort geschrieben.

Das Foto zeigt die Flasche Havana Club
Das Corpus Delicti steht schuldbewußt auf unserem Küchentisch
Sehr geehrte Damen und Herren,
jetzt haben Sie mich aber erwischt und meine Cuba Connection ist damit aufgeflogen.

Finden Sie das nicht auch albern? Ich habe Ihren Dienst, mit dem ich ansonsten seit Jahren sehr zufrieden bin, genutzt, um bei meiner Tochter die im Foto angehängte Flasche "Havana Club", die sie mit besorgt hatte um darin Rosinen für einen übrigens ausgezeichnet gewordenen Osterzopf mit Rum-Rosinen einzulegen.

Ich wüßte nicht, wie das gegen die Paypal Richtlinien verstößt. Falls doch, bitte erläutern Sie mir das. Ich werde mir dabei zur Entspannung einen Hemingway Special mixen:

5 cl goldener Rum (z. B. Havana Club)
1 cl Maraschinolikör
2 cl frisch gepresster Limettensaft
2 cl Grapefruitsaft
1-2 cl Zuckersirup
1 Bio-Limettenspalte
1 Cocktailkirsche
gestoßenes Eis
Shaker
Barsieb
1 großes Cocktailglas (38 cl)
2 Trinkhalme

Bevor bei Ihnen auch Hemingway einen Alarm auslöst: 1953 erhielt er den Pulitzer-Preis für seine Novelle "Der alte Mann und das Meer" und 1954 den Literaturnobelpreis. Ok. Er lebte auch eine Weile auf Cuba, was ihn eventuell verdächtig macht. Geboren und gestorben ist Ernest Hemingway in den Vereinigten Staaten von Amerika, womit alles geritzt sein sollte.

Ich für meinen Fall bitte um umgehende Auszahlung des Geldes an meine Tochter, alternativ um Rückbuchung auf mein bekanntes Konto bei der Deutschen Kreditbank: DE15 (...)

Le saluda atentamente,
Thomas Trüten



P.S.: Ich hätte nie gedacht, daß Paypal davon ausgeht, irgendwelche Ganoven, Geldwäscher oder die #UnblockCuba Solidarität würde Gelder für ihre finsteren Zwecke via Paypal verschieben. Dazu noch mit dem entsprechenden Vermerk. "2 Tonnen Koks", "1 schwarzer Koffer" oder 5 Container Zuckerrohr.

Aber so sind sie halt, unsere US - Antikommunisten. Hätte ich "Bacardi" reingeschrieben, wäre das kein Problem gewesen. Irgendwelche auch noch so harmlosen Bezüge auf das seit Februar 1962 (!!!) vom US Embargo blockierte Kuba sind nicht nur für PayPal, sondern ebenso für Amazon und ebay etc. offenbar höchst problematisch. In keinem der Unternehmen, die ansonsten keine Berührungsängste mit faschistischem oder sonstigem menschenverachtenden Material haben, bekommt man explizit kubanische Produkte wie "Havana Club" zum Kauf angeboten (außer irgendwelche Blechschilder und ähnlichen Tand).

P.P.S.: Paypal hat bis jetzt nicht geantwortet. Komisch und ärgerlich zugleich. Ich hätte nämlich noch ein paar Perserteppiche zu bezahlen...

Nachtrag: Paypal hat am 09.04. geantwortet. Ich glaube, meine Spende an Unblock Cuba (Siehe unten) ist gut angelegt.

Screenshot der Antwort von Paypal: "Hallo Thomas Trüten!     Aus Sicherheitsgründen werden die Kontoaktivitäten in unserem System regelmäßig überprüft.      PayPal ist verpflichtet, alle weltweit geltenden rechtlichen Vorschriften einzuhalten. Unter anderem müssen wir gewährleisten, dass auch unsere Kunden, Händler und Partner bei der Nutzung von PayPal die in den USA geltenden Gesetze und Vorschriften beachten.     Die Compliance-Abteilung von PayPal hat Ihr Konto überprüft und Aktivitäten festgestellt, die möglicherweise gegen in den USA geltende Vorschriften verstoßen.     Rechtliche Vorschriften in den USA verbieten zurzeit den Kauf und Verkauf verschiedener Waren und Dienstleistungen, die aus Kuba stammen oder dorthin versendet werden.     Wir sind darauf aufmerksam geworden, dass Sie eine Zahlung für den Kauf von Artikeln angestoßen haben, die aus Kuba stammen angefordert, das gemäß den US-Vorschriften derzeit untersagt ist.      Wir bitten Sie, diese oder ähnliche Zahlungen nicht erneut über PayPal zu versenden.        Bitte beachten Sie, dass wir uns das Recht vorbehalten, Ihr PayPal-Konto zu schließen, wenn wir weiterhin Aktivitäten feststellen, die einen offensichtlichen Verstoß gegen unsere gesetzlichen Verpflichtungen darstellen.     Viele Grüße  Compliance-Abteilung von PayPal     Copyright © 1999-2024 PayPal. Alle Rechte vorbehalten. PayPal (Europe) S.à r.l. et Cie, S.C.A. Société en Commandite par Actions Eingetragener Firmensitz: 22-24 Boulevard Royal L-2449, Luxembourg RCS Luxembourg B 118 349"
Screenshot


Hinweis: An der Stelle möchte ich auf die UnblockCuba Kampagne hinweisen. Aus naheliegenden Gründen sind Spenden nur per Banküberweisung möglich...
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Heraus zum Revolutionären 1. Mai 2024

SharePic zum revolutionären 1. Mai in Stuttgart mit dem Text: "1. Mai - Zeit für einen neuen Aufbruch gegen Krieg, Faschismus und Ausbeutung. Revolutionäre Demo 12 Uhr - Karlsplatz" und grafieschen Elementen wie dem roten Stern.Zeit für einen neuen Aufbruch - Gegen Krieg, Faschismus und Ausbeutung!
Der Kapitalismus zeigt 2024 sein wahres Gesicht: Krieg in der Ukraine, Krieg gegen Hungernde in Gaza. Statt die Klimakrise zu bekämpfen, kommen Sozialabbau, noch mehr Rüstung und rechte Sprüche von Regierung und Opposition. Die AfD plant Millionen abzuschieben und ist im Aufwind. Dieses System hat uns nichts mehr zu bieten, außer Krise, Chaos und Gewalt.

Gemeinsam mit Millionen Menschen weltweit gehen wir deshalb am 1. Mai auf die Straße: Es ist Zeit für einen neuen Aufbruch, Zeit für Revolution und Sozialismus!

Kriegstreiberei - Spiel mit dem Feuer
Die Ampel-Regierung ist eine Kriegsregierung. 32 Milliarden hat sie bisher in den Abnutzungskrieg in der Ukraine gesteckt. Die einfachen Menschen dort spielen keine Rolle, sie sind nur Kanonenfutter im Kampf der kapitalistischen Mächte um Einflusszonen. Doch auch die eigene Armee soll wieder für den Profit deutscher Konzerne kämpfen: Vor 2 Jahren wurde ein 100 Milliarden Programm für Aufrüstung beschlossen, jetzt soll schon die ganze Gesellschaft „kriegstauglich“ werden. Politiker diskutieren öffentlich, ob Nato-Armeen in den Ukraine-Krieg eingreifen sollen, andere fordern gleich die „EU-Atombombe“ und die EU auf Kriegswirtschaft umzustellen.

In Gaza vollzieht Israel auch mit deutschen Waffen ein Massaker an der hungernden, vertriebenen Bevölkerung. Währenddessen begibt sich die Bundeswehr im Roten Meer in den nächsten Kampfeinsatz um „den Welthandel zu sichern“. Und abseits der Kameras geht mit deutscher Unterstützung der Krieg der Türkei gegen die kurdische Freiheitsbewegung im eigenen Land, im Irak und Syrien weiter.

Direkte Folge der Aufrüstung sind Kürzungen im sozialen Bereich. Sie schlagen besonders bei uns Lohnabhängigen ein, weil wir uns eben keine private Rente, Gesundheitsversorgung und Bildung leisten können. Und alles deutet darauf hin, dass Kürzungen und Krise noch viel mehr Lebensbereiche betreffen werden…

Rechte Hetze stärkt Faschisten
Die Rechtsentwicklung in der Gesellschaft ist ein Produkt der kapitalistischen Krise: Das Umfragehoch der AfD, der Abschiebekurs der Regierung, als auch das härtere Vorgehen des Staates gegen linke Politik, sind Teil davon.

Es ist Heuchelei, wenn der Abschiebekanzler Scholz sich als „Kämpfer gegen Rechts“ inszeniert. Das Krisenmanagement der Ampel und eine CDU, die rechte Politik umsetzt, haben die sozialen Bedingungen für den Aufstieg der AfD erst bereitet. Auf diesem Boden verschaffen sich die AfD und offen faschistische Kräfte in ihrem Dunstkreis zunehmend Einfluss und Macht auf der Straße, in Parlamenten und in Medien - und sie haben ein gefährliches Angebot: Geflüchtete als Sündenböcke, reaktionäre Geschlechterrollen und die Inszenierung eines Kulturkampfes, der sich gegen sexuelle Diversität und Klimabewusstsein richtet. Bei allen Sozialabbau-Maßnahmen sind sie mit dabei.

Wut zur Veränderung!
Krieg, Rechtsruck, Ausbeutung und Klimakrise - das sind nicht nur Ergebnisse einer schlechten Politik. Sie sind Folgen des Kapitalismus. Eines Systems, in dem eine kleine, reiche Minderheit auf Kosten der breiten Mehrheit, der Arbeiter:innenklasse, lebt. Ein System, das kein Naturgesetz ist und von dem wir uns nur befreien können, wenn wir es stürzen! Für eine sozialistische Zukunft, in der die Jagd nach Profit beendet ist, und damit auch Krieg, Ausbeutung und Faschismus die Grundlage entzogen ist. In der wir uns dem Kampf gegen den Klimawandel und gegen patriarchale Unterdrückung stellen können und beginnen ein solidarisches Miteinander zu organisieren!

Am 1. Mai gehen wir für diese revolutionäre Perspektive auf die Straße. Am internationalen Kampftag der Arbeiter:innenklasse, unserem Tag, an dem weltweit Millionen Menschen für eine lebenswerte Zukunft auf die Straße gehen. Hier führen wir all unsere Kämpfe zusammen - nicht nur in Gedanken oder im Internet, sondern auf der Straße!

Zeit für einen neuen Aufbruch - Her mit dem schönen Leben!
Heraus zum revolutionären 1. Mai!

Quelle

Gemeinsames Statement von über 500 Organisationen weltweit, gegen Atomkraft und für „Sichere, bezahlbare und klimafreundliche Energie für alle“

Aktivisten protestieren mit Feenkostümen und einer aufblasbaren Burg vor dem Atomenergie-Gipfel in Brüssel, Belgien, in der Nähe des Atomium-Gebäudes. <br />
Foto: © Eric De Mildt / Greenpeace
Aktivisten protestieren mit Feenkostümen und einer aufblasbaren Burg vor dem Atomenergie-Gipfel in Brüssel, Belgien, in der Nähe des Atomium-Gebäudes.
Foto: © Eric De Mildt / Greenpeace
Die internationale Atomlobby wird auf Einladung der Internationalen Atomenergie Agentur IAEA und des belgischen Premierministers am 21. März 2024 einen Atomenergie-Gipfel in Brüssel abhalten. Die Atomlobby tarnt sich hinter einer klimafreundlichen Fassade, in der Hoffnung, auf Kosten der Menschen und des Planeten enorme Geldsummen von echten Klimalösungen abzweigen zu können.

Die Welt steht vor zahlreichen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Krisen. Die Menschen sind besorgt über die Lebenshaltungskosten, extreme Wetterereignisse im Zusammenhang mit der Klimakrise und ihre Energierechnungen. Die Lobbyisten und Politiker auf diesem Gipfel werden den Bau neuer Atomkraftwerke als die Antwort präsentieren, aber das hält einem grundlegenden Realitätscheck nicht stand.

Neue Atomkraftwerke sind zu langsam, um die Klimakrise zu bewältigen. Bauzeiten neuerer Atomkraftwerke verzögern sich massiv und werden in diesem Jahrzehnt keinen nennenswerten Beitrag zur Senkung der Kohlenstoffemissionen leisten können. Während die Treibhausgasemissionen bis 2030 drastisch gesenkt werden müssen, um den globalen Temperaturanstieg auf weniger als 1,5 Grad zu begrenzen, würden alle heute angekündigten neuen Atomkraftwerke erst weit nach diesem Termin ans Netz gehen. Neue Atomkraftwerke sind ein Ablenkungsmanöver, dass die Energiewende verlangsamt. Eine rasche Abkehr von fossilen Brennstoffen sollte sich stattdessen auf den Aufbau eines zu 100 % aus erneuerbaren Energien bestehenden Energiesystems konzentrieren, verbunden mit Energieeffizienz und Maßnahmen zur Vermeidung eines übermäßigen Energieverbrauchs. Gemeinsam können diese Schritte den Energiebedarf der Welt in einer Weise decken, die fair, umweltfreundlicher und realisierbar ist.

Atomenergie ist viel teurer als erneuerbare Energien. Während Atomkraftprojekte aufgrund explodierender Kosten mit enormen Budgetüberschreitungen und Stornierungen zu kämpfen haben, sind erneuerbare Energien billiger als je zuvor und ihre relativen Kosten im Vergleich zur Atomenergie stark rückläufig. Laut dem World Nuclear Industry Status Report 2023 sind neue Atomkraftwerke bis zu viermal so teuer wie Windkraft. Die Regierungen müssen in bewährte Klimalösungen wie Hausisolierung, öffentliche Verkehrsmittel und erneuerbare Energien investieren, statt in teure Experimente wie sogenannte kleine modulare Reaktoren, die auch auf lange Sicht nicht liefern werden.

Atomenergie ist gefährlich. Vom Uranabbau bis zu den radioaktiven Abfällen stellt die Atomenergieerzeugung ein Risiko für die Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt der Menschen dar. Die Atomkraft hat immer auch eine militärische Komponente und erhöht das Risiko der Verbreitung von Atomwaffen in der Welt, der Verwendung von abgereichertem Uran und von Atombomben. Auch die Klimakrise erhöht die Risiken der Atomkraft, denn zunehmende Hitzewellen, Dürren, Stürme und Überschwemmungen stellen eine große Gefahr für die Anlagen selbst und für die Systeme zur Verhinderung von Atomunfällen dar.

Wir leben in einer Klimakrise. Die Zeit ist kostbar, und zu viele Regierungen verschwenden sie mit dem Märchen von der Atomenergie. Was wir fordern, ist ein gerechter Übergang zu einem sicheren, erneuerbaren und bezahlbaren Energiesystem, das Arbeitsplätze sichert und das Leben auf unserem Planeten schützt.

Quelle: ausgestrahlt.de (pdf)

Aktuelle Liste der unterstützenden Organisationen


Paritätischer Armutsbericht 2024: Armut in der Inflation

Das Cover des Armutsberichtes 2024 mit einer sich auflösenden Banknote als Grafik16,8 Prozent der Menschen in Deutschland - oder 14,2 Millionen Menschen - müssen für das Jahr 2022 als einkommensarm bezeichnet werden.

Die Armut in Deutschland verharrt auf hohem Niveau, so das Ergebnis des neuen Paritätischen Armutsberichts: 16,8 Prozent der Bevölkerung leben nach den jüngsten Zahlen in Armut, wobei sich im Vergleich der Bundesländer große regionale Unterschiede zeigen. Fast zwei Drittel der erwachsenen Armen gehen entweder einer Arbeit nach oder sind in Rente oder Pension, ein Fünftel der Armen sind Kinder. Der Paritätische sieht wesentliche armutspolitische Stellschrauben daher insbesondere in besseren Erwerbseinkommen, besseren Alterseinkünften und einer Reform des Kinderlastenausgleichs.

Im Paritätischen Armutsbericht 2024 gibt es ausführliche Infomationen zu folgenden Themen:
  • Armut in Deutschland 2022
  • Soziodemografie der Armut
  • Sozialstruktur der Armut
  • Blick auf die Länder
  • Blick in die Regionen
  • Armutspolitik im Zeichen der Inflation
  • Politische Schlussfolgerungen
  • Methodische Hinweise

Dokumente zum Download
Der Paritätische Armutsbericht 2024

Weiterführende Links
Schwerpunkt-Website zum Armutsbericht

Quelle: Der Paritätische GEsamtverband, 26. März 2024

Der gleiche alte Mist: Eckart Conze über die Schatten des Kaiserreichs

Das Bild zeigt das Buchcover: Neben Autor und Titel ist im rechten unteren Bereich ein Foto der Siegessäule in Berlin zu sehen, die ihren Schatten nach links wirftDer 18. Januar 1871, der Tag der Gründung des deutschen Nationalstaates im Spiegelsaal von Versailles, jährt sich zum einhundertundfünzigsten Mal. Einflussreiche Kräfte von rechts deuten die Geschichte des autoritären Kaiserreiches positiv, um ihrer heutigen und zukünftigen deutschnationalen Politik eine Legitimation zu verschaffen.

Gegen den verharmlosenden Erinnerungskult an das Kaiserreich und seine nationalistischen Traditionen setzt der Historiker Eckart Conze sein neues Buch "Schatten des Kaiserreiches - Die Reichsgründung von 1871 und ihr schwieriges Erbe".

Er fragt „Begann 1871, was zwischen 1933 und 1945 so katastrophal endete? War im Kaiserreich das „Dritte Reich“ bereits angelegt?“ und kann zeigen, dass sowohl die Entstehung des Nationalstaates, seine Konstruktion und die vor allem die reaktionären gesellschaftlichen Strukturen in den Ersten Weltkrieg geführt, die Weimarer Republik zerstört und den deutschen Faschismus ermöglicht haben.

Zu Beginn beschreibt Conze den Weg zum Nationalstaat. Die Befreiung von der französischen Besatzung 1813 gehört zur Vorgeschichte der „Reichsgründung“ ebenso wie die „Rheinliedbewegung“ 1840 und die bürgerliche Revolution 1848. Seit der Niederlage der 48er Revolution lenkt Bismarck die Entstehung des Nationalstaates unter der Vorherrschaft von Preußen. Es ist eine der nachdrücklichsten Feststellungen Conzes, dass Bismarck erst mit der Unterstützung der Liberalen seine „Revolution von oben“ und seine Kriege durchsetzen konnte.

Jetzt folgt der entscheidende Teil des Buches, denn Conze benennt offen, was den 1871 im Krieg gegründeten „autoritären Nationalstaat“ strukturell kennzeichnet.

Dieses Kaiserreich war keine Demokratie, denn das Wahlrecht (nur für Männer) war in Preußen, für 60 Prozent der Wähler, eingeschränkt. Es gab auch keine festgeschriebenen Grundrechte wie in der Verfassung von 1848. Entscheidend war, dass das Parlament keine Regierung bilden konnte und auch den Reichskanzler nicht abwählen konnte. Die Stellung von Kaiser und Reichskanzler war institutionell unangreifbar und von Preußen dominiert.

Zu diesen Grenzen der Demokratisierung kommt der ausschließende Nationalismus: „Den äußeren Feinden der Nation, allem voran dem „Erbfeind“ Frankreich, entsprachen als „Reichsfeinde“ im Innern alle Kräfte, die sich im autoritären, kleindeutsch-preußischen und protestantischen Nationalstaat nicht wiederfanden, die ihn ablehnten, weil er im Gegensatz zu ihren politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen stand. Das galt für Katholiken, es galt für die Arbeiterbewegung und für nationale Minderheiten wie Polen, Dänen oder frankophone Elsässer, für die Anhänger der Welfen (…) und sehr bald auch schon für die deutschen Juden. Sie alle verband die Stigmatisierung als Reichsfeinde, als „undeutsch“, der Vorwurf, durch nationale Unzuverlässigkeit die Einheit der Nation zu unterminieren und sie dadurch zu schwächen.“

Die Bedeutung des Antisemitismus in Gesellschaft und Politik hebt Conze hervor, und er weist auf die immer weiter wachsende Rolle der Verbände im Kaiserreich hin. Sie haben den politischen Diskurs nachhaltig nach rechts gedrückt, und auch die Lebenswelt von Millionen Deutschen über mehrere Jahrzehnte bestimmt.

Autoritarismus und Nationalismus gingen einher mit Imperialismus. Schon Mitte der 1880er Jahre annektierte das Kaiserreich den Großteil seiner Kolonien. Deutschland unterwirft die besetzten Gebiete einer drei Jahrzehnte andauernden Ausbeutung und Unterdrückung bis hin zum Völkermord. Die massive Aufrüstung und immer aggressivere Provokationen führen schließlich zur vom Kaiser und den Militärs gewünschten Eskalation. Am Ende steht der Erste Weltkrieg.

Anschließend zeigt Conze, wie Christopher Clarks „Die Schlafwandler“ im Sinne der neurechten Historiker*innen den Diskurs bestimmt und ordnet die aggressiven Entschädigungsforderungen der Hohenzollern kritisch ein.

Eckart Conze hat das wichtigste Buch zum 18. Januar 1871 vorgelegt, seine „geschichtspolitische Intervention“ zielt auf die Gegenwart, und er warnt für die Zukunft vor den neuen Deutschnationalen: „Nation ist in dieser Sichtweise kein demokratisches und kein freiheitliches Konzept individueller Zugehörigkeit und Teilhabe, sondern beruht auf der Unterscheidung von Gemeinschaft und Gemeinschaftsfremden.“ Er macht deutlich: Wer das Kaiserreich idealisiert, wendet sich gegen die Fundamente der Republik.

Conze ist allerdings naiv bei der Beurteilung der Kräfte, die die Restauration beharrlich vorantreiben. Es gibt eben nicht erst seit der Gründung der AfD - als Partei der Deutschnationalen - reaktionäre Vorstöße. Der Wiederaufbau des Berliner Schlosses mit dem Humboldt-Forum wird seit 2000 geplant, der Wiederaufbau der Garnisonskirche seit 2004. 1999 führte Deutschland Krieg gegen Rest-Jugoslawien, und es vergeht keine Woche ohne Naziskandale in Bundeswehr, Polizei und Geheimdiensten. Darauf gibt das Buch keine Antwort.

EUR 22,00
ISBN: 978-3-423-28256-7
2. Auflage
288 Seiten

Erstveröffentlichung am 22. Dezember 2020.

Staatliche Hatz auf Antifaschist:innen: Es droht weiter die Auslieferung an Ungarn

Das Foto zeigt ein Seitentransparent während einer Demonstration mit der Aufschriftt „Free all Antifas - Soko Linx & VS auflösen - Defund the Police“
Foto: Rote Hilfe
Wenn es nach der Bundesanwaltschaft geht, sollen mehrere deutsche Antifaschist:innen, aktuell insbesondere Maja, an Ungarn ausgeliefert werden. Auch wenn der zwischenzeitlich erhobene Vorwurf des versuchten Mordes am 21. März 2024 von der Ermittlungsrichterin am Bundesgerichtshof (BGH) weggewischt wurde, verschärft sich die Lage für Maja und für weitere Aktivist:innen, die sich aktuell noch den Behörden entziehen. Denn der Generalbundesanwalt räumt dem Verfahren in Ungarn Priorität gegenüber einem Prozess vor hiesigen Gerichten ein, was das Risiko einer Auslieferung erhöht.

Vorgeworfen wird Maja und anderen Antifaschist:innen, im Februar 2023 mehrere Nazis in Budapest körperlich angegriffen zu haben. Gegen zwei Beschuldigte läuft aktuell ein Prozess in Budapest, ein dritter wurde nach einem Geständnis zu einer dreijährigen Zuchthausstrafe verurteilt. Zwei der in Ungarn festgehaltenen Aktivist:innen sind seit über einem Jahr in Haft.

Den im Budapest-Komplex beschuldigten Antifaschist:innen droht in steigendem Maße die Auslieferung an das rechtsautoritäre ungarische Regime. Dort ist mit Verfahren, die gegen sämtliche rechtsstaatlichen Minimalstandards verstoßen, mit hohen Haftstrafen und unmenschlichen Haftbedingungen zu rechnen. Ganz konkret betrifft das Maja, die am 11. Dezember 2023 in Berlin verhaftete Person, die seither in Untersuchungs- und seit einem entsprechendem Beschluss des Kammergerichts Berlin in Auslieferungshaft sitzt.

Die Repressionsorgane setzen seit Monaten auf Erpressung: Zunächst wurden mehrfach die Familien der anderen beschuldigten Antifaschist:innen bedrängt, die sich bisher einer Verhaftung entzogen haben. Nachdem einige der Untergetauchten über ihre Anwält:innen anboten, sich zu stellen gegen die Zusicherung, dass sie nicht nach Ungarn ausgeliefert werden, wurden sie mit einem dreisten Angebot konfrontiert: Die Zusage, auf die Auslieferung zu verzichten, werde nur gegen umfassende Geständnisse erteilt - also nur bei Verzicht auf elementare Rechte von Beschuldigten.

Um die Repression noch weiter zu verschärfen, hatte die Bundesanwaltschaft zusätzlich den Vorwurf des versuchten Mordes erhoben, was aber die Ermittlungsrichterin am Bundesgerichtshof im Beschluss vom 21. März 2024 entschieden zurückwies: Eine Tötungsabsicht sei nicht erkennbar gewesen, weshalb der BGH die entsprechende Erweiterung des Haftbefehls ablehnte. Dennoch droht weiterhin die Auslieferung an Ungarn. Vor allem Maja ist damit ganz konkret gefährdet und sieht sich als non-binäre Person zusätzlichen Bedrohungen ausgesetzt, sollte es zu einer Auslieferung an das offen queer- und trans*feindliche Ungarn kommen.

„Es ist unglaublich, welche Dimension die staatliche Hatz auf Antifaschist:innen annimmt. Auch vor offensichtlichen Verstößen gegen juristische Standards und vor der Erpressung mit der Auslieferung an einen Staat, der Menschenrechte mit Füßen tritt, schrecken die deutschen Repressionsbehörden nicht zurück“, empörte sich Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Roten Hilfe e. V. „Die Auslieferung von Maja muss auf alle Fälle verhindert werden! Wir stehen solidarisch an der Seite der verfolgten Antifaschist:innen. Die Auslieferungsdrohungen und die Erpressungsmanöver der staatlichen Behörden müssen umgehend aufhören. Wir fordern Majas Freilassung und ein Ende der Verfolgung der Antifaschist:innen!“

Quelle: Rote Hilfe, 24.03.2023
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